Syrien:Was der Wiederaufbau Syriens kosten würde

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Gang durch Trümmer: Teile Ost-Aleppos liegen in Schutt, ein Leben in den früheren Rebellen-Stadtteilen ist kaum möglich. (Foto: Joseph Eid/AFP)
  • Ein neuer Bericht der Weltbank stuft das Ausmaß der Zerstörung in Syrien weit geringer ein, als Pressebilder es nahelegen.
  • Doch etliche umkämpfte Städte wie Aleppo sind schwer getroffen: Die Straßen sind unbefahrbar, Wasser- und Stromversorgung desolat.
  • Zumindest finanziell wäre der Wiederaufbau Syriens aber kein Ding der Unmöglichkeit.

Von Jan Schwenkenbecher, München

Zerschossene, ausgebombte und rußgeschwärzte Betonskelette, ohne Dächer, ohne Fenster, es waren einmal Häuser. Auf den Straßen zwischen den Ruinen türmt sich der Schutt meterhoch, dazwischen von Kugeln zersiebte Autowracks. Das sind die Bilder, die den heutigen Eindruck von Syrien prägen und die Frage aufwerfen, wie viel Leben überhaupt noch in diesem Land steckt nach inzwischen sechs Jahren Bürgerkrieg, einer halben Million Toten, gut fünfeinhalb Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen.

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32 Prozent aller Häuser sind vom Krieg beschädigt - im Durchschnitt

Wie schwer Syrien tatsächlich zerstört worden ist, zeigt ein jüngst veröffentlichter Bericht der Weltbank. Mehrere Dutzend Forscher haben im Auftrag des Instituts acht der 14 syrischen Gouvernements untersucht, das entspricht ungefähr 80 Prozent der Fläche des Landes. In die Analyse eingeflossen sind dabei sehr unterschiedliche Daten. Fernerkundungsdaten wie Satellitenbilder etwa, aber auch Berichte von den Partnerbehörden der Weltbank oder Bilder aus sozialen Netzwerken, um die vorliegenden Daten zu verifizieren. Und: Auch Informationen syrischer Regierungsbehörden werden berücksichtigt. "Solche Informationen sind schwer einzuschätzen in ihrer Korrektheit, weil sie nicht verifizierbar sind", sagt Daniel Müller, Syrien-Experte der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. "Aber es ist wahrscheinlich das einzig mögliche Vorgehen." Der Bericht, so Müller, "scheint gut gemacht zu sein".

Der Studie nach sind in den untersuchten Gouvernements 32 Prozent aller Häuser vom Krieg betroffen - 23 Prozent sind beschädigt worden, neun Prozent völlig zerstört. In der Millionenstadt Aleppo, aus der die Rebellen vor etwa einem halben Jahr vertrieben worden sind, seien 30,8 Prozent der Wohnhäuser beschädigt oder ganz zertrümmert. Das sind Zahlen, die nicht zu den Pressefotos passen, die häufig den Eindruck totaler Zerstörung hervorrufen. "Auf das gesamte Syrien bezogen, kann ich die Zahlen nachvollziehen", sagt Mamoun Fansa, Archäologe und Honorarprofessor an der Universität Oldenburg, zu der Weltbank-Studie. "Im Kleinen aber muss man genauer hinschauen." 30 Prozent Zerstörung für Aleppo halte er für unrealistisch, sagt der in Aleppo geborene Fansa. "Ost-Aleppo ist eigentlich fast komplett zerstört, in der Altstadt sind das eher 70 Prozent", so der Professor. "Da wohnt auch niemand mehr."

Eine Luftaufnahme zeigt, dass manche Bezirke der Millionenstadt Aleppo zerstört, andere aber verschont worden sind. (Foto: Joseph Eid/AFP)

Unbefahrbare Straßen, miserable Wasser- und Energieversorgung

Der Bericht hat nicht nur den Zustand der Wohnhäuser untersucht, sondern auch die Schäden der Infrastruktur. Besonders auffällig sind Zerstörungen an Krankenhäusern und Schulen. Von den Gebäuden im Gesundheitssektor etwa sind die Hälfte beschädigt und 16 Prozent zerstört: Kliniken waren oft Ziele der syrischen Luftwaffe, um den Rebellen die Unterstützung der durch den Krieg besonders hart getroffenen Zivilbevölkerung zu entziehen. Im Bildungssektor, bei Schulen und Universitäten, sind die Einrichtungen zu 53 Prozent beschädigt und zu zehn Prozent zerstört.

Sehr viele Straßen sind unbefahrbar, sei es durch Bombentrichter, Granateinschläge und Trümmer oder durch Barrikaden und andere militärische Blockaden. In Aleppo betrifft das ein Drittel des 4500 Kilometer langen Straßensystems. Allein in dieser Stadt schätzt die Weltbank den angefallenen Trümmerberg auf 15 Millionen Tonnen Schutt. Dem Bericht zufolge würde die Räumung dort sechs Jahre kontinuierliche Arbeit erfordern, die Lastwagen müssten dafür 26 Millionen Kilometer fahren.

Auch die Wasserversorgung - sie war in Teilen schon vor Beginn des Kriegs 2011 schlecht -, ist miserabel. 30 Prozent der Wassertürme- und -tanks, 63 Prozent der Wiederaufbereitungsanlagen und 14 Prozent der Brunnen sind beschädigt oder zerstört. Die Energiegewinnung fiel um weit mehr als die Hälfte: von 43 164 Gigawattstunden im Jahr 2010 auf 16 208 Gigawattstunden 2015, ein Verlust von 62,5 Prozent. So wie die Infrastruktur ist die Wirtschaft Opfer des Kriegs: Die Exporte fielen zwischen 2011 und 2015 um 92 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das zwischen 2000 und 2010 noch um jährlich 4,3 Prozentpunkte gestiegen war, liege heute 63 Prozent unter dem damals für 2016 berechneten Wert. Über die Jahre seien so BIP-Verluste in Höhe von 226 Milliarden US-Dollar entstanden.

Eine halbe Generation syrischer Kinder ist nicht zur Schule gegangen

Angesichts dieser Zahlen stellt sich die Frage, ob Syrien mit internationaler Finanzhilfe dennoch vergleichsweise zügig wiederaufgebaut werden kann. "Tatsächlich würde ich den Weltbank-Bericht auch so lesen, dass die Beschädigungen an der Infrastruktur nicht unbedingt die schlimmsten sind", sagt Friedens- und Konfliktforscher Müller. Es kursiere eine Weltbank-Zahl von 180 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau. Zwei Studien der US-amerikanischen Brown University untersuchten die Wiederaufbaukosten für den Irak und für Afghanistan: Im Irak habe der Wiederaufbau die USA bis heute 213 Milliarden Dollar gekostet, in Afghanistan 114 Milliarden. Der Wiederaufbau Syriens sei also nichts, "was nicht machbar ist", so Müller.

Die Frage ist also nicht, ob Syrien wieder aufgebaut werden kann oder wie lange das dauert. Die Frage ist: Wann kann es angesichts des fortdauernderen Konflikts losgehen? Viele Gebiete, so Müller, blieben "unsicher, instabil, teilweise von Gruppen kontrolliert, die völlig verfeindet sind".

Ein Problem ist mit Geld allein aber nicht lösbar: Mehr als die Hälfte der Syrer leben nicht mehr dort, wo sie vor dem Krieg zu Hause waren, sind im eigenen Land als Vertriebene unterwegs oder ins Ausland geflüchtet. Es geht dabei nicht nur um den Braindrain, den Wissensverlust, der durch Auswanderung qualifizierter Menschen entsteht. Eine halbe Generation junger Syrer sei überhaupt nicht mehr richtig zur Schule gegangen. "Das alles", sagt Müller, "ist sehr, sehr schwer zu kitten."

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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