SPD-Parteitag:Historischer Fehler, Harakiri und Respekt

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Die Delegierten stimmen beim SPD-Sonderparteitag ab. (Foto: dpa)

Die Reaktionen auf den Entschluss der SPD, Groko-Verhandlungen aufzunehmen, kommen schnell. Die Linke wird deutlich, die CSU zeigt sich zurückhaltend.

Die SPD hat nach wochenlangen Debatten auf einem Sonderparteitag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt. Das Ergebnis fiel aber knapp aus: 362 Delegierte votierten für die Groko, 279 dagegen. Die Reaktionen aus den anderen Parteien fallen unterschiedlich aus.

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Von Oliver Das Gupta, Bonn, Thierry Backes, Sebastian Gierke und Matthias Kolb

Die deutlichste Kritik kommt von Vertretern der Linken: Sie bezeichneten die Entscheidung der SPD zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union als "historischen Fehler". "Es droht die endgültige Atomisierung der deutschen Sozialdemokratie", sagte Parteichefin Katja Kipping. Der Co-Vorsitzende Bernd Riexinger betonte: "Die SPD begeht Harakiri." Kommissionen, Arbeitsgruppen und Halbzeitbilanzen könnten nicht darüber hinweg täuschen, dass sich in der SPD diejenigen durchgesetzt hätten, die um jeden Preis an der Macht bleiben wollten.

FDP-Chef Christian Lindner sagte: "Wenn die gesamte Führung für den Regierungseintritt wirbt, aber nur eine knappe Mehrheit des Parteitags folgt, ist das eine Hypothek." Er fügte hinzu: "Das Ergebnis lässt befürchten, dass in den Koalitionsverhandlungen nun Rückschritte zu erwarten sind. Widersprüche zwischen den Koalitionspartnern werden nach "Methode Merkel" nun vermutlich mit noch mehr Steuergeld zugeschüttet."

Das knappe Ergebnis des SPD-Parteitags zeigt nach Ansicht von Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter, dass das Sondierungsergebnis "hinten und vorne" nicht reiche. Die Basis wolle mehr als ein Weiter so, mehr als halbherzige Sozialpolitik, erklärt Hofreiter. So ambitionslos wie bisher dürften SPD und Union nicht weitermachen.

Katrin Göring-Eckardt, die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktionhat, die SPD für eine intensive Debatte auf deren Parteitag gelobt, zugleich aber auch eine Regierungsunlust bei den Sozialdemokraten konstatiert. "@spdde hat hart und fair diskutiert. Respekt", schrieb sie auf Twitter. "Von Aufbruch, von Leidenschaft, von Lust auf Regieren war wenig zu spüren. Schade." Zum knappen Ja der SPD zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union schrieb Göring-Eckardt: "Mmh. Das ist wohl weder #SeitanSeit noch #NeueZeit."

CSU-Chef Horst Seehofer hat sich zurückhaltend über das Abstimmungsergebnis geäußert. "Positiv ist die Entscheidung für Koalitionsverhandlungen", sagte Seehofer. "Die Knappheit der Entscheidung wird uns jetzt schwierige Wochen bescheren." Grundlage bleibe das von CDU, CSU und SPD vereinbarte Sondierungspapier. An dieser Haltung habe sich nichts verändert - Seehofer fürchtet: "Die SPD wird uns jetzt immer mit dem Argument konfrontieren, wir müssen doch noch über den Mitgliederentscheid, und wenn dies und jenes nicht gelöst ist, dann haben wir auch da Schwierigkeiten."

Der CSU-Finanzexperte und Vorsitzende der Mittelstands-Union, Hans Michelbach, fordert von den Sozialdemokraten ein "Zeichen der Verlässlichkeit". Die SPD habe auf ihrem Parteitag erneut ein Bild der Zerstrittenheit geboten. SPD-Forderungen nach Nachverhandlungen des Sondierungspapiers weist er zurück.

SPD-Vize Ralf Stegner hat sich erleichtert über das knappe Ja seiner Partei für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union gezeigt. "Das war eine leidenschaftliche Debatte - wie erwartet", sagte Stegner. "Ich bin froh darüber, dass die Entscheidung getroffen worden ist." Die Stimmung in der Partei zeige, dass die SPD "viel zu tun habe, nicht nur in den Verhandlungen". Die Partei müsse in harten Verhandlungen mit der Union noch einiges erreichen. "Das war ein aufregender Parteitag. Sicherlich ein ganz bedeutsamer, der in die jüngere Zeitgeschichte eingehen wird."

Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner hat den SPD-Parteitagsbeschluss begrüßt. "Glückwunsch zur Entscheidung und Bereitschaft, sich doch in den Dienst des Landes zu stellen #SPD", schrieb die rheinland-pfälzische CDU-Landeschefin auf Twitter. CDU-Vize Thomas Strobl sagte: "Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen". "Die Vernunft hat sich bei den Sozialdemokraten durchgesetzt." Jetzt gebe es "eine richtige gute Chance, dass Deutschland bald eine stabile und verlässliche Regierung bekommt", sagte der baden-württembergische Innenminister. Kanzleramtschef Peter Altmaier äußerte sich nur kurz: "Immerhin" sagt Altmaier, als er vor dem CDU-Präsidiumssitzung nach einer Reaktion zu dem SPD-Abstimmungsergebnis gefragt wird.

CDU-Vize Volker Bouffier spricht sich für zügige Koalitionsverhandlungen aus. "Das Ergebnis der Sondierungsgespräche gilt. Die Kernpunkte dürfen nicht mehr infrage gestellt werden", erklärt der hessische Ministerpräsident.

Der Hamburger CDU-Landeschef Roland Heintze hat sich erleichtert über die Zustimmung des SPD-Parteitages zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gezeigt. "Die weiteren Gespräche werden jedoch nicht einfach werden", sagte Heintze am Sonntag. In den Verhandlungen dürfe nicht über alles neu diskutiert werden. "Es wäre ein falsches Zeichen, plötzlich wieder über Steuererhöhungen oder neue Schulden zu sprechen. Auf Basis der Sondierungsergebnisse müssen wir die Regierungsbildung schnell voranbringen."

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagt: "Ich bin erleichtert. Man hat gesehen, dass die SPD wirklich mit sich gerungen hat." Die Zustimmung zu Koalitionsverhandlungen sei nicht selbstverständlich, sondern "ein extrem hartes Stück Arbeit" gewesen.

DIHK-Präsident Eric Schweitzer sieht im SPD-Votum ein "durchwachsenes Signal". Einerseits wachse die Hoffnung, dass die Parteien auch bei einer schwierigen Ausgangslage eine Koalition vereinbaren könnten. Andererseits enthalte der Beschluss inhaltliche Nachforderungen, die die weiteren Verhandlungen belasten, erklärt Schweitzer.

Der Chemieindustrie-Verband VCI begrüßt das Ja der SPD zu Koalitionsverhandlungen mit der Union. "Gut, dass jetzt durch das Votum der Delegierten die Koalitionsverhandlungen beginnen können, um die Weichen in der Politik hin zu mehr Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit für Deutschland zu stellen", erklärt VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann.

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