Tod von Lech Kaczynski:In der Trauer vereint

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Der Tod von Präsident Kaczynski bei einem Fluzeugabsturz schockt Polen und die Welt. Im Angesicht der Katastrophe scheinen selbst polnisch-russische Differenzen vergessen zu sein.

Ganz Polen trägt Trauer: Nach dem Tod von Präsident Lech Kaczynski erwiesen Tausende Polen ihrem bei einem Flugzeugabsturz verunglückten Staatsoberhaupt die letzte Ehre. Auch in der Nacht riss der Strom der Trauernden, die zum Amtssitz Kaczynskis in Warschau pilgerten und vor dem Präsidentenpalast Blumen niederlegten, nicht ab. Vor einem Kerzenmeer beteten die Menschen und sangen patriotische und religiöse Lieder.

In zahlreichen Kirchen in Warschau, Krakau und vielen anderen Städten wurden Trauermessen abgehalten. Im Warschauer Dom sagte Erzbischof Kazimierz Nycz, der tragische Flugzeugabsturz habe ganz Polen verletzt. Die Tragödie solle aber zur Einheit der Nation beitragen.

Mit militärischen Ehren schickte Russland indes den Sarg des polnischen Präsidenten auf die Heimreise nach Warschau. Das Flugzeug mit dem Leichnam Kaczynskis hob am Sonntagnachmittag vom Flughafen in der westrussischen Stadt Smolensk ab, wie die Agentur Interfax meldete.

Lech Kaczynski starb am Samstag bei einem Flugzeugabsturz in dichtem Nebel im russischen Smolensk zusammen mit einer Delegation aus hochrangigen Politikern, Militärs und Finanzexperten. Keiner der 96 Insassen der Tupolew überlebte den Absturz.

Der 60-jährige Kaczynski und seine Begleiter waren auf dem Weg zu einer Gedenkfeier in Katyn, dem Ort eines sowjetischen Massakers an Tausenden Polen im Zweiten Weltkrieg.

Weltweite Anteilnahme

Regierungschef Donald Tusk sprach vom "tragischsten Ereignis in der Nachkriegsgeschichte" seines Landes. Aus der ganzen Welt gingen Beileidsbekundungen ein.

Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew zeigte sich erschüttert über die Katastrophe und versprach Aufklärung. "Mit tiefem und aufrichtigem Mitgefühl habe ich, wie alle Bürger Russlands, die Nachricht von dieser schrecklichen Tragödie aufgenommen", sagte Medwedew nach Kremlangaben. Er setzte eine Untersuchungskommission unter Leitung von Regierungschef Wladimir Putin ein.

Tusk und Putin trafen noch am Samstagabend am Unglücksort ein und gedachten Kaczynski und der anderen 96 Todesopfer. Gemeinsam legten sie am Ort der Katastrophe Blumen nieder. Putin versicherte Tusk nach Angaben der Agentur Interfax, dass russische und polnische Spezialisten bei der raschen Aufklärung des Unglücks zusammenarbeiten würden.

Mit Tusk war auch der Zwillingsbruder des beim Absturz getöteten Lech Kaczynski, Jaroslaw, nach Smolensk gereist. Zudem trafen die ersten Angehörigen der Opfer mit Flugzeugen auf dem weißrussischen Flughafen Witebsk nahe der russischen Grenze ein, um von dort aus mit Bussen zur Absturzstelle bei Smolensk zu fahren.

Unterdessen landeten die ersten Hubschrauber mit den sterblichen Überresten der Opfer in Moskau, wo die getöteten Passagiere identifiziert werden sollen.

Elite Polens gestorben

Kaczynski wollte mit einer Delegation an der Gedenkfeier für die Ermordung von Tausenden polnischen Soldaten durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD vor 70 Jahren im russischen Katyn teilnehmen. Dort hatte es bereits am Mittwoch eine Gedenkfeier mit Putin und Tusk gegeben - der Putin-Kritiker Kaczynski, der seit Dezember 2005 Präsident war, war nicht eingeladen worden und wollte nun drei Tage später des Massakers gedenken.

Außer dem Präsidenten-Ehepaar kamen bei dem Absturz in Smolensk unter anderem Vize-Parlamentschef Jerzy Szmajdzinski, Vize-Außenminister Andrzej Kremer, der Chef des Generalstabs, Franciszek Gagor, mehrere Parlamentarier sowie die engsten Mitarbeiter Kaczynskis ums Leben. Gestorben sei die "Elite der Nation", sagte Ex-Präsident Lech Walesa.

Regierungschef Tusk rief das Kabinett nach Bekanntwerden des Todes von Kaczynski umgehend zu einer Sondersitzung zusammen. Bronislaw Komorowski, der nach der polnischen Verfassung die Amtsgeschäfte des Staatschefs übernommen hat, ordnete eine Woche Staatstrauer an.

Nach dem Tod des Präsidenten soll bis spätestens 20. Juni ein Nachfolger gewählt werden. Ursprünglich sollten die Präsidentenwahlen im Herbst stattfinden. Komorowski kündigte an, er werde innerhalb von 14 Tagen über den Wahltermin entscheiden. Der Urnengang muss dann an einem Sonntag innerhalb von 60 Tagen nach dieser Entscheidung stattfinden. Komorowski wird nach derzeitigem Stand selbst bei der Präsidentenwahl antreten. Er war bereits Ende März von der liberalen Regierungspartei Bürgerplattform PO zu ihrem Kandidaten ernannt worden.

Spekulationen über Unglücksursache

An der Unglücksstelle südlich der westrussischen Stadt Smolensk lagen zahlreiche Wrackteile des in den polnischen Farben Rot und Weiß gestrichenen Flugzeugs vom Typ TU-154 verstreut. Ermittler sagten, es sei zu früh, um über die Gründe der Katastrophe zu spekulieren. Der Flugschreiber sei sichergestellt. Zuvor hatten Moskauer Medien von einem möglichen Fehler des Piloten berichtet.

Der Pilot der Präsidentenmaschine habe bei nebligem Wetter vier Landeversuche unternommen, sagte der Vizekommandeur der russischen Luftwaffe, Sergej Rasygrajew, der Agentur Itar-Tass. Der Flughafen in der Nähe der Stadt Smolensk sei technisch in einwandfreiem Zustand gewesen. Wegen des Nebels soll dem Piloten angeboten worden sein, in der weißrussischen Stadt Minsk zu landen oder nach Warschau umzukehren, berichteten russische Medien. Demnach habe der Pilot eigenmächtig gehandelt. Das Flugzeug war in einen Wald gestürzt.

Noch kurz zuvor hatte sich der Pilot einer anderen Maschine für ein Umkehrmanöver entschieden. Eine russische Maschine vom Typ Il-76 habe bereits eine halbe Stunde zuvor versucht, in Smolensk zu landen, hieß es. Nach zwei erfolglosen Anläufen sei der erfahrene russische Pilot, der über gute Ortskenntnisse verfüge, dann umgekehrt und nach Moskau zurückgeflogen. Der polnische Pilot soll dagegen trotz der Warnung viermal den Landeanflug versucht haben.

Die Fluglotsen hätten aber kein Recht, dem polnischen Präsidentenflugzeug die Landung zu verbieten.

Ein Luftfahrtexperte von der Technischen Hochschule in Breslau, Tomasz Szulc, sagte, dem Piloten habe wahrscheinlich die "nötige Durchsetzungsfähigkeit" gefehlt. Er erinnerte an einen Zwischenfall vom Sommer 2008. Damals hatte sich ein Pilot wegen akuter Gefahrenlage über die Order des Präsidenten, direkt nach Georgien zu fliegen, hinweggesetzt und war in einem Nachbarland gelandet. Lech Kaczynski musste mit einem Auto nach Tiflis chauffiert werden. Das Staatsoberhaupt warf dem Piloten damals Befehlsverweigerung vor.

© dpa/Reuters/AP/AFP/dpa/wolf/jobr/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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