Türkische Offensive in Nordsyrien:Und was kommt danach?

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Teilte auf Twitter mit, dass die "Operation Friedensquelle" angelaufen sei: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat den Einmarsch in die Kurdengebiete Nordsyriens befohlen. (Foto: Oliver Bunic/AFP)

Die Türkei nennt ihren Kriegseinsatz gegen die Kurden "Friedensquelle". Er wird sich als das Gegenteil erweisen - für die Türkei, für die Kurden und vielleicht auch für Europa.

Kommentar von Christiane Schlötzer

Man darf sich auf Siegesmeldungen einstellen. "25 Ziele vernichtet", vermeldete ein Twitterer, nur 30 Minuten nachdem Präsident Recep Tayyip Erdoğan ebenfalls über den Kurznachrichtendienst mitgeteilt hatte, dass nun die Operation "Friedensquelle" begonnen hat, der Kriegseinsatz der Türkei auf syrischem Gebiet.

Erdoğans Innenminister, der gelegentlich seinen Chef noch an Härte zu übertreffen versucht, twitterte auch: In zwei Minuten werde die PKK vernichtet sein, so Süleyman Soylu. Die türkische Regierung spricht nur von der "Terrororganisation" PKK, wenn sie die syrische Kurdenmiliz YPG meint, von der sie nun einen 30 Kilometer tiefen und fast 500 Kilometer langen Streifen auf syrischem Gebiet "befreien" möchte.

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Ein höchst riskantes Unterfangen. Die Türkei zieht in einen Krieg, über den man jetzt schon sagen kann, er wird weder zum Frieden in Syrien etwas beitragen, noch wird er die Türkei friedlicher machen. Ankara hatte immer wieder versprochen, sich für ein ungeteiltes Syrien einzusetzen, in seinen bisherigen Grenzen. Nun überschreitet sie diese Grenzen. Nicht zum ersten Mal, aber mit dieser Operation hat sie es sich zum Ziel gesetzt, die gesamte kurdische Quasi-Autonomie in Syrien zu zerschlagen. Nur, was kommt dann?

Will Ankara dauerhaft den Besatzer spielen? Die Pläne, die Erdoğan jüngst vor der UN-Generalversammlung präsentierte - den Bau von 140 neuen Siedlungen für zwei Millionen Flüchtlinge für sagenhafte 24 Milliarden Euro -, sind ein teures Luftschloss im Sand. Kein europäisches Land kann nach einer völkerrechtswidrigen militärischen Invasion einer Besatzungsmacht Geld für den Wiederaufbau geben. Allein kann die Türkei diese Flüchtlingstrabantenstädte aber auch nicht finanzieren. Das Land steckt in der tiefsten Wirtschaftskrise seit fast 20 Jahren. Und wenn US-Präsident Donald Trump seine Drohung wahr macht und Ankara wegen des Krieges wirtschaftlich in die Knie zu zwingen versucht, dann war das, was die Türkei in den vergangenen Monaten an Krise, an Inflation und Arbeitslosigkeit erlebte, erst das harmlose Vorspiel zu einer großen Katastrophe.

Erdoğan tut, als sorge er sich darum nicht. Wohl weil er weiß, dass in Notzeiten in der Türkei sich die Mehrheit traditionell um die Macht schart. Schon deshalb, weil kaum einer als Verräter gelten will, wenn täglich an die patriotischen Gefühle appelliert wird, und erst recht nicht, wenn die ersten Särge mit der roten Fahne aus dem Kriegsgebiet zurückkommen. Für jede Opposition wird es noch schwerer als ohnehin schon, ihre Stimme zu erheben. Dies gilt besonders für die türkischen Kurden und für alle, die gegen den Krieg sind.

Die syrisch-kurdischen Milizen wurden von ihren bisherigen Partnern, den USA, militärisch aufgerüstet. Sie werden sich nicht kampflos zurückziehen. Zwischen die Fronten geraten werden wieder Zivilisten, wieder werden Menschen ihre Häuser verlieren, und womöglich bleibt ihnen erst einmal nur die Flucht. Unter die Flüchtenden könnten sich Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat mischen, die jetzt noch in Gefängnissen der Kurden in Nordsyrien hinter Schloss und Riegel sind. Im Getümmel könnten sie erneut untertauchen, und nicht nur Wege in die Türkei, sondern auch nach Europa finden. Was Erdoğan "Friedensquelle" nennt - was für ein Name für einen Krieg! - wird sich schon bald als Fluch erweisen, als neues Kapitel der Leiden in acht Jahren Krieg.

© SZ vom 10.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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