SPD:Zwei, die sich schlugen und vertrugen

Bundestag

Die Zeit der ehemaligen SPD-Parteivorsitzenden Andrea Nahles und Sigmar Gabriel im Deutschen Bundestag endet am 1. November.

(Foto: Michael Kappe/picture alliance)
  • Nahles und Gabriel wurden in der Sozialdemokratie unterschiedlich sozialisiert und haben sich lange nicht gut verstanden.
  • Am gegenseitigen politischen Ende waren sie beide wohl nicht ganz unbeteiligt.
  • Am 1. November verlassen die ehemaligen SPD-Vorsitzenden den Bundestag.

Von Nico Fried, Berlin

Es sieht aus wie ein Zufall, aber er hat Symbolkraft: Anfang November legt nicht nur Sigmar Gabriel (60) sein Bundestagsmandat nieder, sondern auch Andrea Nahles (49). Das ließ die ehemalige SPD-Partei- und Fraktionschefin am Montag mitteilen. Das sehr ungleiche Paar nimmt damit zur gleichen Zeit Abschied von der Politik - als könnten sie nur miteinander, was bei ihnen auch immer gegeneinander hieß. Damit endet eine Phase in der Geschichte der Sozialdemokraten, die fast auf den Tag genau vor zehn Jahren begann, als Gabriel und Nahles Parteichef und Generalsekretärin wurden.

Man kann nicht wirklich von einer Ära sprechen, aber das Duo hat die SPD maßgeblich geprägt, ohne sie vor weiteren Niederlagen bewahren zu können. Die beiden stehen für die Geschichte zweier Sozialdemokraten, die sich schlugen und vertrugen, die sich zusammenrauften und dann doch wieder getrennte Wege gingen. Es ist eine sehr typische Geschichte für die SPD: Über zwei talentierte Spitzenleute, die bei allem persönlichen Ehrgeiz ihre Arbeit durchaus in den Dienst der Partei stellen wollten - und doch den einen, den gemeinsamen Weg aus politischen und persönlichen Gründen nicht finden konnten.

Es war am 28. September 2009, einen Tag nach der Bundestagswahl, in der die SPD und ihr Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier mit 23 Prozent ein Debakel erlebt hatten: Gabriel und Nahles gingen einen Pakt ein, den man sich bis dahin nicht vorstellen konnte. In Absprache mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, und dem bisherigen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, die beide den Parteivorsitz nicht wollten, einigte man sich auf eine neue Ämterverteilung an der SPD-Spitze. Nahles wurde Generalsekretärin und ließ Gabriel den Vortritt beim Vorsitz. Sie hielt sich selbst mit damals 39 Jahren noch für zu jung, und der von ihr herbeigeführte Rücktritt Franz Münteferings 2005 war in der Partei noch nicht vergessen.

Unterschiedliche Sozialisation

Der neue Bund überraschte viele in und außerhalb der SPD: Als Nahles 2005 gegen Münteferings Wunsch Generalsekretärin hatte werden wollen, signalisierte Gabriel ihr zunächst Unterstützung und fiel dann um. Das hat sie ihm verübelt. Zwei Jahre später verhinderte Nahles die Wahl Gabriels ins Parteipräsidium. Das war ein Vorgang, der nicht dazu angetan war, die ohnehin distanzierte Beziehung zu verbessern. Von da an redeten die beiden praktisch nicht miteinander.

Nahles und Gabriel waren politisch schon völlig unterschiedlich sozialisiert worden: Sie wurde bekannt als wilde Juso-Vorsitzende, Gabriel kam von der sozialistischen Jugendorganisation der Falken. Anders als bei den Jusos habe man bei den Falken nicht nur Karl Marx gelesen, sondern auch Zeit gehabt, sich im Zeltlager nach einer Freundin umzuschauen, hat Gabriel später einmal dem Spiegel erzählt. "Das war für mich eindeutig das attraktivere Angebot."

Nahles hat ihren Aufstieg neben der Förderung durch Oskar Lafontaine auch durch innerparteiliche Opposition und Aufmüpfigkeit befördert. Sie war am Sturz Rudolf Scharpings durch Oskar Lafontaine beteiligt, bezeichnete Gerhard Schröder als Abrissbirne sozialdemokratischer Programmatik und galt auch in den Jahren der Agenda-Politik als einflussreiche Kritikerin, obwohl sie zwischen 2002 und 2005 gar nicht im Bundestag saß. Kurt Beck, dessen Verhältnis zur rheinland-pfälzischen Landsfrau gespannt war, versuchte es als Parteichef mit Einbindung und nominierte Nahles 2007 als eine von drei stellvertretenden Parteivorsitzenden.

Gabriel ging Nahles manchmal auf die Nerven

Gabriel hatte sich im niedersächsischen Landtag einen Namen gemacht, wurde dort von den früheren Ministerpräsidenten Gerhard Schröder und Gerhard Glokowski gefördert, scheiterte krachend als Ministerpräsident und wurde 2005 von Franz Müntefering quasi in letzter Sekunde noch als Bundesumweltminister in der ersten großen Koalition unter Angela Merkel berufen. Das habe auch am Nachwuchsmangel der SPD gelegen, vermutete Gabriel später. In seiner Generation habe die SPD einfach zu wenig Leute gehabt. "Ich war sozusagen die Fliege, die in der Pfütze wie ein Admiral aussieht", sagte Gabriel jüngst dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Vier Jahre später, als die SPD in die Opposition gewählt worden war, dann der Pakt mit Nahles. Der Parteichef Gabriel und seine Generalsekretärin hatten eine harte Zeit miteinander. Der umtriebige Gabriel ging ihr bisweilen gehörig auf die Nerven, doch Nahles blieb loyal. Als symptomatisch gilt das Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin, das Gabriel gegen Nahles Rat betrieben hatte, dessen Scheitern sie als Generalsekretärin aber zu verantworten und zu rechtfertigen hatte. Immer wieder hat Gabriel auch öffentlich zugegeben, dass er für Nahles anstrengend war.

Gabriel wollte keiner mehr

Erst jüngst aber sagte er der Süddeutschen Zeitung: "Was auch immer Andrea Nahles und mich getrennt hat, sie hat sich als Generalsekretärin damals immer der SPD als Ganzes verpflichtet gefühlt." Während er sich von seinen zahlreichen Stellvertretern nicht unterstützt gefühlt habe, sei Nahles als Generalsekretärin "eigentlich eine richtige stellvertretende SPD-Vorsitzende zu meiner Zeit" gewesen.

Die wichtigste gemeinsame Leistung waren 2013 die Verhandlungen über eine große Koalition. Gabriel wie Nahles argumentierten für den Eintritt in die Regierung und setzten die Entscheidung in einer Mitgliederbefragung durch. Nach der letzten Nacht der Koalitionsgespräche überschlug sich Gabriel regelrecht mit Lob für Nahles' Verhandlungsführung im für die SPD so wichtigen Bereich Arbeit und Soziales. Nahles wurde Ministerin und verantwortete die Einführung des Mindestlohns, Gabriel wurde Wirtschaftsminister und Vizekanzler.

Im Januar 2015 unternahmen beide einen gemeinsamen Versuch, die quälende Debatte in der SPD um die Agenda 2010 zu beenden. In einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung schrieben sie, es sei zwar umstritten, "wie stark genau die Arbeitsmarktreformen" zur Verringerung der Arbeitslosigkeit von fünf auf drei Millionen beigetragen hätten. "Dass aber die Reformen der Agenda 2010 einen großen Anteil an der erfolgreichen Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit hatten, ist unbestritten."

Die Politik der SPD jener Jahre habe dazu beigetragen, dass Deutschland später besser durch die Finanzkrise gekommen sei. Als Fehler der Reformen benannten Gabriel und Nahles, dass zwischen Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet hätten, und Menschen, für die das nicht gelte, zu wenig Unterschied gemacht worden sei. Zudem habe der "Missbrauch von Beschäftigungsanreizen", zu einer dauerhaften Ausdehnung des Niedriglohnsektors geführt. Die SPD habe aber mit dem Mindestlohn und der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes bei älteren Arbeitnehmern Korrekturen vorgenommen, mit denen die grundsätzliche Ausrichtung der Reformen gestärkt worden seien. Das Schreiben verpuffte. Bis heute ist die SPD uneins über Erfolg und Schaden der Agendapolitik.

Gabriel war an Nahles' Karriereende nicht unbeteiligt

In der Schlussphase der gemeinsamen Zeit im Kabinett hatten Nahles und Gabriel wieder häufig Meinungsverschiedenheiten. In der Flüchtlingspolitik kamen sie nicht zu einer gemeinsamen Position, wobei öffentliche Positionierungen und internes Verhalten bei beiden nicht immer übereinstimmten. Auch in der taktischen Ausrichtung für die Bundestagswahl und der Auswahl des Kanzlerkandidaten gab es Unterschiede. Nach der Bundestagswahl 2017 hatten Nahles, Olaf Scholz und Martin Schulz zunächst ihre liebe Not, die SPD erneut in die große Koalition zu führen. Doch bei den zu vergebenden Posten gab es schnell eine Gemeinsamkeit: Gabriel wollte keiner mehr. Überraschend sei das für ihn nicht gekommen, hat Gabriel jüngst dem RND gesagt: "Im Kern haben Andrea Nahles und Olaf Scholz mich wohl einfach für zu unabhängig gehalten."

Umgekehrt darf Gabriel für sich in Anspruch nehmen, am Ende der Karriere von Andrea Nahles wohl auch nicht gänzlich unbeteiligt gewesen zu sein. Er stichelte öffentlich, als er behauptete, die Grundrentenpläne, die jetzt von Sozialminister Hubertus Heil vorangetrieben würden, habe Nahles als Ministerin im Verbund mit dem Kanzleramt zwei Jahre vorher noch verhindert. Nahles selbst hat sich zu Gabriels Rolle nie geäußert, Vertraute wollen aber wissen, dass sie auch hinter mancher Attacke in der Zeit vor ihrem fluchtartigen Rücktritt ihn vermutete. Gabriel hingegen bemüht sich öffentlich auch in diesem Punkt um Versöhnlichkeit: Nahles' Abgang sei ein "großer Verlust" für die SPD. "Und obwohl ich nicht mit ihr befreundet bin, fand ich es bitter, mit ansehen zu müssen, wie ein Engagement dieser Größe so enden konnte."

Es könnte sein, dass der zeitgleiche Abschied dieser zwei Sozialdemokraten, die sich gegenseitig so vieles ermöglicht, aber eben auch manches versagt haben, doch nicht nur ein Zufall ist.

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