Thüringen:Regierung gesucht

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Historischer Augenblick: Mike Mohring und Bodo Ramelow im Wahlstudio des Erfurter Landtags. (Foto: Martin Schutt/dpa)

In Erfurt gibt es zwar immer noch kein neues Kabinett, aber schon großes Rätseln über die Debattenbeiträge zweier Ehemaliger.

Von Ulrike Nimz und Cornelius Pollmer, Leipzig

Es war ein Interview mit Joachim Gauck, das dem Neujahrsfrieden in Thüringen ein Ende bereitete. Im Gespräch mit dem ZDF appellierte der Altbundespräsident am Sonntag erneut an die Thüringer CDU, einer Regierungsbildung nicht im Wege zu stehen. "Es sind Mehrheiten vorhanden in Thüringen, die die Wählerschaft geschaffen hat. Und will ich jetzt als CDU-Block dastehen und sagen: So, da schauen wir jetzt mal zu?" Ministerpräsident Bodo Ramelow sei schließlich "nicht gerade aufgefallen als ein kommunistischer Akteur." Und spätestens seit Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus in der Thüringer Allgemeinen auch noch die Idee einer "Projektregierung" darlegte, läuft der Politbetrieb in Erfurt wieder auf Volllast.

Althaus (CDU) hat seiner Partei geraten, mit Ramelow (Linke) gemeinsame Projekte zu vereinbaren, ohne formal eine Koalition zu bilden. Als Minister schlug er Fachleute statt Politiker vor und als Mittler zwischen beiden Seiten: Joachim Gauck.

Seit der Landtagswahl Ende Oktober sind politische Gewissheiten perdu in Thüringen. Zwar ging die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow als Siegerin hervor, für ein Bündnis mit SPD und Grünen jedoch reicht es rechnerisch nicht mehr. Auch die CDU hat mangels Partnern keine Mehrheit. Eine Koalition mit der Linken hat sie ebenso wie mit der AfD ausgeschlossen. Hinzugekommen sind seit der Wahl viele ergebnislose Gespräche über eine CDU-geführte Minderheitsregierung; derweil arbeiten Linke, SPD und Grüne an einer Fortsetzung der rot-rot-grünen Variante als parlamentarische Minderheit. Schon bald will man ein etwa 40-seitiges "Zukunftsprogramm" präsentieren, Grüne und SPD möchten auf Parteitagen darüber abstimmen lassen, die Linke ihre Mitglieder befragen. Anfang Februar will sich Ramelow zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Eigentlich.

Historischer Augenblick: Mike Mohring und Bodo Ramelow im Wahlstudio des Erfurter Landtags. (Foto: Martin Schutt/dpa)

"Wir lernen zu genießen, in welcher spannenden Situation wir uns gerade befinden", sagt Anja Siegesmund, für die Grünen im Landtag und seit dessen konstituierender Sitzung Ende November noch geschäftsführend im Amt als Umweltministerin. Dass ihre Partei von der aktuellen Debatte nicht begeistert sei, liege auf der Hand: Wochenlang habe man die innere Mechanik einer Minderheitsregierung erörtert und wer wann auf wen zugehen müsse. "Wir malochen von früh bis spät, um aus dieser verfahrenen Situation etwas zu machen, und dann kommt dieser Vorschlag von der Seite." Siegesmund glaubt, dass eine Projektregierung sowohl die Thüringer Linke als auch die CDU zerreißen würde. "Wenn Bodo Ramelow ein solches Unterfangen als Krönung seiner politischen Karriere sieht, dann soll er uns das sagen. Wir werden unsere Konsequenzen daraus ziehen", sagt Siegesmund.

Matthias Hey, Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion, sagt, er halte es für "taktisch ziemlich wirr, was die CDU gerade macht, wir müssen hier im Landtag pausenlos Kopfschütteln". Selbst wenn die Idee einer Projektregierung in dieser Woche planvoll platziert worden sein sollte, "der Zeitpunkt ist völlig verfehlt". Zweieinhalb Monate lang habe Mohring gesagt, er unterstütze nicht, er koaliere nicht, er rede nicht mit Ramelow - "und jetzt kommt er drei Minuten vor der Angst an und sagt, na ja, es wäre doch schön, wenn wir mal über Projekte reden. Wer soll denn das noch verstehen?" Eine wirklich tragende Zusammenarbeit von Linkspartei allein mit der CDU kann sich Hey jedenfalls nicht vorstellen, "da wünsche ich eine gute Reise mit Halt auf allen Unterwegsbahnhöfen." Die Frage, wie es in dieser Situation weitergehen könne, müsse nun eine andere Partei beantworten als seine: "Unser Parteivorsitzender Wolfgang Tiefensee hat gesagt, das liegt jetzt alles bei der CDU und da hat er recht, ich unterstreich' das mit Edding."

CDU-Chef Mike Mohring, derzeit im Urlaub, hält an der Sprachregelung von Anfang der Woche fest, wonach der Vorschlag von Althaus "eine Erörterung verdiene". "Sofern der von mir sehr geschätzte Bundespräsident a.D., Joachim Gauck, zu einem Gespräch über die Lage in unserem Land einlädt, werde ich in der CDU dafür werben, diese Einladung anzunehmen", sagt Mohring. Noch am Wahlabend hatte der Fraktions- und Landeschef Signale der Annäherung in Richtung Ramelow gesendet, war dann aber zurückgerudert.

Denkt man die Althaus-Idee unabhängig ihrer Ausgestaltung zu Ende, könnte dieser Bodo Ramelow einmal mehr Historisches erreichen. Er könnte als erster linker Ministerpräsident wiedergewählt werden - und mit dem Juniorpartner CDU an seiner Seite regieren. Ramelow selbst aber will davon nichts wissen. Zum Thema Projektregierung sagt er: "Jeder erfindet sich gerade irgendetwas. Ich habe dazu bis heute weder etwas gesagt noch gemutmaßt, denn über so etwas zu reden ginge nur unter Beteiligung meiner Partei".

Wenn Gauck zu einem Gespräch einlade, sage er natürlich zu, "das ist aber nicht zu verwechseln mit offiziellen Verhandlungen", sagt Ramelow. Dafür sei, noch einmal, seine Partei zuständig. Ramelow, der in Tarifstreits selbst als Vermittler in schwierigen Situationen immer wieder gefragt ist, sagt allerdings auch: "Wenn Joachim Gauck möchte, dass hier etwas mehr Licht ins Dunkel kommt, dann wäre es gut, er würde eine formelle Einladung an die CDU und an die Linke aussprechen." Ansonsten bleibt nach wie vor viel Ungewissheit, Klarheit besteht für Bodo Ramelow im Moment nur in einem Punkt: "Ich kann bestätigen, dass ich mich darüber freue, dass Thüringen auf einmal so viel Interesse aus ganz Deutschland erhält."

© SZ vom 10.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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