Eine Revolution ist ein Augenblick radikaler Veränderung, ein jäher Umsturz. Donald Trump will eine solche Revolution anführen. Davon hat er immer gesprochen. Als er am 20. Januar im Schatten der Kongress-Kuppel vereidigt wurde, brauchte er nur wenige Sätze, um zum Kern seiner Botschaft vorzustoßen: Eine Vision werde das Land leiten, die Vision von der Herrschaft des Volkes, geschützt vom Militär und von Gott. Dies sei, so Trump, eine "historische Bewegung, wie sie die Welt noch nie gesehen hat".
Zwei Wochen später hat die Welt verstanden: Der Mann meint es ernst.
In dieser Zeit hat Trump 14 Exekutiv-Anweisungen oder präsidentielle Absichtserklärungen gezeichnet. Er hat einen Kommandoeinsatz in Jemen befohlen und in mehreren Telefonaten mit ausländischen Regierungschefs sich widersprüchlich oder gar blank beleidigend geäußert. Seine Einlassungen zu Handel, Währung und Sicherheit haben innenpolitische und zwischenstaatliche Krisen in allen Winkeln der Welt ausgelöst. Israel und Mexiko liegen im diplomatischen Clinch, die Kämpfe in der Ukraine wären ohne die schiere Existenz des Präsidenten kaum denkbar.
Trump hat darüber hinaus eine spektakuläre Personalentscheidung für den Obersten Gerichtshof getroffen und die Hierarchie-Ordnung für den nationalen Sicherheitsapparat auf den Kopf gestellt, indem er die Generalstabs- und Geheimdienstchefs schlicht vor die Tür setzte. Sein Dekret zur Einreise von Staatsbürgern aus sieben muslimisch geprägten Staaten hat Straßenproteste und Klagen vor verschiedenen Bundesgerichten nach sich gezogen und wird mit großer Sicherheit eine Verfassungskrise provozieren. Die von ihm für diese Probleme bestellten Kabinettsmitglieder waren in die Entscheidung nicht einbezogen. Hingegen schält sich heraus, dass die mächtigste Nation der Erde von einer kleinen Clique von Ideologen ohne administrative und exekutive Erfahrung regiert wird.
Man sollte meinen: Das reicht für den Anfang. Doch die eigentliche Frage ist: Was kommt noch? Und: Wie weit wird Donald Trump am Ende gehen?
"Wir haben noch nicht auf Alarmstufe Rot, aber wir befinden uns definitiv in der Notaufnahme und stürzen auf die Intensivstation zu", sagt Norman Ornstein, einer der bekanntesten Verfassungsexperten und System-Kenner des Washingtoner Polit-Betriebs. Francis Fukuyama, Politikwissenschaftler in Stanford und bekannt für sein Buch "Das Ende der Geschichte", stellt die verstörende Frage, ob die amerikanische Demokratie "stark genug ist für Trump" - ehe er für ein bisschen mehr Gelassenheit plädiert.
Gelassenheit ist freilich Bückware im Washingtoner Zirkus. Hingegen mangelt es nicht an apokalyptischen Untergangsszenarien: über den Präsidenten, den politischen Betrieb, die amerikanische Demokratie, die Verfassung und den Westen überhaupt. David Frum, für kurze Zeit Redenschreiber von George W. Bush, verfasste eine ausführliche Wegbeschreibung für den Marsch der USA in den Sumpf einer Autokratie. Beliebt ist auch der Vergleich mit Adolf Hitler, so angestellt vom Madrider Bürgermeister und dem einen oder anderen Gelegenheitsschreiber.
Der Faschismus-Verdacht, den geschichtsbewusste Beobachter vor allem in Deutschland eher mit spitzen Fingern anfassen, hat in den USA Konjunktur. Angesehene Autoren wie Jeffrey Tucker oder Robert Kagan sparen nicht mit dem F-Vergleich. Stimmt nicht ganz, sagt indes der Geschichtsprofessor John McNeill von der Georgetown Universität, der in einem Faktencheck der Washington Post Donald Trump 26 von 44 möglichen Mussolini-Punkten zubilligt.
Die seriösen Analysten beschäftigen sich unterdessen mit dem Regierungssystem und stellen die Frage nach den Fesseln, die Trump von der US-Verfassung und den konkurrierenden Institutionen angelegt werden können. Und siehe da: Dieser Präsident mag schnell und hemmungslos gewesen sein in den ersten beiden Wochen, aber ungewöhnlich ist sein Gebaren nicht. Vor allem die Exekutiv-Dekrete, die Trump quasi in Serie unterschrieben hat, sind seit mindestens 40 Jahren beliebte Regierungswerkzeuge und wurden auch von Trumps Vorgänger Barack Obama immer wieder angewendet.
Überhaupt hat sich im US-System in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich die Macht zugunsten des Präsidenten verschoben. Die politische Ordnung, angelegt von den Verfassungsvätern vor 227 Jahren, wollte diesen starken Anführer, der mit fast königsgleicher Autorität ausgestattet war (siehe Kasten auf dieser Seite). Aber: Diese Ordnung sieht eigentlich auch eine kontrollierende und selbstbewusste Legislative auf der Gegenseite vor.
Das Ergebnis: Seit jeher ringen Kongress und Präsident um die Macht - in den vergangenen Jahrzehnten freilich in großer Einseitigkeit. Während vor allem die Republikaner mit politischem Fundamentalismus den Regierungsbetrieb aufhalten wollten, suchte das Weiße Haus nach Schlupflöchern für die Macht des Präsidenten. Eine Batterie von 50 Anwälten sorgte unter Obama für den reibungslosen Betrieb mithilfe der Exekutiv-Dekrete. Einzig über die Haushalts- und die Personalbewilligung konnte das Parlament den Präsidenten ärgern. Während die Demokraten in der Bush-Zeit noch etwa fünf Nominierungen pro Jahr die Zustimmung verweigerten, trieben die Republikaner die Blockade auf 16 Ernennungen pro Jahr hoch.
Trump übernimmt nun nicht nur die Exekutiv-Vollmachten, die seit Bush auch mehr und mehr das Militär und sogar die Vollmacht zur Tötung eigener Staatsbürger umfasst. Er spielt mit seinen populistischen Werkzeugen und sieht sich einem Kongress gegenüber, der - mehrheitlich republikanisch - unentschlossen ist über den Grad der Gefolgschaft. Trump wird nicht allzu viel Zeit auf die Bedürfnisse der Abgeordneten verschwenden. Schon jetzt hat er mehrmals die Grenzen der Verfassung getestet, etwa mit seiner Weigerung, Vermögen und Unternehmen in neutrale Hände zu geben oder mit dem Einwanderungs-Dekret, das im Widerspruch zur Gesetzgebung steht.
Widerstand wird also zunächst von der Zivilgesellschaft kommen und von den Gerichten, die im föderalen System gerade in politisch widerspenstigen Bundesstaaten an Bedeutung gewinnen. Widerstand kommt aus einer (freilich sehr fragmentierten) Medienlandschaft. Selten wurde Journalisten in ihrer Rolle als öffentliche Beobachter so viel Verantwortung übertragen. Und Widerstand kommt wohl auch aus den Tiefen des Beamtenapparats, der sich mit seiner Marginalisierung nicht so schnell abfinden wird. Und, wie der Politikwissenschaftler Fukuyama trocken bemerkt: Trump hat keine 4000 Kinder oder Schwiegersöhne, um alle Posten in Washington zu besetzen.
Schlussendlich wäre es auch nicht weiter verwunderlich, wenn während der Trump-Amtszeit die Nuklearwaffe der präsidentiellen Kontrolle gezündet würde: ein Amtsenthebungsverfahren. Es darf angestrengt werden etwa bei Verrat, Bestechung oder anderen schweren Straftaten. Das Repräsentantenhaus muss das Verfahren mit Mehrheit beschließen, der Senat führt dann einen Art Prozess unter Vorsitz des Obersten Richters des Supreme Court durch, und am Ende müssten zwei Drittel der Senatoren die Entlassung billigen. In der Geschichte ist das noch nie vorgekommen. Aber Trump selbst sagt ja, dass er eine revolutionäre Bewegung anführe.