SZ-Serie: Der Weg nach Berlin:Rundgang durch negative Klischees

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Im armen Norden Dortmunds braucht Sabine Poschmann von der SPD eine Art Stadtführer, wenn sie "Saufräume" und Gründerzentren besucht. In Berlin, verspricht sie, will sie die arme Verwandtschaft im Ruhrgebiet nicht vergessen.

Von Bernd Dörries

Politiker "sind doch alle gleich", lautet das Pauschalurteil vieler Deutscher. Sind sie nicht. Die Süddeutsche Zeitung begleitet bis zur Bundestagswahl sieben Kandidaten aus sieben Parteien - Fehler und Rückschläge inklusive. Sabine Poschmann tritt für die SPD in ihrer Heimatstadt Dortmund an, der Wahlkreis ist für eine Sozialdemokratin nicht verlierbar. Und trotzdem gibt es Gegenden, in denen man sich dringend mal zeigen muss.

Auf dem Nordmarkt haben die Händler Planen aufgespannt, darunter verkaufen sie Paprika und Unterhosen, Tomaten und Kopftücher. Es ist Markttag; neben den türkischen Händlern stehen ein paar Alkoholiker an einer Trinkhalle, eine Suchtberatung hält in einem alten Kiosk Sprechstunde. Stolz und Probleme liegen recht nah beieinander in der Nordstadt, die zum Wahlkreis von Sabine Poschmann gehört. Sie läuft über den Borsigplatz, auf dem die Fans der Borussia ihre Meisterschaften feiern, wenige Meter neben dem Lokal, in dem der Verein einst gegründet wurde.

Sie läuft aber auch durch Straßen, in denen Sinti und Roma in runtergekommenen Häusern arbeiten und vor denen Männer und Frauen ihre Körper verkaufen, auf dem Bau oder im Bett. "Es gibt viele negative Klischees über die Nordstadt. Es ist aber ein spannender Stadtteil, der alles bietet", sagt Poschmann.

In Dortmund ist es so wie im ganzen Ruhrgebiet: Der Norden ist arm, dem Süden geht es besser. Poschmann kommt aus dem Süden der Stadt, damals im parteiinternen Vorwahlkampf hatte sie eine Gegnerin aus der Nordstadt. Es ist jetzt also keine schlechte Idee, mal das Gebiet zu besuchen, in dem einige Sozialdemokraten nun vielleicht etwas skeptisch schauen, ob die aus dem reicheren Süden auch etwas für den Norden tut.

Poschmann will sich für mehr Betreuung einsetzen

Hubert Nagusch ist nun so etwas wie ihr Stadtführer. Er ist Projektleiter des Nordstadt-Büros, einer lokalen Wirtschaftsförder-Initiative, und Chef des SPD-Ortsvereins. Er schaut hinein in einen "Saufraum" - dort wird das Prinzip der Fixerstuben auf Alkohol angewendet. Vor der Tür stehen die Logos der Bundesregierung und der EU, die das Projekt gefördert haben. Drinnen kann man rauchen und eine Suppe essen, das Bier muss selbst mitgebracht werden. "Die meisten hier haben noch den Stolz, ein Dortmunder Bier zu trinken." Poschmann sagt, sie sei gegen solche Projekte, weil es "eine Art Wegschließen" sei. Die Säufer weg von der Straße - Problem gelöst? Sie möchte sich als Abgeordnete für mehr Betreuung einsetzen.

Trostlosigkeit und Hoffnung liegen nicht weit auseinander in der Nordstadt. Es geht weiter durch Straßen mit schönen Altbauten, vorbei an türkischen Restaurants und Buden, an denen es schlesische Würste zu kaufen gibt. Dann wieder ein Hochhaus, das zu den Schrott-Immobilien einer Bausparkasse gehört und nun mit vernagelten Fenstern dasteht.

Vor Poschmann liegt nun ein Haus, das ein bisschen an ein Kreuzfahrtschiff erinnert, von den Menschen hier aber Hannibal genannt wird. Im Erdgeschoss liegt das Gründerinnenzentrum, dass sich auch an Einwanderinnen richtet, die ermuntert werden, sich selbständig zu machen. Aus Putzfrauen werden Unternehmerinnen, Akademikerinnen gründen ein Übersetzungsbüro. "Es ist eine Erfolgsgeschichte", sagt Poschmann. Damit es so bleibt, müssen Zuschüsse weiter fließen.

Die Nordstadt hat schon viele Politiker kommen und gehen sehen. Viele haben nur etwas versprochen. Andere kämpfen hier jeden Tag einen kleinen, aber recht erfolgreichen Kampf für Veränderung, so wie Hubert Nagusch. Sabine Poschmann, die Frau aus dem Dortmunder Süden sagt, sie werde in Berlin die arme Verwandtschaft nicht vergessen.

© SZ vom 06.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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