Taiwan:Die mächtigste Frau der chinesischsprachigen Welt

Lesezeit: 3 min

  • Zwei Tage vor dem Amtsantritt Tsai Ing-wens verkündete das Verteidigungsministerium in Peking, man habe in der Nähe Taiwans Manöver abgehalten.
  • Taiwan war einmal Teil des chinesischen Reiches, ist aber seit dem Ende des Bürgerkriegs 1949 de facto ein unabhängiger Staat.
  • Peking dringt auf Wiedervereinigung, die ungelöste Frage nach dem Status Taiwans gehört zu den gefährlichsten potenziellen Krisenherden Ostasiens.

Von Kai Strittmatter, Peking

Schonfrist bekommt sie keine. Wenn die 59-jährige Tsai Ing-wen an diesem Freitag in Taiwan ihr Amt als Präsidentin antritt, dann wird sie die mächtigste Frau der chinesischsprachigen Welt sein.

Die erste offizielle Regentin im chinesischsprachigen Kulturkreis seit der Kaiserin Wu Zetian vor mehr als 1300 Jahren. Alle Augen sind an diesem Freitag auf sie gerichtet. Vor allem Peking wird jedes Wort ihrer Antrittsrede verfolgen, es ist der Druck des großen Nachbarn China, der sie erst einmal in Atem halten wird.

China hat schon mehrere Warnschüsse in Taiwans Richtung abgefeuert, und keiner hat einen Zweifel daran, dass die Adressatin Tsai Ing-wen war: Die neue, für Peking noch schwer einzuordnende Präsidentin des kleinen, von der Welt großteils nicht anerkannten Inselstaats, den China lieber heute als morgen seinem Reich zuschlagen würde.

Taiwan
:Mit Metal zur Macht

Die Jugend in Taiwan fühlt sich als Verlierer der Politik. Deswegen mischt jetzt ein Neuling die Parteienlandschaft des Inselstaats auf: Freddy Lim, Leadsänger einer Death-Metal-Band.

Von Kai Strittmatter

Taiwan war einmal Teil des chinesischen Reiches, ist aber seit dem Ende des Bürgerkriegs 1949 de facto ein unabhängiger Staat. Peking dringt auf Wiedervereinigung, die ungelöste Frage nach dem Status Taiwans gehört zu den gefährlichsten potenziellen Krisenherden Ostasiens.

China erwartet ein eindeutiges Bekenntnis

Taiwan ist eine der lebendigsten Demokratien Asiens, und Tsais Wahl im Januar war Ausdruck davon. Der Machtwechsel bedeutet jedoch erst einmal eine Phase der Unsicherheit, denn die Macht geht nun über von der zuletzt chinafreundlichen Kuomintang hin zur Demokratischen Fortschrittspartei DFP Tsai Ing-wens, die ihre Wurzeln in der Unabhängigkeitsbewegung hat. Es ist nicht das erste Mal, dass die DFP den Präsidenten stellt. Erstmals aber hat sie gleichzeitig auch im Parlament die absolute Mehrheit errungen. Das macht die Unruhe in Peking noch größer.

Tsai war einst Karrierejuristin und Professorin für internationales Handelsrecht, sie hat sich dem Wähler als vorsichtig und zurückhaltend präsentiert. Nichts deutet darauf hin, dass sie Peking vor den Kopf stoßen will. China aber erwartet von ihr ein eindeutiges Bekenntnis zum "Konsensus von 1992". Damals einigten sich die Bürgerkriegsgegner von einst - Taiwans Kuomintang und Pekings Kommunistische Partei - auf ein Bekenntnis darauf, dass es nur "Ein China" gebe. Gleichzeitig blieb es jeder Seite überlassen, die Definition dieses einen Chinas mit sich selbst auszumachen.

Tsai hat sich um dieses Bekenntnis zum einen China bislang gedrückt - viele in ihrer Partei würden ihr das nicht verzeihen. Generell ist in Taiwan die Lust auf weitere Annäherung an China gesunken. Tatsächlich war die in den Augen vieler Taiwaner allzu chinafreundliche Politik des scheidenden Präsidenten Ma Ying-jeou einer der Hauptgründe für das katastrophale Abschneiden der Kuomintang. Sie verliert zum ersten Mal seit sieben Jahrzehnten die Mehrheit im Parlament.

Am Mittwoch erst, zwei Tage vor dem Amtsantritt Tsais, verkündete das Verteidigungsministerium in Peking, man habe in der Nähe Taiwans Manöver abgehalten. Natürlich seien diese "nicht gegen irgendwelche konkreten Ziele gerichtet". Aber die Botschaft war klar: Wir können auch anders, nach Jahren der Kooperation mit der Kuomintang.

Unter Ma Ying-jeou hatte Taiwan 23 bilaterale Verträge mit China geschlossen. Erstmals gab es Direktflüge, Millionen von chinesischen Touristen besuchten seither Taiwan, die wirtschaftliche Verflechtung nahm zu: Mittlerweile nimmt die Volksrepublik China Taiwan 40 Prozent seiner Exporte ab. In den Monaten nach Tsais Wahl jedoch ließ China immer wieder seine Muskeln spielen und gab Taiwan einen Vorgeschmack darauf, wie eine weniger kooperative Zukunft aussehen könnte.

Peking schnappte im März mit dem westafrikanischen Kleinstaat Gambia Taiwan einen der letzten diplomatischen Verbündeten weg. Später übte Peking Druck auf Kenia und Malaysia aus und ließ zum Entsetzen Taiwans aus diesen Ländern mehrere Dutzend des Telefonbetrugs verdächtige taiwanische Staatsbürger nach China deportieren, wo sie nun vor Gericht gestellt werden. In Taiwan spricht man von Entführungen. Plötzlich sinkt auch die Zahl der Touristen aus China.

Tsai Ing-wen, die neue Präsidentin des 23-Millionen-Einwohner-Staats Taiwan, steht vor einem Dilemma. Sie darf das mächtige Peking nicht allzu sehr provozieren. Gleichzeitig wurde sie vor allem von einer zornigen Jugend an die Macht gewählt, die von ihr nicht bloß Schritte gegen die wachsende soziale Ungleichheit und die stagnierende Wirtschaft erwartet - sie will eine Präsidentin, die Taiwan zu einem "normalen Land" macht. Unter den momentanen Umständen fast ein Ding der Unmöglichkeit.

Erste enttäuschte Stimmen waren schon zu vernehmen, nachdem der von Tsai zum Premier bestellte Ökonom Lin Chuan sein neues Kabinett vorgestellt hatte: eine Riege alter Männer vor allem. Nicht der Neuanfang, auf den viele hoffen.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Taiwan
:Wie ein Popsternchen in einen politischen Konflikt geriet

Taiwan will keine Wiedervereinigung mit China. Das Land reagiert mit Zorn auf jede Einmischung Pekings. Das bekam nun auch eine 16-jährige Sängerin zu spüren.

Von Kai Strittmatter

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: