Steinmeiers Kuba-Besuch:Bloß nicht zu spät kommen

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Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu Besuch bei Kubas Präsident Raúl Castro. (Foto: Thomas Imo/dpa)

Seit zwischen Kuba und den USA Tauwetter herrscht, wollen viele Länder mit dem Inselstaat ins Geschäft kommen. Höchste Zeit, dass auch die Deutschen mal vorbeischauen.

Von Stefan Braun, Havanna

Das hat er jetzt davon. Er wollte unbedingt noch vor seinem Urlaub hierher. Endlich dieses Land besuchen, und das möglichst vor seinem "Freund John", dem amerikanischen Außenminister Kerry. Also steht Frank-Walter Steinmeier in Havannas Vormittagshitze und schwitzt. Er ist der karibischen Juli-Sonne ausgeliefert, weil sein Stadtführer kein Bedürfnis verspürt, in den Schatten zu wechseln. Michael Gonzalez kennt sich hier aus, er kennt die Hitze. Und er ist stolz. Was er dem deutschen Außenminister zeigen will, ist außergewöhnlich.

Gonzalez führt seinen Gast durch den renovierten Teil der Altstadt. Ein satter grüner Park mit Rosenranken, Springbrunnen und Palmen, umrahmt von prächtig wiederhergestellten Palästen aus der Zeit, als die spanischen Eroberer hier einzogen. Auch wenn man ahnt, wie schön Havannas Altstadt sein könnte: Das hier schlägt alles.

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Nun gehört zur ganzen Geschichte, dass einen Tag vor Steinmeiers Ankunft unweit des Platzes eine verrottete Stadtvilla einstürzte und dabei vier Menschen starben. Noch also zerfällt hier vieles neben dem, was neu aufblüht. Doch an diesem Morgen wird darüber kein Wort verloren. Die Rede ist stattdessen von Eusebio Leal. Stadthistoriker wird Leal hier offiziell gekannt, doch er ist viel mehr, er leitet den Wiederaufbau. Kubas Führung hat ihn nicht nur damit beauftragt, die Renovierung in Angriff zu nehmen. Sie lässt ihm auch enormen Spielraum. Er darf alle renovierten Häuser an Hotels, Restaurants, Geschäfte verpachten und die Einnahmen in die nächste Renovierung stecken, ohne Auflagen, ohne finanzielle Bremsen. Im Westen würde er als cleverer Bauunternehmer firmieren. Hier nennen ihn die Leute lieber ,,Regierung in der Regierung''. Das klingt nicht nach Kapitalismus. Und hat wohl auch damit zu tun, dass er die Bewohner der Altstadt nicht vertreibt, sondern ihnen Platz lässt.

"Neuland" für Steinmeier

Natürlich ist das alles andere als die Normalität im noch immer sehr sozialistisch geprägten Kuba. Der deutsche Außenminister genießt den Augenblick trotzdem. Er lacht und scherzt, als sei er im Urlaub. Ist ja auch wirklich etwas anderes als Ukrainekonflikt und Nahostkrise. Immer wieder betont er, dass er mit diesem Besuch "Neuland" betrete - und das gelte für ihn persönlich wie für den deutschen Außenminister. Keiner seiner Vorgänger ist hier gewesen. Umso mehr, sagt Steinmeier, sei es an der Zeit, "das Potenzial für die deutsch-kubanischen Beziehungen auszuloten".

Potenzial ausloten - das passt zu Steinmeier, weil es in seinem Sinne ausreichend unkonkret ist. Zu kompliziert, zu sensibel ist dieser Neuanfang zwischen Berlin und Havanna. Am liebsten spricht er in den anderthalb Tagen davon, dass es wichtig sei, nach schweren Jahren "der Entfremdung und Sprachlosigkeit" zunächst dem "Austausch von Kulturschaffenden" eine neue Basis zu geben. Hinter beiden Ländern liege eine bleierne Zeit, umso mehr könne gerade die Kultur das Verständnis füreinander verbessern. "Wir müssen das Signal der Öffnung nutzen", mahnt der Außenminister. Dass es dabei politisch noch ziemlich herb zugeht, weil die Regierung von Raúl Castro ihren Machtanspruch und den Einparteienstaat auf absehbare Zeit nicht aufgeben wird, bekommt Steinmeier in jedem Gespräch zu spüren.

Politische Öffnung im Schneckentempo

Freundlich, zugewandt, gut informiert, so beschreiben seine Leute hinterher die kubanischen Gesprächspartner, vom Außenhandelsminister bis zu Präsident Raúl Castro. Alle Freundlichkeit aber kann nicht verdecken, dass eine politische Öffnung allenfalls im Schneckentempo vorankommen dürfte. Was ungewollt unterstreicht, dass bei diesem Besuch anderes im Mittelpunkt steht. Kuba ist auf wirtschaftliche Kooperation angewiesen. Die Landwirtschaft liegt darnieder, Venezuelas Öl fließt nicht mehr so billig wie noch vor wenigen Jahren. Und hinter Havannas Öffnung Richtung Vereinigte Staaten lauern nicht nur Chancen, sondern auch Gefahren.

Steinmeiers Visite ist deshalb das, was niemand so ganz offen ausspricht: eine Reaktion auf das Gefühl, dass Deutschlands Wirtschaft zu spät eintreffen könnte. Seit dem ersten Handschlag zwischen Castro und US-Präsident Barack Obama ist international ein wahres Rennen ausgebrochen in dem Streben, mit Kuba ins Geschäft zu kommen. Frankreichs Präsident François Hollande ist im Mai mit Großdelegation hier gewesen. Höchste Zeit also, dass auch aus Berlin jemand anreist.

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Bevor die USA, was hier viele befürchten, wie Heuschrecken in Kuba einfallen, will Steinmeier also die "Repräsentation der deutschen Wirtschaft sichern". Dieser Satz fällt bei ihm zwar nur zwischendrin und könnte glatt überhört werden. Aber genau darum geht es: dass deutsche Unternehmen Zugang und eine Vertretung bekommen. Bislang ist der bilaterale Handel gering, er beläuft sich auf gerade mal 200 Millionen Euro jährlich. Aber das soll sich ändern. Und dieses Ziel verfolgt nicht nur die deutsche Seite. Wie es heißt, hat auch Präsident Raúl Castro im Gespräch mit Steinmeier für mehr deutsches Engagement geworben. Und zwar mit der Begründung, Kuba brauche gerade jetzt, da es sich Richtung USA öffne, andere starke Partner, damit es vom großen Nachbarn im Norden nicht doch überrollt werde.

In dem Abkommen, das während des Besuchs unterzeichnet wird, klingt das weniger martialisch. Dort heißt es in klassischer Diplomatensprache, man wolle "die wirtschaftliche und wissenschaftliche Verzahnung begünstigen". Schöner drückt es eine Dolmetscherin aus. Sie spricht in ihrer Übersetzung vom "politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Gemeinsamtun". Kein schlechtes Wort für so einen Neuanfang.

© SZ vom 18.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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