Tagebuch aus Gaza:"Die Menschen hier wollen nur Ruhe und Frieden"

Lesezeit: 6 min

26. Juli: Nach dem Scheitern des Kerry-Plans haben sich Israel und die Hamas wenigstens zu einer zwölfstündigen "humanitären Waffenruhe" bereit erklärt. Zum ersten Mal seit Tagen trauen sich die Menschen aus ihren Häusern.

"Mussa ist mit den Kindern draußen gewesen. Er hat Obst gekauft, Milch und Windeln, Lebensmittel für insgesamt 300 Schekel. Wir wissen ja nicht, wie es weitergeht und wann wir wieder rauskommen.

Jetzt sitzen wir alle in einem Zimmer und warten, dass es Abend wird. Zwölf Stunden lang ist es ruhig - oh Gott, und was wird danach kommen? Ich habe so ein starkes Gefühl, dass heute etwas passiert. Den Kindern habe ich gesagt, sie sollen mittags viel schlafen, damit wir nachts schnell weg können, wenn es sein muss.

Die Nachbarn haben von den Israelis eine Warnung bekommen, dass ihr Haus zerstört wird. Das sind fünf Stockwerke, da kriegen wir auch was ab. Seit drei Wochen leben wir wie in einem Gefängnis. Du darfst nicht denken, dass die Menschen hier Krieg wollen. Die wollen nur Ruhe und Frieden."

27. Juli: Der Waffenstillstand bricht am Abend zusammen, als die Hamas eine Raketensalve auf Israel abfeuert. Die Zahl der Toten steigt auf mehr als tausend.

Nor geht nicht ans Telefon.

28. Juli: Es ist das Ende des Fastenmonats Ramadan. Überall in der muslimischen Welt wird Eid-al-Fitr gefeiert, das Fest des Fastenbrechens. In Gaza bleibt keine Zeit zum Feiern. Es gibt viele Tote auf beiden Seiten. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu kündigt einen "langen Feldzug" an.

"Bekannte von uns sind von einer Rakete abgeschossen worden. Mein Bruder ist gerade zu ihrem Haus unterwegs. Im Radio haben wir gehört, dass auch ein Park beschossen worden ist. Zehn Tote soll es geben, die meisten Kinder. Ich hätte nie gedacht, dass ich bei so einem Fest morgens aufstehe und weinen muss. Wir warten das ganze Jahr auf diesen Tag, auch die Kinder, das ist für uns wie Weihnachten. Aber wie sollen wir uns freuen, wenn so viele gestorben sind. Nirgends gibt es hier Freude.

Mussa ist nach dem Morgengebet zu seiner Familie gegangen. Ich habe mich nicht getraut, mitzugehen. Kais traut sich nicht mal mehr auf den Balkon."

29. Juli: Der schlimmste Tag des Krieges fordert im Gazastreifen nach Angaben der dortigen Behörden mehr als einhundert Tote. Auch das einzige Kraftwerk wird in Brand geschossen, die Stromversorgung wird noch prekärer. Mehr als 100 000 Menschen haben in Einrichtungen der UN Schutz gesucht.

Nor antwortet nicht.

30. Juli: Wieder wird eine Schule der UN beschossen, die voll ist mit Flüchtlingen, mindestens 16 Menschen sterben. Ein Blutbad mit 15 Toten und 160 Verletzten gibt es auch nach Artilleriebeschuss auf einen Markt in Gaza-Stadt.

"Gestern mussten wir aus unserem Haus flüchten. Die Israelis haben Flugblätter abgeworfen, dass wir so schnell wie möglich weg sollen. Ich weiß nicht, wie es meiner Familie geht. Jeder ist irgendwo anders, keiner weiß, wo der andere ist.

Wir sind jetzt bei Fremden und haben um Hilfe gebeten. Ich weiß nicht mal, wo wir genau sind. Mussa meint, hier sind wir sicher. Einen Tag dürfen wir bleiben.

Es sind 50 Leute hier, wir schlafen auf dem Boden. Es gibt fast nichts zu essen und zu trinken. Jeden Tag wird es nur noch schlimmer.

Du kannst dir nicht vorstellen, wie schlecht es uns geht. Die Kinder schreien die ganze Zeit. Ich weiß nicht mehr, wie ich das durchhalten soll. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich will jetzt sterben."

31. Juli: Israel mobilisiert 16 000 weitere Reservisten und kündigt eine Ausweitung des Kriegs an.

Nor ist nicht zu erreichen.

1. August: Israel und die Hamas haben einer 72-stündigen Waffenruhe zugestimmt, die von Freitagmorgen an gelten soll.

"Wir beten, dass es jetzt Frieden gibt. Die vorige Nacht war noch einmal ganz schlimm, alle zehn Sekunden ein Einschlag. Wir liegen auf dem Boden und haben kein Auge zugetan. Die Kinder sind alle krank und haben Durchfall. Wir sind immer noch bei der fremden Familie, aber wenigstens sind Mussa und meine Mutter jetzt auch hier. Mein Vater und meine Brüder schlafen auf der Straße.

Wir wollen heute rausgehen und schauen, ob unser Haus noch steht. Es weiß ja keiner, wie es da aussieht. Hoffentlich bleibt es jetzt ruhig."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema