Terrorismus:Terror-Opfer sollen mehr Geld bekommen

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  • Ein Jahr nach dem Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz hat der Opferbeauftragte der Bundesregierung Kurt Beck seinen Abschlussbericht vorgestellt.
  • Unmittelbar nach dem Unglück sollen Angehörige zukünftig besser informiert werden.
  • Eine neue Anlaufstelle soll danach Betroffene unterstützen und die Kommunikation mit Behörden erleichtern.
  • Terror-Opfer sollen mehr Geld erhalten und das unabängig von der Staatsbürgerschaft.

Ein Terroranschlag mitten in Berlin - und der Bruder, die Mutter, das Kind könnte unter den Opfern sein. Das vermisste Familienmitglied hat einen Ausweis bei sich. Trotzdem klingeln Polizisten und verlangen eine Zahnbürste für einen DNA-Abgleich. Erst nach drei ungewissen Tagen erhalten die Angehörigen die Todesnachricht. Wochen später schickt das Krankenhaus eine Mahnung an die Familie, weil die Obduktion noch nicht bezahlt sei. "Ich wollte es gar nicht glauben", sagt der Opferbeauftragte der Bundesregierung Kurt Beck (SPD), "aber ich hatte einen solchen Brief in der Hand".

Im Dezember 2016 steuerte ein Terrorist einen LKW auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Er tötete zwölf Menschen und verletzte über 70. Mehr als 130 Opfer und Angehörige leiden noch heute, erklärte Beck ein Jahr nach dem Anschlag. Die Fehler im Umgang mit Opfern und Angehörigen dürften sich nicht wiederholen, so Beck.

Ihre Schicksale, die Pannen in der Aufarbeitung und Vorschläge für die künftige Opferhilfe hat Beck in einem Abschlussbericht zusammengefasst, den er gemeinsam mit Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in Berlin vorstellte.

Ein Jahr nach dem Anschlag in Berlin
:"Dann ist er direkt durch unseren Glühweinstand gefahren"

Ein Überlebender und zwei Hinterbliebene berichten ein Jahr nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt über ihre Erlebnisse, Trauer und entwürdigende Verwaltungsangelegenheiten.

Protokolle von Ronen Steinke und Hans Rubinich

Zu Becks Verbesserungsvorschlägen gehört, unmittelbar nach Terroranschlägen die Angehörigen besser zu informieren. Für viele sei etwa unverständlich, dass sie nicht an den Tatort dürfen, solange die Sicherheitslage unklar ist. Informationen über Zahl und Verbleib der Todesopfer soll ein zentraler Ansprechpartner vor Ort wissen. Außerdem müsse es erlaubt sein, Todesopfer persönlich identifizieren zu lassen, sofern deren Gesichter nicht entstellt seien. "Da hat's Leute gegeben, die sind die ganze Nacht von Krankenhaus zu Krankenhaus gefahren", erzählte Beck über die Nacht des 19. Dezember 2016.

Im internationalen Vergleich wenig Geld für Opfer

Als zentrale Neuerung schlägt sein Bericht zudem eine Anlaufstelle vor, die sich in den Monaten nach einem Anschlag um Betroffene kümmert. Sie soll "dauerhaft stand by gehalten" und nach einem Anschlag eingeschaltet werden. Die Stelle werde Anträge entgegennehmen und sie an die richtige Behörde weiterleiten. Aber sie solle auch Hinterbliebene über Hilfsfonds aufklären und Traumatisierte an Therapeuten vermitteln, denn "Betroffene sind nicht immer nüchtern genug, um zu sagen, jetzt schaue ich mal im Internet."

Justizminister Maas kommentierte, es sei zwar "schlimm, dass wir eine solche Stelle brauchen, aber bedauerlicherweise ist die Realität nun einmal so". Die Bundesregierung habe den Vorschlag bereits beraten und werde ihn umsetzen. Wann die neue Behörde ihre Arbeit aufnimmt, sagte er nicht.

Ebenfalls bereits von der Regierung abgesegnet ist Becks Forderung, dass Hinterbliebene mehr Geld bekommen sollen. Bislang haben sie zwischen 5000 und 10000 Euro erhalten - im internationalen Vergleich ist das Beck zufolge "allenfalls im Mittelfeld".

Die Betroffenen des Berliner Anschlags haben Geld aus einem Härtefonds des Justizministeriums sowie über das Opferentschädigungsgesetz und die Verkehrsopferhilfe erhalten. Ob ein Anschlag mit einem Auto oder einer anderen Waffe begangen wird, "darf natürlich in Zukunft keine Rolle mehr spielen", kommentierte Maas.

Außerdem soll eine Gesetzesänderung ermöglichen, dass ausländische Betroffene künftig genauso viel Geld bekommen wie Deutsche. Unter den Opfern des Berliner Anschlags waren auch Touristen.

Hinterbliebene kritisierten die Kanzlerin in einem offenen Brief

Zu den Ermittlungspannen im Vorfeld, die unter anderem ein Untersuchungsausschuss aufgezeigt hat, sagte der Justizminister bei der Vorstellung des Opferberichts nur, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholen dürfe. Er wies außerdem darauf hin, dass die Bundesregierung 2017 Überwachungsgesetze verabschiedet und verschärft habe, um künftige Anschläge zu verhindern.

Maas und Beck betonten außerdem, dass der Anschlag auf die ganze Gesellschaft gezielt habe und die Opfer vom Breitscheidplatz stellvertretend für diese Gesellschaft stehen.

In einem offenen Brief haben Hinterbliebene der zwölf Todesopfer vor Kurzem kritisiert, dass Angela Merkel ihnen nie kondoliert hat. Das will sie nun nachholen: Am Vorabend des Jahrestags treffen die Kanzlerin und ihr Opferbeauftragter die Betroffenen. Für den Jahrestag selbst kündigte Beck einen Gedenkgottesdienst an.

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