Steuern und Armut in Amerika:Romneys "47 Prozent" sind ein Bush-Produkt

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Wer sind die "47 Prozent" der Amerikaner, die keine Einkommensteuer zahlen sollen und die Mitt Romney mit seinen umstrittenen Aussagen abgeschrieben hat? Ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt: Die Steuerrechnung des republikanischen Kandidaten ist zu simpel.

Johannes Kuhn

Ein neuer Kampfbegriff macht in den USA die Runde: Mitt Romney habe mit seinen Äußerungen eine "Theorie der nehmenden Klasse" erfunden, wirft Washington-Post-Autor Ezra Klein dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten vor - und stößt damit auf große Resonanz.

US-Wahlatlas 2012
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US-Wahlatlas 2012

47 Prozent der Amerikaner seien abhängig vom Staat, würden keine Einkommensteuer zahlen und deshalb Barack Obama unterstützen, hatte Romney auf einem heimlich aufgenommenem Video gesagt. Doch wer sind diese 47 Prozent? Sind diese Aussagen, wenn schon wahlkampftaktisch fatal, so doch zumindest inhaltlich haltbar?

Der Kandidat bezog sich in dem Gespräch vor wohlhabenden Spendern auf eine Studie des unabhängigen Tax Policy Center ( pdf-Version): Die Organisation prognostizierte für 2011, dass geschätzte 46,4 Prozent aller amerikanischen Haushalte keine nationale Einkommensteuer würden zahlen müssen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie überhaupt keine Steuern zahlen oder nicht arbeiten würden.

Das Tax Policy Center selbst hat den Sachverhalt 2011 in seinem Blog erklärt, auch die Washington Post hat die Zahlen analysiert. Etwa die Hälfte der 46 Prozent zahlt demnach keine Einkommensteuer, weil es sich um Rentner handelt, deren Einnahmen häufig steuerfrei sind, oder um Arbeitnehmer, die bei einem Verdienst von unter 20.000 Dollar pro Jahr ebenfalls nichts zahlen müssen.

Die andere Hälfte verdient mehr als diesen Betrag, aber so wenig, dass Freibeträge und Absetzungsmöglichkeiten ihr Einkommen übersteigt. Ein vom Tax Policy Center genanntes Beispiel ist ein Paar mit zwei Kindern, das weniger als 26.400 Dollar (etwa 20.215 Euro) im Jahr verdient. Es erhält einen Standard-Freibetrag von 11.600 Dollar und für jede Person im Haushalt noch einmal 3700 Dollar. Damit sind für das Paar genau 26.400 Dollar ihres Einkommens steuerfrei - es muss keine Steuern zahlen.

Einkommensteuern erheben auch Bundesstaaten

Zudem profitieren Bürger auch von den vielen Abschreibungsmöglichkeiten des amerikanischen Steuersystems, zum Beispiel lassen sich Gesundheitskosten oder einige Steuerzahlungen an Bundesstaaten absetzen. Vor allem Familien mit Kindern profitieren von den Steuergesetzen.

Allerdings erhebt nicht nur die zentrale Steuerbehörde ihren Anspruch auf einen Teil des Lohns, auch 43 der 50 US-Staaten lassen eine Einkommensteuer entrichten. Mehr als die Hälfte der 46 Prozent bezahlt Lohnsteuern - nur eben nicht an die Bundessteuerbehörde in Washington.

Laut Analyse des Tax Policy Center zahlen 28,3 Prozent der Amerikaner zudem zwar keine nationale Einkommensteuer, dafür überweisen sie Washington aber Lohnsteuern, um die staatliche Alters- und Sozialhilfe (Social Security) und die öffentlich-rechtliche Krankenversicherung (Medicare und Medicaid) in Anspruch nehmen zu können.

Einer Studie des liberalen "Center on Budget and Policy Priorities" zufolge zahlt selbst das unterste Einkommensfünftel aller Haushalte noch durchschnittlich 16 Prozent Steuern, nimmt man alle Abgaben für die kommunale, bundesstaatliche und nationale Ebene zusammen.

US-Medien zu Wähler-Beschimpfung
:"Heute hat Romney die Wahl verloren"

Eine Panne, die für Mitt Romney verheerende Folgen haben könnte: In einem heimlich aufgenommenen Video verhöhnt er die Wähler von Präsident Obama. Die Reaktionen in den US-Medien sind für den Republikaner vernichtend. Für einige ist das Rennen um die Präsidentschaft mit dem heutigen Tag sogar entschieden.

Mitt Romneys könnte mit seinen Aussagen auch die eigenen Wähler vor den Kopf gestoßen haben: Viele Medien und Blogger weisen auf eine Karte der Tax Foundation hin, auf der zu sehen ist, in welchen Bundesstaaten der Anteil der "Nichtzahler" im Jahr 2008 am höchsten war. Der Großteil der Top Ten besteht aus Staaten im Süden des Landes, die mit Ausnahme von Florida und New Mexico eher republikanischen Präsidentschaftskandidaten zuneigen. Am höchsten lag die Quote, die damals insgesamt noch bei etwa 40 Prozent lag, in Mississippi, wo 45 Prozent der Bürger keine Einkommensteuer nach Washington überwiesen.

Mitt Romney hat sich mit seinen Aussagen über die 47 Prozent, die in den USA keine Steuern zahlen, wahlkampftaktisch eher keinen Gefallen getan.  (Foto: AP)

In diesen Staaten ist auch der Anteil der Menschen, die als arm gelten, in der Regel höher als im Rest des Landes. Nach der in dieser Woche veröffentlichten Untersuchung der Behörde für Bevölkerungsstatistik (Census Bureau) sind 15 Prozent der Amerikaner von Armut betroffen, in New Mexico und Louisiana ist es jeder Fünfte. ( Die Daten zur Armut in den USA in den einzelnen Bundesstaaten können sie im SZ-Wahlatlas mit den aktuellen Umfragewerten der Präsidentschaftskandidaten vergleichen.)

Als arm gilt, wer unter dem festgelegten Jahreseinkommen von 23.021 Dollar (etwa 17.700 Euro) für einen Vier-Personen-Haushalt bleibt. Zum Vergleich: In Deutschland wird die Grenze bei 11.280 Euro Jahreseinkommen pro Person gezogen.

46,2 Millionen Amerikaner leben in Armut

In absoluten Zahlen leben 46,2 Millionen Amerikaner unter der Armutsgrenze. Damit ist ein Höchststand seit der Einführung der jährlichen Statistik erreicht, was neben der aktuellen wirtschaftlichen Lage auch dem Bevölkerungswachstum geschuldet ist.

Auch die Mittelschicht leidet: Das Durchschnittseinkommen ist in den USA innerhalb eines Jahres um 1,5 Prozent gefallen und damit so niedrig wie 1989. Unter anderem, weil seitdem durch die Globalisierung viele Jobs wegfielen oder - auch in der jüngsten Wirtschaftskrise - in den Niedriglohnsektor wanderten.

Vor allem aus der liberalen Ecke wird darauf hingewiesen, dass gerade der Republikaner George W. Bush mit seinen Steuersenkungen dafür gesorgt habe, dass viele Bürger heute keine nationale Einkommensteuer mehr entrichten. Von den Bush-Senkungen im Jahr 2004 profitierten zwar erwiesenermaßen vor allem Familien mit einem Jahreseinkommen von mehr als einer Million Dollar, deren Steuerlast stärker als die der Durchschnittsamerikaner sank.

Zugleich aber fielen damit Schätzungen zufolge 7,8 Millionen Familien komplett aus der nationalen Einkommensteuerpflicht, 90 Prozent davon mit einem Jahreseinkommen von weniger als 50.000 Dollar. Sie gehören damit zu den "47 Prozent", die Romney als Wähler abgeschrieben hat.

Ebenfalls zu dieser Gruppe gehören etwa 3000 Amerikaner mit einem jährlichen Einkommen von mehr als 2,1 Millionen Dollar - sie verdienen ihr Geld als Investmentbanker oder Immobilienmakler über Kapitalerträge. Diese werden deutlich niedriger als klassische Einkommen besteuert.

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