Parteichef und Kanzlerkandidat Martin Schulz hat erstmals rote Linien für eine Beteiligung der SPD an einer Koalition nach der Bundestagswahl gezogen. Er "garantiere", dass mehrere inhaltliche Punkte für ihn "nicht verhandelbar" seien, schreibt Schulz in einer Anzeige, die an diesem Montag in mehreren Zeitungen erscheint.
An diesem Sonntagabend äußerte sich Schulz dazu auch in einem Livestream im Internet. Einige der Vorhaben, die Schulz verspricht, standen bereits in der zu Ende gehenden Legislaturperiode im Koalitionsvertrag von Union und SPD, wurden dann aber nicht verwirklicht. Die Sozialdemokraten machen dafür CDU und CSU, oftmals auch Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich verantwortlich.
Das Garantieversprechen bedeutet aufgrund der aktuellen politischen Stimmung dennoch ein bemerkenswertes koalitionspolitisches Signal: Schulz schreibt zwar, er wolle diese Ziele als Bundeskanzler verwirklichen. Auch im Livestream bekräftigte er seine Absicht, die Regierung zu führen. Zugleich stellt Schulz aber keine unüberwindlichen Hürden für die Neuauflage einer großen Koalition auch unter Merkels Führung auf. Schulz sagte im Livestream, vier Kernprojekte werde "die SPD in der Bundesregierung in jedem Fall nach den Wahlen anpacken, darauf geb' ich Ihnen mein Wort."
Allerdings ist ein schwarz-rotes Bündnis - jedenfalls nach gegenwärtiger Lage der Dinge - die einzige Variante, in der die Sozialdemokraten überhaupt wieder an einer Regierung beteiligt sein könnten, weil Schulz und die SPD auch nach dem Fernsehduell in den Umfragen deutlich hinter der Union zurückliegen.
In seiner Aufzählung nennt Schulz vier Projekte, die aber in mehrere Ziele unterteilt sind. Dazu gehören zunächst drei Vorhaben im Bereich Arbeit: gleiche und gerechte Löhne für Männer und Frauen, die Abschaffung der willkürlichen Befristung von Arbeitsverträgen sowie das Rückkehrrecht von Teilzeit-Beschäftigten in die Vollzeit-Beschäftigung. Im Bildungsbereich verspricht Schulz einen Ausbau des Ganztagsangebotes, die Modernisierung von Schulen und die Abschaffung von Kita-Gebühren. Des weiteren schließt er Rentenkürzungen sowie eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre aus. Eher allgemeiner Natur und mit der Union unstrittig ist Schulz' Versprechen, sich für mehr Zusammenhalt in Europa einzusetzen.
Bislang haben nur Grüne und die CSU klare Bedingungen gestellt, die für eine Beteiligung der jeweiligen Parteien an einer Koalition erfüllt sein müssen. Diese Bedingungen schließen sich gegenseitig aus. So fordern die Grünen das Bekenntnis zu einem Ende der Ära des Verbrennungsmotors, CSU-Chef Horst Seehofer fordert das Gegenteil. Auch die Forderung der CSU nach einer Obergrenze für Flüchtlinge ist mit der grünen Position unvereinbar - allerdings auch mit der Position von Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel, die eine Obergrenze strikt ablehnt. Bis zum vergangenen Sommer hatten SPD, Grüne, FDP und Linke zudem die Ehe für alle zur Bedingung einer Koalition gemacht. Durch ihr Einlenken in dieser Frage haben Merkel und Seehofer dieses Hindernis aber bereits vorzeitig aus dem Weg geräumt.
Das öffentliche Interesse wandert zu den kleinen Parteien
Schulz reagiert möglicherweise auch auf eine sich abzeichnende Verschiebung des öffentlichen Interesses auf die kleineren Parteien und deren absehbaren Kampf um den dritten Platz hinter Union und SPD, der die beste Ausgangslage für eine Regierungsbildung bedeuten würde. Da die Sozialdemokraten keine realistische Option mehr auf das Kanzleramt zu haben scheinen, könnten potenzielle SPD-Wähler, die keine große Koalition mehr wollen, zu Grünen oder FDP abwandern, um zumindest Einfluss auf den nächsten Koalitionspartner der Union zu nehmen.
Die Vorsitzenden von FDP und Grünen, Christian Lindner und Cem Özdemir hatten am Wochenende übereinstimmend die Meinung geäußert, dass das Rennen um die stärkste Fraktion zugunsten der Union entschieden sei. Beide warben deshalb offen darum, ihre Parteien als potenziellen Koalitionspartner Merkels zu stärken. "Wer uns stark macht, macht Druck auf die Union", sagte Lindner der Zeitung Die Welt. Özdemir sagte dem Tagesspiegel: "Die Wähler stehen vor einer Richtungsentscheidung: Wird die nächste Bundesregierung von den Grünen geprägt - oder kommt die alte FDP zurück ans Ruder?"