Streit um Griechenland-Hilfe:Raus aus den Kartoffeln

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Gemeinsames Vorgehen Fehlanzeige: Wie sich Union, FDP und SPD am Vortag der Entscheidung selbst desavouieren und dabei ein absurdes Schauspiel aufführen.

Stefan Braun, Susanne Höll und Daniel Brössler

Morgens um acht ist die Welt noch in Ordnung. Die Welt jedenfalls, die normalerweise im Bundestag herrscht mit ihren klaren politischen Fronten. Hier die Koalition, die sich stark genug fühlt, um die Griechenland-Hilfe am Freitag allein durchs Parlament zu bringen. Dort die Sozialdemokraten, die den Kurs der Enthaltung für den richtigen halten. Und daneben die Grünen, die zwar Opposition sind, aber in Zeiten solcher Not nicht Nein rufen möchten. Bis in die Nacht hatten sie noch um eine Entschließung gerungen, die als gemeinsame Willenserklärung, irgendwie den Finanzmärkt mehr zu zähmen, auch ein gemeinsames Abstimmen bei der Griechenland-Rettung ermöglichen sollte. Getrennt aber hat man sich im Streit, mit einer eindeutigen Klärung der Fronten.

Angela Merkel hat vergeblich versucht, zu vermitteln. (Foto: Foto: dpa)

Derart entschlossen treten um acht Uhr am Donnerstagmorgen die Fraktionen zusammen. Nur eine Stunde später aber hat sich die Welt ein klein wenig verschoben. Wie es dazu kommen konnte, wird hinterher von jeder Seite anders beschrieben. Sicher ist nur, dass aus den Sitzungen heraus die unterschiedlichsten Informationen dringen.

Ärger und Verunsicherung

Aus der SPD ist zu vernehmen, dass sie sich für Enthaltung entschieden hat, aber bei nicht wenigen die Bedenken steigen, dass das keine gute Botschaft sein könnte. Aus der Unionsfraktion ist zu hören, dass man nun entschlossen sei, aber schon auch verärgert, dass die FDP eine gemeinsame Entschließung mit SPD und Grünen verhindert habe. Und aus der FDP ist in Erfahrung zu bringen, dass die Schuldzuweisung aus der Union alle erst ärgert und dann verunsichert. Ganz alleine schuld sein - das will keiner, das klingt nicht gut kurz vor der wichtigen Landtagswahl am Sonntag.

Was dann passiert, ist aus vielerlei Hinsicht ein seltenes Schauspiel: Erst schickt SPD-Chef Sigmar Gabriel Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Unionsfraktion eine SMS, in der er - grob zusammengefasst - die Botschaft sendet, er könne sich schon vorstellen, vielleicht nochmal einen letzten Anlauf für eine gemeinsame Entschließung zu unternehmen.

Die Kanzlerin, ohnehin stets für eine solche Gemeinsamkeit werbend, simst wohlig überrascht ihren Vizekanzler Guido Westerwelle an, ob man nicht vielleicht doch nochmal einen Versuch unternehmen wolle. Es folgt eine innerdeutsche Pendeldiplomatie zwischen den Fraktionen. Kanzleramtsminister Ronald Pofalla besucht die FDP-Fraktion, mehrmals schaut der FDP-Geschäftsführer Jörg van Essen in der Unionsfraktion vorbei - und zum Finale besuchen Westerwelle und Gabriel Angela Merkel im Büro des Unionsfraktionschefs Volker Kauder.

Ein letzter Versuch

Alle drei beugen sich über einen handgeschriebenen Zettel, alle drei vereinbaren, es doch noch einmal sehr ernsthaft zusammen zu versuchen. Die dafür gefundene Formel: Deutschland werde sich im internationalen Rahmen dafür einsetzen, dass die Vorschläge des Internationalen Währungsfonds zur Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten der Krise umgesetzt werden.

Der Grund für diese Annäherung: Allen dreien ist ein wenig mulmig mit ihren getrennten Positionen, alle drei wollen angesichts der psychologischen Wirkung am Freitag am liebsten einheitlich abstimmen. Es ist kurz nach zehn am Donnerstag, eine gute Stunde sind die Emissäre unterwegs gewesen - da sieht alles so aus, als würden Union, FDP und SPD doch noch kooperieren, um bei dem zur Rettung des Euro so wichtigen Gesetz für die Griechenland-Hilfe gemeinsam zu marschieren. Was folgt, ist ein Arbeitsauftrag: Die Fraktionsgeschäftsführer sollen letzte Details klären.

Nun wäre eigentlich alles auf einem guten Weg gewesen - hätte man das Gemeinsame auch gemeinsam bewertet. Hätte man also in aller Ruhe an einer Willenserklärung gebastelt, in der zwar nirgendwo das Wort Steuer auftaucht (Bedingung der FDP), aber der Finanzmarkt sehr wohl klar zur Kasse gebeten wird (Bedingung der Sozialdemokraten). Stattdessen jedoch machen sich FDP und SPD unverzüglich daran, den jeweils anderen als jemanden zu beschreiben, der an diesem Morgen offenbar einknicken musste. SPD-Chef Gabriel und sein Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier erklären vor der Presse, die Koalition sei ihnen nun doch entgegengekommen. Steinmeier spricht gar davon, ein Tabu der Koalition sei "gebrochen worden". Endlich, so die beiden unisono, sei der Weg offen für eine angemessene Beteiligung der Finanzmärkte an den Kosten.

Ein besonderer Trumpf

Genauso entschlossen, wenn auch mit einer ganz anderen Wertung, zeigt sich zur gleichen Zeit der Bundesaußenminister. Guido Westerwelle wird im eigenen Haus erwartet. Der WDR hat den Weltsaal des Auswärtigen Amts in ein Fernsehstudio verwandelt. Ein lange geplantes Forum zu Europa bietet ihm die Kulisse, auch hier über die Griechenlandkrise zu reden. "Aus meiner Sicht ist das auf einem guten Weg", berichtet er im Weltsaal. Dabei freilich signalisiert er deutlich, wie zufrieden er ist, dass die Sozialdemokraten nun doch weich geworden seien. Westerwelle glaubt dabei einen besonderen Trumpf zu besitzen: Weil die Grünen inzwischen bedingungslos ihr Ja angekündigt haben, könne die SPD aus seiner Sicht auch wieder abspringen.

Genau das passiert schließlich. Als die SPD-Oberen erfahren, dass die FDP die Annäherung als gönnerhafte Geste gegenüber schwächelnden Sozialdemokraten einordnet, platzt ihnen der Kragen. "Stinksauer" seien sie, heißt es später. Gabriel erklärt den Versuch, doch noch zusammenzukommen, für tot. Und Steinmeier gibt zur Protokoll, eine gemeinsame Erklärung sei "mangels Schaffung ausreichenden Vertrauens" nicht zustande gekommen. Man fühlt sich an den Alten Fritz erinnert: "Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln."

So endet ein absurder Tag, wie er anfing: mit klaren Fronten. Die FDP zeigt auf die SPD, die SPD zeigt auf die FDP. Und einer aus der Spitze der Unionsfraktion kommentiert das Ganze ziemlich verärgert: "Mit zwei Quartalsirren kann man nicht zusammenkommen."

© SZ vom 07.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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