Türkei-Wahl in Deutschland:"Es wurde langsam mal Zeit"

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Eine Münchner Messehalle wird zum Wahllokal für die türkische Präsidentschaftswahl. (Foto: Robert Haas)

Erstmals können Türken in Deutschland den Präsidenten ihres Landes wählen, ohne dorthin reisen zu müssen. Im Münchner Wahllokal setzen viele auf Ministerpräsident Erdoğan. Der türkische Generalkonsul hat derweil andere Sorgen.

Von Benedikt Becker

Es ist nicht viel los an diesem Vormittag in Halle C4 auf dem Münchner Messegelände. Ein paar Offizielle wuseln geschäftig umher, auf den Wahlkabinen aus Pappe prangt der türkische Halbmond. 63 einheitliche Stände reihen sich in Blocks aneinander, sie sind sichtbar durchnummeriert. Bis zu fünf Helfer sitzen um eine Urne versammelt und warten auf Wähler.

Askin Kaya lächelt zufrieden, als er seinen Stimmzettel in die Wahlurne drückt. Endlich. Auf diese Möglichkeit hat der 29-Jährige lange gewartet. Er kam als Fünfjähriger nach Deutschland, wuchs in Rosenheim auf, machte den Realschulabschluss und arbeitet heute als Einrichtungsberater. Zum Wählen musste er bisher in die Türkei reisen. "Das kann man ja nicht immer machen." Der Familienvater fühlt sich verpflichtet, seine Stimme abzugeben. Dass er das jetzt auch in Deutschland kann, war in seinen Augen längst überfällig.

Es ist eine doppelte Premiere: Erstmals wird der türkische Präsident direkt vom Volk und nicht vom Parlament gewählt. Und erstmals dürfen fast drei Millionen Türken im Ausland auch abstimmen. Noch bis einschließlich Sonntag können auch 1,4 Millionen Wahlberechtigte in sieben deutschen Städten ihre Stimme abgeben. Zuvor müssen sie sich jedoch im Internet registrieren.

Ayse (links) und Askin Kaya sind froh, bei der türkischen Präsidentenwahl ihre Stimme in Deutschland abgeben zu können. (Foto: Robert Haas)

Erdoğan ist der große Favorit

War alles ganz einfach, meint Askin Kaya. Er hat sich online angemeldet, ein Zeitfenster ausgewählt und sofort eine Bestätigung erhalten: Donnerstag, 31. Juli, 8 Uhr bis 12 Uhr, Block 47. Nur 12 000 Türken haben sich wie Kaya für das Münchner Wahllokal registriert, dabei leben in Bayern etwa 175 000 Wahlberechtigte. Kritiker bemängeln, dass die Online-Registrierung ältere Menschen abgeschreckt hat - und im Freistaat nur in einer einzigen Stadt gewählt werden darf.

Immerhin: Auf dem Münchner Messegelände ist alles Schritt für Schritt durchorganisiert. Auf dem Parkplatz wird Askin Kaya ein Platz zugewiesen, danach passiert er die Sicherheitsschleuse. In Block 47 werden er und seine Frau Ayse schon erwartet. Drei Wahlhelfer erklären letzte Details, auf Türkisch natürlich. "Cumhurbaşkanı", steht auf der Wahlurne: Präsident.

Kaya macht keinen Hehl daraus, dass er Recep Tayyip Erdoğan in diesem Amt sehen möchte. Kaya ist überzeugt, dass der umstrittene türkische Premier im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit von mindestens 50 Prozent erreicht. "Die meisten Menschen sind zufrieden damit, wie es in der Türkei läuft", sagt Kaya. Die Korruptionsskandale in Erdoğans Partei und die Proteste rund um den Gezi-Park in Istanbul erwähnt er nicht .

Egal mit wem man spricht, ob jung oder alt, viele Wähler in Halle C4 denken ähnlich und unterstützen den Favoriten Erdoğan. Die Kritik, dass dessen Wahlkampfauftritte in Deutschland und die jetzige Wahl der Integration schaden würden, kann niemand so richtig nachvollziehen. "Wir haben uns doch hier gut integriert", sagt Kaya. Seine Heimat sei beides: die Türkei und Deutschland. Und am liebsten würde er auch bei den deutschen Wahlen abstimmen - zumindest auf kommunaler Ebene.

Oft kommen ganze Familien geschlossen zur Wahl. Vor dem Eingang warten Jugendliche mit deutschem Pass auf ihre Eltern. Das Thema doppelte Staatsbürgerschaft scheint allgegenwärtig. Alle hier wollen, dass das Gesetz bald wirklich verabschiedet wird. Vor allem die jungen Eltern, die ihre Kinderwagen ins Wahllokal schieben und hoffen, dass sich die nächste Generation nicht mehr wie sie selbst für eine Staatsbürgerschaft entscheiden muss.

Diese Erfahrung möchten Mehtap und Yasin Birinci ihrem Nachwuchs ersparen. Zum ersten Mal in ihrem Leben habe sie gewählt, sagt Mehtap Birinci: "Das wurde auch langsam mal Zeit." Ihr Mann ergänzt: "Es ist ein Fortschritt, da sage nochmal einer in der Türkei gibt es keinen Fortschritt." Sie seien politisch interessiert, wie viele Türken. Die Wahl verfolgen sie ganz genau. Eine zweite Wahlrunde sei möglich, sagt Mehtap Birinci, weil sich die zwei größten Oppositionsparteien auf einen Kandidaten geeinigt haben. "Jetzt wirst du aber zu politisch", sagt ihr Mann mit leichter Ironie. "Meinungsfreiheit", kontert Mehtap Birinci. In Deutschland leben, aber türkische Politik mitbestimmen dürfen und können - für beide eine Selbstverständlichkeit.

Ein junger Türke gibt in München seine Stimme bei der Präsidentschaftswahl ab. (Foto: Robert Haas)

Einige Wähler müssen nochmal wiederkommen

Nicht alles funktioniert reibungslos an diesem ersten Wahltag. Oft stimmen die von den Wählern registrierten Termine nicht mit den im System gespeicherten überein. Viele müssen an einem anderen Tag wiederkommen: Da ist die Großfamilie, die extra eineinhalb Stunden aus Burghausen angereist ist. Oder die Münchnerin, die glaubt, dass sie nicht wählen darf, weil sie "ganz bestimmt nicht für Erdoğan stimmt". Und da ist der Hotelbesitzer, der das ganze Verfahren "lächerlich" findet und sich damit tröstet, wegen der Wahl immerhin ein paar Gäste mehr zu haben.

Kadir Eriş, der türkische Generalkonsul in München, bedauert die technischen Probleme und hofft auf Unterstützung aus Ankara. Dort sei die Panne passiert, das Konsulat könne nichts machen. Eriş hofft, dass bis Sonntagabend 20 000 Wähler ihre Stimme abgeben. Wer sich nicht vorher angemeldet hat, kann trotzdem wählen, bekommt einen Termin zugewiesen.

Ob es eine Stichwahl geben wird und er alles in drei Wochen nochmal organisieren muss? Der Generalkonsul zuckt diplomatisch die Schultern. Andere haben überhaupt keine Zweifel an einem Sieg Erdoğans im ersten Anlauf. Sezgin, Informatikstudent aus Ingolstadt, sagt: "Ich habe mich für den zweiten Wahlgang gar nicht registriert."

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