Studie zum Antisemitismus:Schmutzige Welle

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Hass, gezielte Gewalt und eine erschreckende Bilanz: 2009 gab es weltweit die meisten antisemitischen Vorfälle seit dem Zweiten Weltkrieg. Ein Grund: der Gaza-Krieg.

Peter Münch, Tel Aviv

Es war ein bitterer Krieg mit einem bösen Echo. Als Israels Armee zu Beginn des vergangenen Jahres mit aller Feuerkraft im Gaza-Streifen kämpfte, da formierte sich weltweit eine Protestbewegung. Um Frieden ging es den einen, doch manchen auch um anderes. Sie trugen Plakate, auf denen Israels Präsident Schimon Peres als "Schimon Hitler" verunglimpft oder der Davidstern mit dem Hakenkreuz gleichgesetzt wurde.

Ein brennender Davidstern von der israelischen Botschaft in Ankara: Im Gefolge des Kriegsprotestes schwappte eine schmutzige Welle von Antisemitismus durch die Welt. (Foto: Foto: dpa)

Im Gefolge des Kriegsprotestes schwappte eine schmutzige Welle von Antisemitismus durch die westliche Welt. Abzulesen ist das auch am Jahresbericht, den nun die Jewish Agency in Jerusalem vorlegt hat.

2009, so heißt es darin, gab es mehr antisemitische Vorfälle als jemals zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. In Europa wurden allein in den ersten drei Monaten rund um den Gaza-Krieg mehr Fälle gezählt als im ganzen Jahr zuvor.

Es geht um Schmierereien, verbale Beleidigungen und tätliche Angriffe, die in dem Bericht ebenso wie in einer Statistik des Antisemitismus-Forschungszentrums an der Universität Tel Aviv aufgelistet werden.

Aus Hass auf Juden ereigneten sich in den USA zwei Morde - an einem Wachmann vor dem Holocaust Memorial in Washington und an einem Studenten in Connecticut.

Gezielte Gewalt gegen Juden gab es aber auch in der Moskauer U-Bahn, dazu Brandstiftungen, Verwüstungen und Graffiti an jüdischen Einrichtungen weltweit.

In Deutschland hing ein blutiger Schweinskopf am Eingang zum jüdischen Friedhof in Gotha. In Ungarn und der Ukraine war Antisemitismus auch eine Wahlkampf-Waffe.

Auf der Klimakonferenz in Kopenhagen verglich der sudanesische Delegierte die Klimaziele mit dem Holocaust, und in der niederländischen Tageszeitung De Telegraaf wurden in einem Interview die Juden für die Vogelgrippe verantwortlich gemacht.

So bedrückend das ist - Ähnliches hat es auch in der Vergangenheit gegeben. Doch Natan Scharansky, der Vorsitzende der Jewish Agency, befürchtet neben der Quantität eine neue Qualität der Vorfälle. Er spricht von einem "neuen Antisemitismus, der zügellos die Idee eines jüdischen Staates attackiert".

Premierminister Benjamin Netanjahu hat das sogleich aufgenommen. Der Antisemitismus, sagt er, habe sich "vermischt mit dem Ziel, dem jüdischen Staat das Recht auf Selbstverteidigung zu verweigern" - und damit schließt sich auch aus Sicht der Regierung der Kreis zum Gaza-Krieg, genau genommen zum Goldstone-Report.

Denn dieser im Auftrag der UN erstellte Bericht wirft Israel Kriegsverbrechen vor und hat das Land diplomatisch arg in die Defensive gebracht - obwohl die Regierung darauf beharrt, dass sie sich nur gegen den Terror der Hamas zur Wehr gesetzt habe. Netanjahu macht den Bericht nun mitverantwortlich für den weltweit zunehmenden Antisemitismus.

Und auf dieser Linie will die Regierung offenbar zum internationalen Holocaust-Gedenktag an diesem Mittwoch, an dem Präsident Peres im Deutschen Bundestag spricht und Premier Netanjahu das frühere Vernichtungslager Auschwitz besucht, gegen den anklagenden UN-Bericht in die Offensive gehen.

"Die Verbindung zwischen dem Goldstone-Report und dem internationalen Holocaust-Gedenktag ist keine leichte Sache", sagte Informationsminister Juli Edelstein dem israelischen Internetdienst Ynet, "aber wir müssen die Lektionen lernen aus dem, was geschehen ist." Der südafrikanische Richter Richard Goldstone allerdings, der nun des Antisemitismus geziehen wird, ist selbst Jude.

© SZ vom 26.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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