Türkei:Opposition will Referendum anfechten

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Das "Nein"-Lager will den Wahlausgang in der Türkei nicht akzeptieren - und fordert, einen Großteil der Stimmen neu auszählen zu lassen. Was die Opposition genau kritisiert.

Die türkische Opposition will den Ausgang des Referendums über die Verfassungsreform von Präsident Recep Tayyip Erdoğan nicht akzeptieren. Sowohl die prokurdische HDP als auch die größte Oppositionspartei CHP sprechen von Manipulation und kündigten an, das Ergebnis anzufechten.

Die Wahlkommission erklärte das Ja-Lager zum Sieger des Verfassungsreferendums. Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu sagte: "Dieses Referendum hat eine Wahrheit ans Licht gebracht: Mindestens 50 Prozent dieses Volkes hat dazu 'Nein' gesagt", sagte der Chef der kemalistischen CHP in Ankara.

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Die Entscheidung ist gefallen - die Türkei hat für die Verfassungsreform gestimmt - und das Ergebnis spaltet das Land.

Die HDP erklärte auf Twitter, sie verlange eine Neuauszählung von zwei Dritteln der Urnen. Es gebe Hinweise auf eine "Manipulation der Abstimmung in Höhe von drei bis vier Prozentpunkten". Die CHP will bis zu 60 Prozent der Stimmen anfechten. "Das Referendum hätte überhaupt nicht stattfinden dürfen", sagte der CHP-Abgeordnete Sezgin Tanrıkulu. Die Bedingungen unter dem seit Juli 2016 bestehenden Ausnahmezustand seien unfair gewesen. "Unter diesen Umständen hat das Ergebnis keine Legitimation". Wegen Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe werde man Einspruch einlegen.

Kritik zieht vor allem die Hohe Wahlkommission auf sich. Die oberste Wahlbehörde hatte am Nachmittag entschieden, auch Wahlzettel ohne offiziellen Stempel so lange als gültig zu akzeptieren, wie es keine konkreten Hinweise darauf gibt, dass es keine Originale sind. Wähler hatten sich beschwert, dass ihnen Stimmzettel und Umschläge ohne den offiziellen Stempel ausgeteilt worden seien. Laut CHP seien 1,5 Millionen ungestempelte Wahlzettel mitgezählt worden. Die Wahlkommission verteidigte ihre die Entscheidung jedoch. Dies sei nicht das erste Mal gewesen und vor allem sei dies nicht der Fehler der Wähler gewesen. "Die Spielregeln dürfen nicht geändert werden nach dem Beginn des Spiels", sagte Tanrıkulu weiter. Die Entscheidung der Kommission müsse korrigiert werden. Insgesamt sieht die CHP bei 2,5 Millionen Stimmen Unregelmäßigkeiten. Die HDP sagt, sie wolle gegen Fälschungen an zwei von jeweils drei Wahlurnen protestieren.

Zuvor hatte bereits die Istanbuler HDP-Abgeordnete Filiz Kerestecioğlu die Legitimität des Wahlergebnisses angezweifelt. "Schon der Wahlkampf war nicht fair und hat unter ungeheurem Druck stattgefunden", sagte Kerestecioğlu. "Die Entscheidung über ein Präsidialsystem in der Türkei wurde dem Volk aufgedrängt. Selbst ein 'Ja' wird keine Legitimität haben. Es ist deutlich geworden, dass das Volk in der Türkei es ablehnt, die Verfassung auf diese Weise zu ändern."

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Die Opposition beklagte zudem, die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu habe zu früh Teilergebnisse zugunsten des Ja-Lagers veröffentlicht, die nicht mit den Ergebnissen der Wahlkommission übereinstimmten. Türkische Medien beziehen ihre Zahlen vorwiegend von Anadolu. Das Ziel sei gewesen, Wahlbeobachter der Opposition zu demoralisieren, so die Opposition. Nach Angaben von Anadolu lagen die Ja-Stimmen nach Auszählung von 98,99 Prozent bei 51,34 Prozent. Die Nein-Stimmen kamen demnach auf 48,66 Prozent. Oppositionsvertreter in der Wahlkommission bestätigten diese inoffiziellen Anadolu-Zahlen aber zunächst nicht.

Im Laufe des Sonntags hieß es zudem, Wahlbeobachter der Opposition würden durch die Polizei in ihrer Arbeit behindert. Der HDP-Abgeordnete Ziya Pir sagte, aus einem Wahllokal in der Kurdenmetropole Diyarbakir führten Polizisten Wahlbeobachter seiner Partei und der größten Oppositionspartei CHP ab. Hintergrund sei, dass auf Wahlbeobachter-Karten der Betroffenen der Name beziehungsweise das Symbol ihrer jeweiligen Partei abgebildet sei, sagte Pir.

Die Polizisten argumentierten, dass die Verwendung von Parteisymbolen in Wahllokalen am Wahltag nicht gestattet sei. "Die gehen gezielt gegen die HDP und die CHP vor, also gegen das Nein-Lager. Die suchen Gründe, damit wir an den Wahlurnen keine Beobachter haben." Die CHP und die HDP stellen die einzigen flächendeckenden Wahlbeobachter der Gegner des neuen Systems.

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Nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei appelliert der Europarat an die türkische Staatsführung, die Unabhängigkeit der Justiz und die Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Generalsekretär Thorbjørn Jagland erklärte am Sonntagabend in Straßburg, angesichts eines möglichen knappen Wahlausgangs sollte die Staatsspitze ihre nächsten Schritte sorgfältig abwägen. "Es ist von höchster Wichtigkeit, die Unabhängigkeit der Justiz sowie die Rechtsstaatlichkeit zu bewahren, so wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind. Der Europarat, in dem die Türkei Vollmitglied ist, steht bereit, dass Land in diesem Prozess zu unterstützen."

© SZ.de/dpa/Reuters/AFP/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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