Türkei:Wahlsieger Erdoğan verspricht eine "neue Ära"

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Recep Tayyip Erdoğan und seine Ehefrau Emine winken den Anhängern, nachdem das Wahlergebnis verkündet wurde. (Foto: AP)

In Ankara jubeln Tausende Anhänger ihrem künftigen Präsidenten zu: Recep Tayyip Erdoğan hat die Wahl in der Türkei mit gut 52 Prozent der Stimmen gewonnen. In seiner Rede verspricht er seinem Land einen Neuanfang.

  • Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat die Präsidentschaftswahl in der Türkei gewonnen. Erstmals wurde das türkische Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt.
  • Erdoğan hat sich schon im ersten Wahlgang mit 52 Prozent der Stimmen gegen seine Rivalen durchgesetzt.
  • In einer Ansprache in Ankara verspricht er, den "Streit der Vergangenheit" beizulegen.

Klarer Sieg im ersten Wahlgang

Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan hat die historische Präsidentenwahl in der Türkei bereits im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit gewonnen. Nach vorläufigen Ergebnissen kam Erdoğan auf knapp 52 Prozent, wie Fernsehsender in der Nacht zum Montag übereinstimmend berichteten. Der Gemeinschaftskandidat der beiden größten Oppositionsparteien CHP und MHP, Ekmeleddin İhsanoğlu, erzielte demnach rund 39 Prozent. Der Kandidat der prokurdischen HDP, der Kurde Selahattin Demirtaş, lag demnach bei knapp zehn Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 74 Prozent. Die Wahlkommission wollte am Montag ein offizielles Ergebnis mitteilen.

Türkische Fernsehsender berichteten, Erdoğan machte sich nach seinem Wahlsieg auf den Weg zum Gebet in die historische Eyüp-Sultan-Moschee in Istanbul, wie es bereits die osmanischen Sultane taten, bevor sie den Thron bestiegen. Vor Hunderten Anhängern vor der Moschee sagte er: "Ich danke allen, die zu diesem Resultat beigetragen haben." Er werde "die Demokratie stärken" und den Aussöhnungsprozess mit den Kurden fortsetzen, kündigte er in einer im Fernsehen übertragenen Rede an. "Möge Gott uns auf unserem Weg helfen."

Seine Anhänger stimmt Erdoğan auf eine "neue Ära" ein

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Für seine Anhänger ist er ein Heilsbringer, für seine Gegner ein Despot und Islamist. Seit elf Jahren regiert Recep Tayyip Erdoğan die Türkei, nun ist er zum Präsidenten aufgestiegen. Stationen seiner Karriere.

Im Zentrum von Istanbul feierten Tausende Anhänger Erdoğans Wahlsieg. Sie schwenkten türkische Fahnen und hielten Porträts des künftigen Präsidenten hoch. In der Hauptstadt Ankara wurden Feuerwerke gezündet. Am späten Abend traf Erdoğan in Ankara ein und zeigte sich auf dem Balkon des Hauptquartiers seiner Partei AKP. In einer Ansprache vor seinen Anhängern versprach er seinem Land einen Neuanfang. Er wolle eine "neue Ära" beginnen und den "Streit der Vergangenheit" beilegen, sagte der islamisch-konservative Politiker. "Ich danke allen Bürgern, ob sie mich gewählt haben oder nicht, die dazu beigetragen haben, Geschichte zu schreiben an so einem historischen Tag."

Reaktionen auf den Wahlsieg

Die EU hat Erdoğan als Sieger der türkischen Präsidentschaftswahlen gratuliert. Ankara sei Nachbar, außenpolitischer Verbündeter und wichtiger Handelspartner der EU, teilten Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy in einer Erklärung mit. Sie richteten dabei auch mahnende Worte an Erdoğan. "Wir vertrauen darauf, dass Sie die versöhnende Rolle, die Ihre neue Stellung mit sich bringt, beibehalten und sich darum bemühen, alle Gruppen, Glaubensrichtungen, Befindlichkeiten, Meinungen und Lebensstile der türkischen Gesellschaft zu respektieren." Die Autoren hofften zudem auf weitere Bemühungen um Versöhnung mit der kurdischen Bevölkerung und um eine Beilegung der Streitigkeiten um die Mittelmeerinsel Zypern.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland hat reserviert auf Erdoğans Wahlsieg reagiert. Wenn Erdoğan in seinem neuen Amt nicht einen moderateren Kurs als bislang einschlage, seien massive Auseinandersetzungen in der Türkei zu erwarten, sagte der Bundesvorsitzende Safter Çinar in Berlin. Kritiker befürchten, dass Erdoğan als Präsident seine Macht weiter ausbauen und die Islamisierung der Türkei vorantreiben könnte. Çinar sagte, er teile diese Sorgen. Die Grünen mahnten in einer Pressemitteilung, Erdoğan müsse "verantwortungsvoll" mit seinem Wahlsieg umgehen. "Eine weitergehende Entdemokratisierung der Türkei in Richtung Putin darf es nicht geben", schreiben sie und nennen als Beispiele Internetzensur und Einschränkung der Pressefreiheit in dem Land.

Bürger stimmen zum ersten Mal direkt ab

Zum ersten Mal konnten die Bürger direkt über ihr Staatsoberhaupt abstimmen - eine Neuerung, die auf eine Verfassungsänderung von 2007 zurückgeht. Bisher wurde der Präsident vom Parlament bestimmt. Auch die in Deutschland lebenden Türken konnten vor einer Woche ihre Stimme abgeben . Ihr Interesse blieb allerdings deutlich hinter den Erwartungen zurück. Insgesamt lag die Beteiligung der 2,8 Millionen wahlberechtigten Auslandstürken nur bei etwas mehr als acht Prozent. Der türkische Staatssender TRT berichtete am Sonntagabend, Erdoğan sei bei der Wahl in Deutschland auf fast 69 Prozent der Stimmen gekommen.

Türkei steht vor Wechsel zum Präsidialsystem

Durch das neue Direktwahlverfahren wird das Amt des Präsidenten aufgewertet. Auch inhaltlich dürfte es sich verändern. Bisher ist die Türkei eine parlamentarische Demokratie, der Präsident hat eine eher repräsentative Funktion. Doch Beobachter gehen davon aus, dass Erdoğan die Verfassung im Sinne eines semipräsidentiellen Systems umbauen wird. Dazu benötigt die AKP allerdings eine breitere Parlamentsmehrheit, als sie momentan besitzt. Bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr könnte sie sich den nötigen Stimmenzuwachs verschaffen.

Kritiker warnen, dass es in der Türkei nicht genügend Gegengewicht zu einem starken Präsidenten gibt. Im präsidentiellen System der USA ist die Macht des Staatsoberhaupts institutionell begrenzt, etwa durch die Budget-Befugnisse des Kongresses und die Rechte der Bundesstaaten. Im türkischen System gibt es diese Mechanismen nicht. Mit Erdoğan an der Spitze des Staates dürften die Interessen von Präsident und Regierung vollends verschmelzen.

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:Es wird ihm nicht genügen

Erdoğan hat es geschafft. Er ist gewählt. Doch das Amt des Präsidenten taugt dem Populisten und Polarisierer eigentlich gar nicht. Deshalb will er nun das türkische System umbauen, wie er bereits Istanbul umgraben lässt.

Kommentar von Christiane Schlötzer

Als Präsident könnte Erdoğan bis 2024 regieren

Als Präsident kann Erdoğan theoretisch bis 2024 regieren, zwei Amtszeiten von je fünf Jahren sind laut Verfassung möglich. Damit wäre ihm endgültig ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher, gleich hinter dem laizistischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, dem "Vater aller Türken", der die Republik in den Zwanzigerjahren auf den Ruinen des Osmanischen Reichs aufbaute. Atatürk war von 1923 bis 1938 Präsident der Türkei.

Weder die Gezi-Proteste im vergangenen Jahr, noch die Verwicklung ranghoher AKP-Politiker in einen Korruptionsskandal oder internationale Kritik an seinem autoritären Regierungsstil haben Erdoğans Machtstellung ernsthaft gefährden können. Istanbuls früherer Bürgermeister ist bei seinen Anhängern so beliebt wie eh und je, vor allem im konservativen Mittelstand, dem er zu Wohlstand und Einfluss verholfen hat.

Seit 2002 hat Erdoğan alle Wahlen gewonnen, die es in der Türkei zu gewinnen gibt. Nun hat er den Sprung in das höchste Staatsamt geschafft. Seine Gegner müssen sich auf weitere Jahre mit ihm einstellen.

© Süddeutsche.de/dpa/AFP/Reuters/lse/kfu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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