Gefängnisse sind überfüllt, Berichte über Folter im Polizeigewahrsam mehren sich: Seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 hat sich die rechtsstaatliche Lage in der Türkei drastisch verschlechtert. Seit einiger Zeit geht die deutsche Justiz daher vorsichtiger mit Überstellungen von Gefährdern oder Straftätern in das Land um. In einem an diesem Dienstag veröffentlichten Beschluss hat nun auch das Bundesverfassungsgericht klargestellt: Vor einer Abschiebung in die Türkei ist höchste Vorsicht geboten.
In dem Fall geht es um einen in Deutschland geborenen Türken, der hier aufgewachsen ist - 30 Jahre alt, verheiratet, Vater zweier Söhne. Im Jahr 2011 wandte er sich salafistischen Kreisen zu, zwei Jahre später reiste er über die Türkei nach Syrien, um dort die Terrorgruppe Dschunud al-Scham mit Geld und einem Geländewagen zu unterstützen. Von Deutschland aus überwies er den Terroristen 25 000 Euro aus einem erschlichenen Bankkredit. Im Juli 2015 wurde er wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Seit 2016 betreiben die Behörden seine Abschiebung in die Türkei, und im Sommer des vergangenen Jahres schien der Weg frei zu sein, um den Mann loszuwerden. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof konnte "keine beachtliche Wahrscheinlichkeit" dafür erkennen, dass ihm in der Türkei Folter oder eine andere menschenrechtswidrige Behandlung drohe. Gewiss, Anhänger der kurdischen PKK oder der Gülen-Bewegung seien bisweilen gefoltert worden, schrieb das Gericht. Aber bei islamistischen Kämpfern habe man dergleichen nicht gehört. Was immerhin auch Amnesty International bestätigt hatte.
Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes hat sich die Lage in den türkischen Gefängnissen dramatisch verschärft
Die Bürgerrechtsorganisation hatte freilich noch eine andere, ungleich brisantere Information: Ein in Deutschland lebender Türke habe berichtet, sein Sohn - inhaftiert im türkischen Corum - sei schwer geschlagen und gefoltert worden und müsse ohne ärztliche Versorgung in einer Zelle voller Fäkalien schlafen. Dem Bundesverfassungsgericht war bereits dieser Hinweis Anlass genug, die Abschiebung zu stoppen. "Vor dem Hintergrund der als gerichtsbekannt einzustufenden allgemeinen Erkenntnisse zur politischen Situation in der Türkei" hätten Behörden und Gerichte das Schreiben, das nachprüfbare Angaben enthielt, zum Anlass nehmen müssen, den Foltervorwürfen auf den Grund zu gehen. Es sei ein hinreichender Anhaltspunkt für Foltergefahr.
Aber das Verfassungsgericht geht noch einen Schritt weiter. Die deutliche Verschlechterung der Haftbedingungen in der Türkei, wie sie allenthalben beschrieben werde, gebe allgemein Anlass zur akribischen Prüfung drohender Menschenrechtsverletzungen. Karlsruhe bezieht sich dabei auf mehrere Entscheidungen von Oberlandesgerichten. Das Gericht in Bremen etwa verwies Ende September auf einen Bericht des Auswärtigen Amtes. Danach habe sich die Lage in den Gefängnissen wegen Zehntausender Verhaftungen dramatisch verschärft. "Mit überfüllten Zellen, unzureichender und schlechter Ernährung ist zu rechnen. In der Regel sind weder ausreichende Sitz- noch Schlafmöglichkeiten vorhanden", heißt es dort. Eine Missachtung von Artikel 3 der Menschenrechtskonvention, der Folter und unmenschliche Behandlung verbietet, dürfte damit wohl in vielen türkischen Gefängnissen zu erwarten sein. Ein Artikel übrigens, der auch durch den Ausnahmezustand in der Türkei nicht außer Kraft gesetzt wird.
Die Karlsruher Richter verlangen neben sorgfältiger Aufklärung auch, dass Zusicherungen der türkischen Behörden zur Einhaltung der Menschenrechte eingeholt werden. Das müssten dann aber schon sehr konkrete Garantien seien - nachprüfbar durch den ungehinderten Zugang von Anwälten.