Sterbehilfe:Freiheit und Verantwortung

Lesezeit: 3 Min.

Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, am Donnerstag in Berlin. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa)

Der Ethikrat veröffentlicht eine Stellungnahme zum Thema Suizid. Selbstbestimmte Entscheidungen seien zu respektieren, heißt es darin. Doch wann genau ist das der Fall? Darüber sind die Experten keineswegs einig.

Von Nina von Hardenberg, München

In der Debatte um ein neues Gesetz zur Suizidbeihilfe hat der Ethikrat Regeln angemahnt, die Sterbewillige vor einer unreifen Entscheidung schützen. Gerade weil das Verfassungsgericht die freiverantwortliche Selbsttötung als ein grundlegendes Recht definiert habe, müsse auf der anderen Seite garantiert werden, dass solche Entscheidungen wirklich in freier Verantwortung gefasst würden, betonte die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung einer Stellungnahme des Ethikrates zum Thema Suizid. Zugleich warb sie für mehr Suizidprävention.

Zweieinhalb Jahre ist es nun her, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung nach Paragraf 217 des Strafgesetzbuches für verfassungswidrig und nichtig erklärt hat. Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas können seither in Deutschland wieder arbeiten. Selbstbestimmtes Sterben sei ein Grundrecht und damit auch die Hilfe beim Suizid ausdrücklich erlaubt, hatte Karlsruhe im Februar 2020 geurteilt. Der Staat dürfe allerdings Regeln zum Schutz von gefährdeten Menschen einführen. Drei fraktionsübergreifende Gruppen von Abgeordneten haben seither Vorschläge vorgelegt, die alle eine Beratungspflicht für Suizidwillige einführen wollen und je nach Entwurf weitere Hürden vorsehen.

Der Ethikrat selbst gibt in seiner 134-seitigen Stellungnahme keine Präferenz zu den Gesetzen ab, über die im Parlament bereits in erster Lesung beraten wurde. Er macht aber deutlich, dass die Hürden zum Schutz von gefährdeten Menschen hoch sein sollten. Aufgrund der Unumkehrbarkeit einer Suizidentscheidung seien "an deren Freiverantwortlichkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen", heißt es da etwa.

Suizidentscheidungen erforderten ein hohes Maß an geistiger Reife

Wann aber ist eine Entscheidung wirklich selbstbestimmt? Sie darf nicht aus einer Depression heraus oder durch äußeren Druck gefällt werden, muss überlegt und ernsthaft sein. Aber sonst? In den Feinheiten ist sich das 24-köpfige Experten-Gremium da keineswegs einig. Beispiel Kinder: Suizidentscheidungen erforderten ein hohes Maß an geistiger Reife. Diese werde in der Regel erst ein volljähriger Mensch aufbringen, glaubt ein Teil der Experten. Andere halten aber auch ein Prozedere für Ausnahmefälle vertretbar, also für weit über ihr Alter reife, schwer kranke Kinder. Ein anderes Beispiel ist die Beratungspflicht: Wer seinem Leben freiwillig ein Ende setzen will, muss wissen, was das heißt und vor allem, welche anderen Wege und Hilfe ihm noch offenstehen, darin sind sich die Mitglieder prinzipiell einig: "Ohne eine solche Kenntnis kann eine Suizidentscheidung (...) nicht als freiverantwortlich gelten." Ein Teil des Rates aber findet, dass der Suizidwillige nur so weit aufgeklärt werden muss, wie er das selbst will.

An solchen Stellen liest sich die Stellungnahme, als betone der Ethikrat mehr als früher die Selbstbestimmung des Einzelnen. Die Linie habe sich leicht geändert, findet auch Humangenetiker und Ethikratsmitglied Wolfram Henn: "Anders als früher wird Suizid nicht mehr immer als Versagen der Prävention gewertet", sagt er. Wenn Menschen aus Not, etwa im Wissen um eine sich verschlimmernde Krankheit sterben wollen, könne diese Entscheidung zwar niemals moralisch geboten, aber im Einzelfall moralisch richtig sein.

Der Rat ist sich einig: Auch Prävention ist wichtig

"Begründete Sterbewünsche wie diese sind die seltensten Ausnahmen", betont dagegen der Moraltheologe Franz-Josef Bormann. Die Mehrheit der Ethikratsmitglieder habe ihren Standpunkt nicht geändert: In den allermeisten Fällen entschieden sich Menschen eben nicht freiverantwortlich, sondern etwa aus einer akuten Depression heraus. "Ein Gesetz zur assistierten Suizidhilfe sollte deshalb ein möglichst akribisches Prüfverfahren festlegen", findet er. In Zeiten, wenn alte Menschen in Heimen schlecht betreut seien und psychisch Kranke keine Therapieplätze bekämen, sei es verantwortungslos, den Zugang zu Suizidassistenz zu erleichtern.

Prävention ist wichtig. Hier ist sich der Rat einig: Es sei schon "etwas frustrierend", wie viel über die Zulässigkeit von Suizidbeihilfe gesprochen werde statt über die Verhinderung von Suiziden, sagte die Ratsvorsitzende Buyx: Mehr als 9000 Menschen haben sich nach Aussage von Buyx 2021 das Leben genommen, die Zahl der assistierten Suizide dürfte einige 100 davon ausmachen. Bei der Suizidprävention in allen Facetten, von medialem Umgang, Beratung und Ausbildung stehe Deutschland noch ganz am Anfang.

Über Selbsttötungen berichtet die Süddeutsche Zeitung nur in Ausnahmefällen und nach sorgfältiger Prüfung. Wenn Ihre Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, sprechen Sie mit Freunden und Familie darüber. Hilfe bietet auch die Telefonseelsorge, anonym und kostenlos unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222, zudem ist über www.telefonseelsorge.de eine Online-Beratung möglich. Eine Liste mit bundesweiten Hilfsstellen bietet die Seite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention: www.suizidprophylaxe.de .

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSterbehilfe
:Wer über das Leben bestimmt

Was bedeutet es, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, bis zum Ende? Wolfgang Putz hat es bei seiner eigenen Frau erlebt. Er kämpft seit Jahren für Sterbehilfe, stand deswegen vor Gericht, wurde angefeindet. Eine Geschichte über Tod und den freien Willen.

Von Nina von Hardenberg

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: