SPD: Debatte um Sarrazin:"Betrübt und beschämt"

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Wenn Thilo Sarrazin in der SPD bleibt, dann will Sergey Lagodinsky nicht länger Genosse sein. Der jüdische Einwanderer, der einst den Arbeitskreis Jüdischer Sozialdemokraten gegründet hat, erklärt Andrea Nahles seinen Parteiaustritt.

Matthias Drobinski

Es ist ein trauriger Brief, er beginnt mit "Liebe Andrea", gemeint ist Andrea Nahles, die Generalsekretärin der SPD. "Es gibt Momente für schwere Entscheidungen", fährt Sergey Lagodinsky fort, "ein solcher Moment ist für mich gekommen: Ich habe beschlossen, meine Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei zu beenden."

Lagodinsky ist nicht prominent, aber wichtig für die SPD. 1993 kam er als jüdischer Einwanderer aus der Ex-UdSSR. Er ist im Gemeindeparlament der Berliner Kultusgemeinde, manche sehen ihn dort als kommenden Vorsitzenden. Er gründete den "Arbeitskreis Jüdischer Sozialdemokraten"; "als jüdischer Mensch sah ich die Möglichkeit, die lange Tradition der Juden in Deutschland wiederzubeleben, nunmehr gemeinsam mit anderen Minderheiten und Mehrheiten - Christen, Moslems, Nicht-Gläubigen", schreibt er.

Diese Hoffnung sei mit der Rücknahme des Antrags zum Ausschluss Sarrazins gescheitert. "Ich kann es in einer Partei mit einem Sarrazin aushalten, aber ich kann es nicht in einer Partei aushalten, die sich aus Angst vor dem Stammtisch einem Sarrazin nicht stellen will. Oder noch schlimmer: die nicht mal weiß, ob sie das will."

"Pessach und Ostern zusammen", habe er mit sich gerungen, sagt der Jurist Lagodinsky , "die SPD war meine politische Heimat", die habe er verloren. Denn die Debatte um die Thesen des früheren Berliner Finanzsenators gehe nicht um Integration, "das Thema Sarrazin ist Toleranz. Das Thema Sarrazin ist nicht Meinungsfreiheit, das Thema Sarrazin ist Respekt." Dass die Parteispitze dies nicht sehe, sei "ein Symptom für den Zustand der Partei, die nach sich sucht und eine Leere findet."

Ja, Integration sei ein schwieriges Feld, schreibt Lagodinsky in seinem auf den 23. April datierten Brief, aber es schmerze, dass die SPD "vor einem ehemaligen Bundesbanker einknickt wie ein säumiger Kreditschuldner vor einem kleinen Bankangestellten".

Der Vorgang sei bezeichnend "für die allgemeine Orientierungslosigkeit der Partei im Umgang mit Vielfalt als brennendem Thema unserer Gegenwart". Weiter schreibt er: "Selten waren zahlreiche junge SPD-Mitglieder betrübter und beschämter über die eigene Partei als sie es am Karfreitag waren."

Er wolle weiter politisch aktiv sein, sagt Lagodinsky. Wo, könne er noch nicht sagen. Da brauche er noch "Trauerzeit".

© SZ vom 26.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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