Krieg in der Ukraine:Warum Streumunition so umstritten ist

Lesezeit: 3 min

Eine Bombe, viele kleine Sprengkörper: Streumunition wird immer noch eingesetzt, etwa im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan im Jahr 2020. (Foto: Aris Messinis/AFP)

Viele Staaten ächten sie, trotzdem kommt Streumunition immer wieder zum Einsatz. Nun wollen die USA sie wohl an die Ukraine liefern. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Von Vivien Götz

Die US-Regierung plant Medienberichten zufolge die Lieferung von Streumunition an die Ukraine. Das berichtete am Donnerstag unter anderem die New York Times unter Berufung auf nicht namentlich genannte Regierungsquellen. International sind die Waffen geächtet, 110 Staaten haben ein Abkommen gegen ihren Einsatz unterschrieben.

Was ist Streumunition?

Bei Streumunition handelt es sich um Raketen und Bomben, die über dem Ziel zerbrechen und viele kleinere Sprengkörper freisetzen. Sie besteht aus Metallbehältern, sogenannten Trägerbomben, die je nach Modell bis zu 1000 kleine Sprengkörper enthalten, sogenannte Bomblets. Streumunition kann in Fliegerbomben, Artilleriegeschossen oder Marschflugkörpern eingesetzt werden. In allen Fällen funktioniert sie nach dem gleichen Prinzip: In einer bestimmten Höhe öffnet sich die Trägerbombe und verteilt die enthaltenen Bomblets über einem Zielgebiet. Streumunition deckt daher ein deutlich größeres Gebiet ab als herkömmliche Munition.

(Foto: SZ-Grafik: jje)

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Laut der Organisation Handicap International ließen sich mit einer Salve Streumunition aus dem Mars-MLRS.Raketenwerfer bis zu 8000 Bomblets über eine Fläche von etwa 50 Fußballfeldern verteilen. Waffensysteme, die zum Abschuss von Raketen mit Streumunition geeignet sind, wie die Mars-MLRS aus deutscher Produktion oder die Himars-Systeme aus den USA, wurden schon im vergangenen Winter an die Ukraine geliefert. Die USA wollen der Ukraine US-Medien zufolge nur Streumunition liefern, die mit solchen und ähnlichen Systemen vom Boden aus abgefeuert werden kann.

Warum ist Streumunition so umstritten?

Streumunition ist vor allem aufgrund ihrer verheerenden Konsequenzen für die Zivilbevölkerung international geächtet. Denn durch die Streuung über dem Zielgebiet können auch zivile Einrichtungen getroffen und Zivilisten getötet werden. Die Metallteile der explodierenden Bomblets können selbst gepanzerte Fahrzeuge durchbohren. Die Bundeszentrale für Politische Bildung schreibt: "Alle Personen, die sich im Angriffsgebiet aufhalten, werden mit großer Wahrscheinlichkeit getötet oder schwer verwundet."

Die größte Gefahr der Streumunition ist aber ihre hohe Blindgängerrate. Je nach Typ und Alter explodieren dreißig bis vierzig Prozent der Bomblets nicht beim ersten Aufschlag, schreibt die Organisation Handicap International. Die Überreste sind höchst empfindlich und können schon durch kleinste Berührungen explodieren. Sie ähneln damit Landminen, verfügen aber über mehr Sprengkraft und sind deshalb tödlicher.

Warum überlegen die USA trotzdem, Streumunition an die Ukraine zu liefern?

US-Präsident Biden hat die Bereitstellung von Streumunition für die Ukraine genehmigt, berichten US-Medien. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hatte diese Munition immer wieder gefordert, um möglichst viele russische Soldaten zu töten. Einigen Experten zufolge könnte die Munition der Ukraine bei ihrer Gegenoffensive helfen. Dort muss sie tief gestaffelte Verteidigungslinien der russischen Armee überwinden.

"Ich möchte anmerken, dass die Russen bereits Streumunition auf dem Schlachtfeld eingesetzt haben", sagte Pentagon-Sprecher Patrick Ryder. Die USA hätten Streumunition in ihren Beständen. Ryder verwies darauf, dass ältere Munition eine höhere Rate an Blindgängern aufweise. "Wir würden sorgfältig Geschosse mit einer geringeren Rate an Blindgängern auswählen, für die wir aktuelle Testdaten haben", so Ryder. Die Blindgängerrate der Munition liege laut Ryder nicht über 2,35 Prozent.

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Kurz vor ihrem Gipfeltreffen beschließen die Mitgliedsstaaten, dass jedes Land künftig zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung in das Militär investiert. Die Bundesregierung zeigt Verständnis für die mögliche Lieferung von Streumunition durch die USA an die Ukraine.

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Was sagt das Völkerrecht zu Streumunition?

Völkerrechtler sind sich in dieser Frage nicht einig. Viele argumentieren, dass das Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention von 1949 den Einsatz von Streumunition verbietet. Sogenannte "unterschiedslose Angriffe", bei denen aufgrund der gewählten Kampfmethode nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterschieden werden kann, sind verboten. Jedoch wird Streumunition dort nicht explizit erwähnt.

Seit 2010 gibt es zusätzlich eine völkerrechtlich bindende Konvention zum Verbot von Streubomben, das sogenannte Oslo-Übereinkommen. Es verbietet nicht nur den Einsatz der Bomben, sondern auch Herstellung, Besitz, Erwerb und Weitergabe der Munition. Laut Angaben des Auswärtigen Amts gehören 110 Staaten dem Übereinkommen an. Weitere 13 haben die Verträge unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Weder die USA noch Russland oder die Ukraine sind Teil des Abkommens.

In welchen Konflikten wurde Streumunition in der Vergangenheit eingesetzt?

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Streumunition laut Handicap International in 43 Ländern von mindestens 23 Regierungen eingesetzt. Darunter waren die USA, Großbritannien und die Niederlande. Sie kam im Vietnamkrieg zum Einsatz, im Irak zwischen 1991 und 2006, aber auch in Kosovo und in Afghanistan. In jüngerer Vergangenheit wurde sie in Syrien und in Jemen eingesetzt. Auch Russland verwendet bei seinem Angriff auf die Ukraine immer wieder Streumunition. Allein bis August 2022 meldete Handicap International fast 700 Streubombenopfer in der Ukraine.

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