Streit um die doppelte Staatsbürgerschaft:Warum der Wahlzwang der Integration schadet

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Frauen mit Kopftuch in Berlin: In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern müssen sich bis zum 23. Lebensjahr für die deutsche oder die Staatsbürgerschaft der Eltern entscheiden. (Foto: Arno Burgi/dpa)

Der Kampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft ist ein Anrennen gegen die deutsche Realität. Gewiss: Wer neu eingebürgert wird, muss sich entscheiden - aber doch nicht dafür, ob er sich nun ein wenig mehr türkisch oder ein wenig mehr deutsch fühlt. Sondern für Demokratie, Rechtsstaat und die Grundwerte der Verfassung.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Niemand kann zwei Herren dienen. Der Satz steht in der Bibel, und eiserne Gegner der doppelten Staatsbürgerschaft in der CDU/CSU berufen sich gern darauf. Ein gutes Argument ist das nicht, denn erstens ist der Bürger in einem demokratischen Staat kein Diener. Und zweitens weiß jeder, dass es einen nicht zerreißt, wenn man zwei Arbeitsstellen und zwei Chefs hat.

Die zitierte Stelle meint auch etwas anderes: Man könne nicht zugleich Gott und dem Mammon dienen. Es handelt sich um eine Predigt wider den Geiz. Umso unverständlicher ist es, wenn die Konservativen in der Union, wie jetzt wieder in den Koalitionsverhandlungen, mit der Staatsbürgerschaft geizen und immer noch so tun, als seien zwei Staatsbürgerschaften grundsätzlich von Übel.

Beim Widerstand gegen die doppelte Staatsbürgerschaft handelt es sich um das wohl letzte Gefecht eines Kampfes, der jahrzehntelang unter dem Motto "Deutschland ist kein Einwanderungsland" geführt wurde. Es war dies ein Anrennen wider den Augenschein, weil der Alltag jedem in Deutschland zeigt, dass er in einer Einwanderungsgesellschaft lebt. Die Anerkennung einer doppelten Staatsbürgerschaft ist auch Anerkennung dieses Faktums.

Das obskure Optionsmodell von 1999

Die doppelte Staatsbürgerschaft verlangt vom Bürger, der in zwei Kulturen zu Hause ist, nicht mehr, sich zu zerreißen. Sie nimmt den Bürger so, wie er ist: mit seiner Geschichte, mit seiner Tradition, mit seinen Wurzeln und mit der Identität, die sich daraus ergibt. Gewiss: Ein neuer Bürger muss sich entscheiden - aber doch nicht dafür, ob er sich nun ein wenig mehr türkisch oder ein wenig mehr deutsch fühlt. Er muss sich entscheiden für Demokratie, Rechtsstaat und die Grundwerte der Verfassung. Die Doppelstaatsbürgerschaft kann dabei helfen. EU-Bürger, Spätaussiedler und die Kinder aus binationalen Ehen leben gut in Deutschland mit der doppelten Staatsbürgerschaft; warum sollten dann nicht auch Deutsch-Türken gut damit leben? Man kann nicht nach Herkunft darüber entscheiden, ob ein Mensch zwei Pässe haben darf oder nur einen.

Die Reform von 1999 hat das obskure Optionsmodell eingeführt: In Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern erhalten zwar zunächst zwei Staatsbürgerschaften, müssen sich aber bis zum 23. Lebensjahr für die deutsche oder die Staatsbürgerschaft der Eltern entscheiden. Das war schon damals, 1999, nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern ein rot-grüner Notbehelf, um (nach der Totalopposition der Union, die im hessischen Landtagswahlkampf Erfolge feierte) eine Mehrheit wenigstens für eine kleine Reform zusammenzukratzen. Es hat sich seitdem herausgestellt, was damals zu erwarten war: Das Optionsmodell schadet der Integration und führt zu rechtlichen Unsicherheiten.

Der "Sachverständigenrat für Integration" hat nun einen Vorschlag gemacht, den die Union, wenn sie klug ist, akzeptiert: Die Doppelstaatsbürgerschaft soll den Übergangsgenerationen gewährt werden. Das wäre ein weiser Kompromiss. Gegen Weisheit sollte Angela Merkel nichts haben.

© SZ vom 09.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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