Antalya:Wuppertaler Zahnarzt in der Türkei vor Gericht

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Am Flughafen von Antalya ging es für Zahnarzt Kristian B. in eine unerwartete Richtung weiter. (Foto: Sergei Bobylev/imago/ITAR-TASS)

Nach einem Streit am Gepäckband ging es für Kristian B. ins Gefängnis statt an den Strand. Eine Frau warf ihm Beleidigung des Staatspräsidenten vor. Er selbst sagt, es sei um Abstandsregeln gegangen.

Von Tomas Avenarius und Jana Stegemann, Istanbul / Düsseldorf

An der Gepäckausgabe des Flughafens Antalya ist die Stimmung meist heiter: Wer hier auf seine Koffer wartet, hat einen Urlaub an der türkischen Riviera vor sich. Strahlende Sonne, türkis-blaues Wasser, warmes Wetter auch in den späten Monaten des Jahres. Dazu die aufgerissenen Mäuler der knubbeligen Plastikhaifische, unter denen das Gepäck aufs Band rutscht.

Auch Kristian B. will ein paar Tage ausspannen, der 63-jährige Zahnarzt ist am 4. November von Düsseldorf aus nach Antalya geflogen, gemeinsam mit zwei Mitarbeiterinnen seiner Praxis. Doch am Gepäckband endet der Urlaub unerwartet und abrupt, der Deutsche findet sich nicht am Pool wieder, sondern in einer Gefängniszelle. Der Vorwurf: Er soll "den türkischen Staatspräsidenten beleidigt" haben.

Über das, was am Gepäckband geschehen ist, gibt es widersprüchliche Darstellungen. Aussage steht gegen Aussage, die Beweislage ist dünn, im schlimmsten Fall droht dem Deutschen eine mehrjährige Haftstrafe. Der Mediziner wäre nicht der Erste, der wegen Beleidigung des Staatschefs verurteilt wird, in der Türkei sitzen zahlreiche Menschen deshalb in Haft, oft aus politischen Gründen - da passt dieser dehnbare Vorwurf fast immer. In Artikel 299 des türkischen Strafgesetzbuches heißt es: "Wer den Präsidenten der Republik beleidigt, wird mit einem Jahr bis zu vier Jahren Gefängnis bestraft."

Ein unbedeutender Streit - oder Beleidigung des Staatsoberhauptes?

Worum es geht in dem Fall, der die deutsch-türkischen Beziehungen belasten könnte? Um einen offenbar eher unbedeutenden Streit am Gepäckband, um ein paar angeblich laute Worte, um die Angst vor Corona. Nach Angaben seines deutschen Verteidigers Rüdiger Deckers hatte der Zahnmediziner einer in seiner Nähe stehenden Frau gesagt, sie möge den Corona-Mindestabstand einhalten.

Die Reisenden warteten da schon länger auf ihr Gepäck, der Flughafen Antalya ist räumlich sehr beengt, Kristian B. habe Sorge gehabt, sich im Gedränge mit Corona anzustecken. Warum die Frau, eine Türkin, dann die Flughafenpolizei rief, ist unklar: Sie jedenfalls beschuldigt Kristian B., hörbar geschimpft, den Staatschef, die Türkei, die Türken beleidigt zu haben.

Der Zahnarzt sagte laut seinem deutschen Anwalt später aus, es sei ihm nur um die Einhaltung der Corona-Abstandsregeln gegangen. Auch Kristian B.s türkischer Strafverteidiger Ahmet Ünal Ersoy betont, dass es bei dem Streit um den nötigen Abstand wegen Covid-19 gegangen sei. Sein Mandant sei ein "Türkeifreund", habe keinen Grund, das Land zu beleidigen: "Er liebt das Land. Er hat keine Probleme mit den Türken und er hat weder den Staat noch den Staatspräsidenten beleidigt." Der beste Beleg sei doch, dass er türkische Mitarbeiter in seiner Wuppertaler Praxis beschäftige, dass er trotz der Gefahr durch Covid-19 zum Urlaub ins Land gekommen sei.

Vorgeworfen wird Kristian B. laut Ersoy sowohl die Beleidigung der Frau, mit der er am Gepäckband gestritten habe als auch die Beleidigung des Staatspräsidenten auf der Grundlage des Strafgesetz-Paragraphen 299. Zusätzliches Pech für Kristian B. ist, dass seine beiden mitreisenden Angestellten kurz vor Beginn des Streits zum Rauchen nach draußen gegangen sein sollen, sie können nicht zu seinen Gunsten aussagen.

Eine deutsche Urlauberin sei aber Zeugin des Vorfalls geworden und habe ausgesagt, dass sie keine Beleidigung des Staatschefs gehört habe. Auch ein weiterer Zeuge entlastet Kristian B.; auch er habe die Auseinandersetzung zwischen der Türkin und dem Deutschen mitbekommen, aber keine beleidigenden Worte gehört haben.

Bereits an diesem Dienstag soll das Amtsgericht Antalya entscheiden. Der deutsche Anwalt Deckers, der Kontakt zu den Behörden und zum türkischen Verteidiger von Kristian B. hält, sagt, der Zahnarzt habe Glück im Unglück: Normalerweise dauere es Monate, bis ein solcher Fall vor Gericht verhandelt werde: "Wir sind froh, dass wir so schnell einen Termin bei Gericht bekommen haben."

Anwalt Deckers sagt, er habe Vertrauen in die türkische Justiz: "Wir haben keinen Anlass zu glauben, dass der Richter nicht objektiv urteilt." Seinem Mandanten gehe es gut. Er müsse die Zelle zwar mit zahlreichen anderen Häftlingen teilen, dürfe aber oft nach draußen in den Gefängnishof gehen: "Ich höre von ihm keine Klagen, er kommt ganz gut zurecht."

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