Erdbeben in der Türkei:Ein später Solidaritätsbesuch von Baerbock und Faeser

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Außenministerin Annalena Baerbock steht mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser in den Erdbebentrümmern der türkischen Stadt Pazarcık. (Foto: Fabian Sommer/dpa)

Zwei Wochen nach dem großen Erdbeben versichern die Außen- und die Innenministerin inmitten von Ruinen: Deutschland hilft. Es soll ein Zeichen sein - zuletzt war das Verhältnis mit der Türkei ja nicht immer einfach. Eindrücke aus dem Katastrophengebiet.

Von Raphael Geiger, Gaziantep

Als Annalena Baerbock und Nancy Faeser durch die Zeltstadt gehen, ruft ein Mann ihnen halblaut nach, so als wäre er nicht sicher, ob er die Ministerinnen aus Deutschland ansprechen darf. "Danke", ruft der Mann auf Deutsch, "vielen Dank!" Er ist einer der wenigen, die überhaupt etwas sagen, die meisten schweigen. Sie sehen zu, wie der Tross aus Berlin an ihren weißen Zelten vorbeizieht, und sagen nichts.

Ein frühlingshafter Tag im Südosten Anatoliens, sonnig, am Horizont noch schneebedeckte Berge. Die Zeltstadt ist eines der neuen Viertel von Pazarcık, jedenfalls für den Moment, mehr als 20 000 Menschen aus der Stadt leben in Lagern wie diesem. Wer hier gelandet ist, ist meistens arm, hat keine Verwandten in anderen Städten, keine andere Wahl.

Es ist Dienstag, die dritte Woche nach den Beben. Außenministerin Baerbock (Grüne) und Innenministerin Faeser (SPD) sind in die Türkei gekommen, weil sie den Türkinnen und Türken weitere Hilfe aus Deutschland ankündigen wollen. 50 Millionen Euro mehr stellt die Bundesregierung für das Erdbebengebiet in Aussicht, davon sind 17 Millionen für Syrien bestimmt. Insgesamt gibt Deutschland damit 108 Millionen Euro.

Das THW und türkische Helfer haben genau für so einen Fall erst vergangenes Jahr geübt

Bei der Ankunft am Flughafen von Gaziantep, einer Großstadt eine Autostunde südlich von Pazarcık, ist die deutsche Hilfe tatsächlich nicht zu übersehen. Ein Airbus A400M der Luftwaffe steht dort auf dem Rollfeld. Als die Ministerinnen landen, werden gerade Hilfspakete des Technischen Hilfswerks (THW) entladen. Der 23. Flug sei es, sagt ein THW-Mann, oft seien es zuletzt drei Flüge pro Tag gewesen. Maschinen voller Zelte, Feldbetten, Generatoren. Erst vergangenes Jahr, sagt er, habe man genau diesen Fall mit der türkischen Seite geprobt.

Ein Erdbeben in der Nähe von Istanbul, genauer gesagt. Das war die Übung. Auch die könnte ja noch ernst werden.

Am Eingang der Zeltstadt in Pazarcık steht am Nachmittag die Außenministerin und sucht nach Worten. "In diesen Zeiten", sagt Baerbock, "stehen wir als Gesellschaften zusammen." Not kenne "keine Nationalität". Es geht ihr erkennbar darum, dass Deutschland als helfend wahrgenommen wird, als ein der Türkei freundlich gesinntes Land. Es war in den vergangenen Jahren ja nicht immer einfach im Verhältnis zwischen Berlin und Ankara.

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Die Außen- und die Innenministerin besuchen das Erdbebengebiet. Und in manchen deutschen Kommunen wird hoffentlich noch mal neu nachgedacht.

Kommentar von Detlef Esslinger

Die Ministerinnen besuchen ein traumatisiertes Land. Erst in der Nacht zuvor hat die Erde wieder gebebt, bei einer Stärke von 6,4, wieder sind Menschen ums Leben gekommen, wieder einige verschüttet worden. 15 Tage nach der Erdbebennacht des 6. Februar. Die Zahl der Toten nähert sich mittlerweile der Marke von 50 000. In der Provinz Hatay stand ein Bürgermeister nach dem erneuten Beben in der Dunkelheit und fand keine Worte: "Was soll ich noch sagen? Wir sind fertig." Am Morgen, bevor die Regierungsmaschine aus Berlin landet, stehen auf den Titelseiten der Zeitungen fassungslose Sätze. "Der Albtraum nimmt kein Ende", steht da.

Selbst der griechische Minister kam früher als die beiden Deutschen

Der Besuch aus Berlin kommt nicht besonders früh. Andere Länder haben schneller Delegationen geschickt, selbst der griechische Außenminister kam deutlich früher als seine deutsche Kollegin Baerbock, trotz aller Konflikte zwischen Griechenland und der Türkei. Als griechische Rettungskräfte kürzlich in Istanbul durch den Basar liefen, wurde ihnen laut applaudiert.

Liegt da eine Chance? Selbst aus Armenien, mit dem die Türkei ein ebenso schwieriges Verhältnis hat, kommt Hilfe, und die Türkei nimmt sie gern an. Vielleicht sortiert sich ja gerade wirklich etwas neu. Das deutsch-türkische Verhältnis ist historisch ein enges, nur in den vergangenen Jahren war es von Konflikten wie der Flüchtlingskrise bestimmt oder dem Streit um inhaftierte Deutsche. Ein deutscher Botschafter in Ankara hatte vor allem die Aufgabe, im Außenministerium vorzusprechen, weil die türkische Regierung ihn mal wieder einbestellt hatte.

Heute spricht Innenministerin Faeser von "tiefer Verbundenheit", und dass es ihr beim Besuch im Zeltlager im Gespräch mit den Menschen dort "fast das Herz zerrissen" habe. Da stehen sie und Annalena Baerbock auf einer Straße im schwer von den Beben gezeichneten Pazarcık, eine Pressekonferenz vor der Kulisse eines in sich zusammengefallenen Hauses. Eine surreale Szene, die Straße ist verlassen, nichts als Zerstörung, selbst die Politikerinnen aus Berlin sprechen ein wenig leiser.

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Die beiden haben noch ein Versprechen mitgebracht. Man wolle Erdbebenopfern mit Angehörigen in Deutschland schnelle Visa ausstellen, damit sie dort "ein wenig zur Ruhe kommen können", so sagt es Baerbock. Sogar einen "Visabus" wolle man einrichten, der zu den Menschen komme. Für die Türkinnen und Türken sind die Schengen-Visa ein emotionales Thema, seit Langem fühlen sie sich durch die Visapflicht diskriminiert. Viele haben gar keine Chance auf ein Visum für Europa. Zumindest nach den Erdbeben soll sich das jetzt ändern.

Ein paar Schritte gehen Annalena Baerbock und Nancy Faeser am Ende noch durch die Überreste von Pazarcık, an diesem stillen Tag zwei Wochen nach der Katastrophe. Durch einen Ort, den es nicht mehr gibt.

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