Syrienkrieg:Assad macht Eigentum zur Waffe

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Eine Frau in der zerstörten Altstadt von Aleppo. Das Assad-Regime legt jetzt die Regeln für den Wiederaufbau in Syrien fest. (Foto: dpa)

Das Regime in Damaskus ändert das Baurecht. Die neue Regelung könnte vielen Flüchtlingen ihren Besitz nehmen - und damit den Anreiz, nach Syrien zurückzukehren.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo, Stefan Braun, Hannah Beitzer und Constanze von Bullion, Berlin

Die schrecklichen Schlachten des Krieges sind in Syrien vielleicht bald vorbei. Die politischen Auseinandersetzungen sind aber noch lange nicht erledigt. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad arbeitet nicht nur weiter an der militärischen Rückeroberung der letzten Rebellengebiete. Es hält zugleich Wiederaufbau-Messen ab. Und es schafft - was noch einschneidender sein dürfte - die juristischen Voraussetzungen, um zerstörte Städte nach seinen Vorstellungen wieder aufzubauen. Voraussetzungen, die für die 5,6 Millionen Flüchtlinge und 6,1 Millionen Binnenvertriebenen schwerwiegende Folgen haben können.

Viele von ihnen könnten in den kommenden Monaten das verlieren, was noch übrig ist von ihren Häusern oder Wohnungen - und damit auch den Anreiz für die Rückkehr in ihre einstige Heimat. Dekret Nummer 10, das Präsident Baschar al-Assad am 4. April unterzeichnet hat, ermöglicht es der Regierung, neue Bebauungspläne zu erlassen. Lokale Expertenkomitees sollen dann die Eigentumsverhältnisse in den Gebieten klären, wo es keine formellen Kataster gibt - oder diese im Krieg zerstört wurden, wie etwa in Homs. Binnen 30 Tagen nachdem ein solcher Entwicklungsplan per Dekret erlassen wird, müssen die Besitzer von Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen ihre Eigentumsrechte nachweisen. Anderenfalls kann ihr Besitz versteigert oder der öffentlichen Hand zugeschlagen werden. Entschädigungen sind nur beschränkt vorgesehen.

Die Meldung dürfte unter Syrern in Deutschland Unruhe auslösen

Arabische Medien vergleichen das Dekret mit dem israelischen Abwesenheitsgesetz, das als Grundlage zur Enteignung palästinensischer Landbesitzer diente. Nicht viel anders dürften es auch viele syrische Flüchtlinge in Deutschland empfinden. Sie könnten durch das Dekret sehr schnell unter Druck geraten, sich binnen weniger Tage nach Syrien aufzumachen, obwohl sie gerade vor Assad geflohen sind oder sich dem Wehrdienst entziehen. Ähnlich wie frühere Berichte über Probleme bei der Vergabe von Visa an Familienmitglieder dürften die Meldungen unter den Syrern in Deutschland große Unruhe auslösen.

Die Berliner Politik hielt sich mit offiziellen Reaktionen zunächst zurück. In der Regierung hieß es aber, dass Assads Dekret bereite große Sorgen. Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, sagte vor einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel, für Flüchtlinge es sei von zentraler Bedeutung, "dem Recht auf den eigenen Besitz zur Geltung zu verhelfen". Grandi bestätigte zugleich, dass schon jetzt Zehntausende Syrer versuchen würden, ihr verlorenes Eigentum zurückzubekommen. Nach Ende des Krieges wüssten die Menschen oft nicht, wie sie wieder an ihr Eigentum kommen sollte, so der UN-Hochkommissar. Er erinnerte daran, dass das UN-Flüchtlingshilfswerk in anderen früheren Kriegsgebieten damit begonnen habe, dafür ein Netzwerk an Rechtsberatern aufzubauen.

UN-Experten aus der Region sagten, das Dekret werde besonders den Mittelstand treffen, der zu einem frühen Zeitpunkt der Krise geflohen sei. Ein nicht unerheblicher Teil von ihnen lebt derzeit in Deutschland und Europa.

Problematisch ist der Eigentumsnachweis vor allem in sogenannten informellen Gebieten, die ohne Stadtplanung schwarz gebaut worden sind. Nur für etwa die Hälfte des Landes in Syriens existieren laut der Weltbank Kataster. Etwa 40 Prozent aller Wohnungen lagen laut offiziellen Zahlen der Regierung schon im Jahr 2004 in solchen Vierteln. Der Anteil der Bevölkerung, die dort gelebt hat, dürfte deutlich höher sein, weil die Familien dort größer sind als in den wohlhabenderen Gebieten. Manche sind Arbeiter- oder Handwerkerviertel, manche großstädtische Slums - bis 2011 dürfte der Anteil weiter gestiegen sein. Sie wuchsen durch die rapide Zunahme der Bevölkerung und die von Dürren befeuerte Landflucht.

Oft wohnten hier überwiegend konservative Sunniten. Hier fand der Aufstand gegen Assad Unterstützung, hier hatten die Rebellen Hochburgen. Das Regime reagierte mit Belagerungen, dem Bombardement und der Vertreibung der Bewohner. Nun sollen die Menschen, die vorher oft schon nicht über Grundbuchauszüge oder andere Dokumente verfügten, ihr Eigentum binnen 30 Tagen nachweisen, wenn die Regierung ein Bebauungsplan für ihr Gebiet erlässt. Viele werden dazu nicht in der Lage sein.

Und das nicht nur, weil sie im Ausland oder anderen Teilen Syriens leben. Nach einer Studie des Norwegian Refugee Council verfügen nur 17 Prozent der in Nachbarländern geflohenen Syrer noch über Eigentumsdokumente. Zwei Drittel haben aber im eigenen Haus oder der eigenen Wohnung gelebt. Ihnen ist wenig damit geholfen, dass Verwandte bis zum vierten Grad sie vor den Behörden vertreten können - gerade wenn Angehörige vom Regime gesucht werden. Potenziell betroffen sind Hunderttausende, wenn nicht Millionen Syrer. Wie viele der zurzeit in Deutschland lebenden Syrern betroffen ist, lässt sich nicht sagen.

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Viele fragliche Viertel liegen entweder nahe der Zentren großer Städte wie Aleppo, Damaskus und Homs oder an deren Rändern. Damit sind sie für Investoren interessant. In Homs gibt es Pläne für eine Shopping-Mall und gehobene Wohnquartiere. Ähnliche Umwandlungen hat es bei Damaskus schon auf Basis eines Dekrets aus dem Jahr 2012 gegeben. Die Entschädigungen sind viel zu niedrig, als dass die einstigen Bewohner sich das Leben in den neuen Siedlungen leisten könnten. Auch bieten sie gar nicht genug Platz im Vergleich zu den extrem dicht besiedelten informellen Vierteln, die sie ablösen.

Assad aber kann mit solchen Projekten ihm ergebene Geschäftsleute und Milizenführer belohnen, die das Überleben des Regimes gesichert haben - und womöglich andere Verbündete. Oppositionelle fürchten, dass das Dekret Grundlage wird für strategische Ansiedlungen unter der Kontrolle iranischer Firmen, die zu den Revolutionsgarden gehören. Im Grenzgebiet zum Libanon könnte die schiitische Hisbollah davon profitieren. Bedroht von der faktischen Enteignung sind vom Regime zuvor zerstörten Oppositionsgebiete und die dort überwiegend lebenden Sunniten. Die Nationale Koalition, der wichtigste Zusammenschluss syrischer Oppositionsgruppen, sieht darin "den Plan des Assad-Regimes, die demographische Landschaft in Syrien nachhaltig zu verändern".

Und die internationale Gemeinschaft? Sie trifft sich an diesem Dienstag in Brüssel. Die Europäische Union hat zu einer Syrien-Geberkonferenz in Europas Hauptstadt geladen. Die Konferenz soll Milliarden Euro für humanitäre Hilfe bringen. Für einen groß angelegten Wiederaufbau, wie Russland ihn fordert und Assad mit seinem Dekret nun forciert, macht die EU aber weiter eine umfassende politische Lösung des Konflikts unter Vermittlung der UN zur Voraussetzung. Mit anderen Worten: Bis auf weiteres wird es für Assads jüngste Manöver wenigstens kein zusätzliches westliches Geld geben.

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