Türkei:Putsch spaltet die Deutsch-Türken

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Unterstützer des türkischen Präsidenten Erdoğan vor dem türkischen Konsulat in Stuttgart. (Foto: AFP)

Erdoğan versteht es, das angeknackste Selbstwertgefühl der Deutsch-Türken für sich zu nutzen. Viele, aber nicht alle sind für ihn. Die Gräben verlaufen mitten durch Familien.

Kommentar von Deniz Aykanat

Es sind bittere Zeiten, welche die Türken gerade durchmachen - nicht nur in der Türkei, auch in Deutschland. Der gescheiterte Militärputsch und seine Folgen werden die deutsch-türkische Gemeinschaft noch tiefer spalten. Wenn von einer Gemeinschaft überhaupt noch die Rede sein kann.

Bereits in der Nacht von Freitag auf Samstag, als Erdoğan dabei war, den Umsturz abzuwehren, strömten in deutschen Städten die Menschen zu Tausenden auf die Straßen. Sie demonstrierten nicht nur gegen den Putsch durch die Armee, sondern mehrheitlich auch für Erdoğan. Der Präsident rief in der Nacht per SMS das türkische Volk auf, auf die Straßen zu gehen und sich den Soldaten entgegenzustellen. Solch eine SMS war in Deutschland nicht einmal nötig, die Mehrheit der türkeistämmigen Bürger unterstützt Erdoğan. Bei der Parlamentswahl im November 2015 wählten fast 60 Prozent der Türken in Deutschland seine Partei, die AKP.

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Von Lars Langenau

Viele Deutsch-Türken, besonders die älteren, fühlen sich zwar formal integriert, sehen die Bundesrepublik aber nicht als Heimat an. Wahlkämpfe, die vor allem von CDU und CSU mit Stimmungsmache gegen einen EU-Beitritt der Türkei betrieben werden, tragen ihren Teil dazu bei. Genau so wie die immer wieder aufflammende Diskussion, ob Deutschland überhaupt ein Einwanderungsland sei. Auch wenn das faktisch längst so ist. Wie tief die Kränkungen sitzen, die dadurch entstehen, haben kürzlich auch die emotionalen Reaktionen auf die Armenier-Resolution des Bundestages gezeigt.

Türkeistämmige in Deutschland stehen Erdoğan nahe

Erdoğan hat es verstanden, sich das angeknackste Selbstwertgefühl der Deutsch-Türken zunutze zu machen. Dieses "Wir-sind-wieder-wer"-Gefühl, das seine Politik verkörpert, hat ihm nicht nur Anhänger in der Türkei verschafft, sondern gleichermaßen in Deutschland. Die Türkeistämmigen in Deutschland stehen Erdoğan auch deshalb nahe, weil sie zu einem großen Teil religiös geprägt sind. Die teils bösartige Kritik am Islam in Deutschland lässt sie noch enger zusammenrücken.

Abseits davon informieren sich die meisten Deutsch-Türken über das türkische Fernsehen. Das ist stark reglementiert, viele empfangen zudem nur den Staatssender TRT. Kritische Stimmen finden dort praktisch nicht statt, stattdessen werden abstruse Theorien propagiert. Deutschland wolle die Türkei destabilisieren, lautet eine davon.

Distanz zu Erdoğan oder gar Kritik gibt es vor allem unter kurdischstämmigen Türken in Deutschland und unter denjenigen, die der Religion eher fernstehen. Aber die Gräben verlaufen auch mitten durch die Familien, die jüngeren sehen sich viel eher als Deutsche als Eltern und Großeltern. Weitgehende Einigkeit besteht nur darin, dass auch die Deutsch-Türken einen Putsch ablehnen. Die Türkei hat so viele Staatsstreiche erlebt, selten wurde danach etwas besser, meist eher schlechter.

Deutsche und Deutsch-Türken werden sich weiter entzweien

Doch diese Gemeinsamkeit taugt weder dazu, die Deutsch-Türken wirklich zu einen, noch dazu, sie Deutschland näherzubringen. Im Gegenteil. Viele Deutsch-Türken stecken in einem Loyalitätskonflikt: Sie leben in Deutschland in Frieden, sie genießen die Rechtssicherheit und eine freie Presse. Deshalb bleiben sie hier. Gleichzeitig unterstützen sie mehrheitlich einen zutiefst autoritären Politiker.

So bleiben die türkeistämmigen Deutschen gespalten. Die teils wankelmütige Politik gegenüber der Türkei, aber auch gegenüber dem Islam, verschärft diesen Prozess zusehends. Als Reaktion auf den Militärputsch droht die türkische Regierung nun, die Todesstrafe wieder einzuführen. Sollte sie das wahr machen, ist damit ein möglicher Beitritt der Türkei zur EU vorerst perdu. Deutsche und Deutsch-Türken werden sich weiter entzweien.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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