SPD-Parteitag in Dresden:Ankunft in der Opposition

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Planlos, zerstritten, ohne Machtperspektive: Ohne Verantwortung hat die SPD viel Zeit - und nach Franz Münteferings Abgang einen neuen Chef, der etwas damit anfangen könnte.

Nico Fried

Es ist durchaus bemerkenswert an den Sozialdemokraten, dass sie sich an einem Tag zutiefst grämen, gegenseitig beschimpfen, in tiefe Lethargie stürzen und gemeinsam das ganze Jammertal des eigenen politischen Daseins durchschreiten können - nur um sich kurz darauf wieder an sich selbst zu begeistern.

Der scheidende SPD-Chef Franz Müntefering: Er erweist seiner Partei einen letzten Dienst. (Foto: Foto: AP)

So ist es in den vergangenen Jahren häufig geschehen, meist verbunden mit einer guten Rede eines neuen Vorsitzenden oder eines Kanzlerkandidaten. Gehalten hat das nie lange, aber die SPD ist in der Lage, ihre Hoffnung immer wieder schwinden zu lassen und dann zu reproduzieren.

So ist es jetzt auch in Dresden geschehen, wo Sigmar Gabriel am Ende eines langen Tages eine gute, eine sehr gute Rede hielt. Die Partei dankte es ihm und machte ihn zur unangefochtenen Nummer eins. Von einer Doppelspitze mit Andrea Nahles, der neuen Generalsekretärin, kann keine Rede mehr sein.

Gabriel führt die SPD, und Nahles wartet weiter darauf, auch mal eine gute Rede zu halten. Viele Jahre lebte sie davon, der SPD zu sagen, dass die anderen - von Scharping bis Lafontaine - alles falsch machten. Darin war sie gut, weil Empörung wichtiger war als Rhetorik. Aber noch nie ist es ihr gelungen, der SPD zu sagen, wie sie es eigentlich richtig machen will.

Gabriels Triumph ist ein Anfang, mehr nicht. Die SPD lebt nach dem Wahldebakel vom 27.September nicht von der normalen Hoffnung einer Partei, die Macht wieder zu erringen, sie muss sich an die Hoffnung klammern, dass sie sich nicht selber pulverisiert. In Dresden entwickelte sich ein Parteitag, auf dem jeder endlich folgenlos sagen konnte, was er wollte. Es war der Parteitag einer Oppositionspartei, die aus Mangel an Verantwortung Zeit für sich selber hat. Und die braucht sie auch.

Franz Müntefering hat seiner SPD in Dresden einen letzten Dienst erwiesen. Der scheidende Parteichef hielt eine Rede außen rum. Er befasste sich mehr mit den Umständen, in denen Politik heute zu machen ist, weniger mit der Politik, die von der SPD gemacht wurde. Müntefering analysierte korrekt, dass die SPD nach elf Jahren Regierung nicht mehr interessant gewesen sei. Planlos, zerstritten, ohne Machtperspektive. Er vermied Schuldzuweisungen, auch gegen sich selbst.

Er kroch nicht zu Kreuze, unterließ aber Rechthaberei. Müntefering sagte selten ich, häufig wir. Er machte die Krise der SPD zu dem, was sie ist: eine Krise, für die alle Verantwortung tragen, nicht einzelne. Das war keine große Rede, aber auch keine falsche.

Münteferings letzter großer Auftritt war von wenig Temperament, vielleicht mit Absicht. Wer Parteitage begeistern kann, was Müntefering oft bewiesen hat, der kann sie auch beruhigen, das hat er in Dresden gezeigt - zu seinen Gunsten, aber letztlich auch zu Gabriels Nutzen. Münteferings Abgang erleichterte den Auftritt seines Nachfolgers. Es war nicht das erste Mal, dass Müntefering dem Talent Gabriel geholfen hat. Aber bestimmt das letzte Mal.

© SZ vom 14.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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