SPD-Regionalkonferenzen:Szenen einer Selbstfindung

  • Die SPD-Mitglieder konnten vom 14. bis zum 25. Oktober ein neues Führungsduo für ihre Partei wählen.
  • Zuvor sind die Kandidaten quer durch die Republik gereist und haben auf 23 Regionalkonferenzen bei der SPD-Basis um Unterstützung geworben.
  • Mehr als 8000 Kilometer ist jeder Kandidat Generalsekretär Klingbeil zufolge duch Deutschland gereist.
  • Was auf der Wahlkampftour passiert ist, lesen Sie hier in unserer Chronik der Regionalkonferenzen.

Von Philipp Saul, Gunnar Herrmann, Thomas Balbierer und Susanne Höll

12. Oktober, München: Hierschel und Mattheis geben auf

Unter den Bewerberduos in der SPD nehmen einige für sich in Anspruch, einen deutlich linken Kurs zu fahren. Sie wollen mit der Partei einen anderen Kurs fahren, außerhalb einer großen Koalition. So besteht die Möglichkeit, dass sich die linken Teams gegenseitig Stimmen wegnehmen und es am Ende niemand in die Stichwahl schafft.

Zu den linken Kandidaten zählen auch Hilde Mattheis und Dierk Hirschel. In München tun sie das, was Simone Lange und Alexander Ahrens in der ersten Regionalkonferenz vor sechs Wochen getan haben. In den vergangenen Wochen sei es den linken Teams nicht gelungen, sich auf ein gemeinsames Bewerberduo mit aussichtsreichen Chancen zu einigen.

Mattheis und Hirschel, denen ohnehin kaum Chancen auf den Vorsitz eingeräumt wurden, ziehen sich deshalb aus dem Rennen um die Parteispitze zurück. Die Mitglieder sollten vor der Abstimmung nach einem "alternativen Angebot" unter den verbleibenden sechs Paaren schauen und dementsprechend abstimmen. Eine konkrete Wahlempfehlung geben sie aber nicht ab. Gesine Schwan und Ralf Stegner haben offenbar nicht vor zurückzuziehen: "Wir haben und wir werden keine Wahlkapitulation unterschreiben", sagt Schwan später.

Die Kandidaten für den Vorsitz haben ihre Tour durch die Republik geschafft, nun entscheiden die Mitglieder der Partei. Alle Bewerber versprechen, sich nach der Abstimmung hinter das Sieger-Duo zu stellen. Dominik Hutter war in München dabei.

10. Oktober, Dresden: Die SPD und der Kampf gegen rechts

Es ist der Tag nach dem Terrorangriff von Halle, wo ein Rechtsextremist zwei Menschen erschoss und versuchte, in eine Synagoge einzudringen. Zu Beginn der Regionalkonferenz in Dresden halten die Kandidaten und Parteimitglieder deshalb inne. Das Treffen beginnt mit einer Schweigeminute für die Opfer. Später spricht Olaf Scholz von einem Anschlag auf die Demokratie und die jüdischen Bürger, den man sehr ernst nehmen und dagegen aufstehen müsse.

Die Auseinandersetzung mit der AfD war auf den SPD-Regionalkonferenzen immer wieder Thema. Der Kampf gegen rechts spielt eine wichtige Rolle. Mehrfach haben sich Bewerber mit deutlichen Worten gegen die AfD gewandt. In Dresden geben einige Kandidaten wie etwa Karl Lauterbach der AfD eine Mitschuld an den Ereignissen in Halle. Er wirft der Partei "erbärmliche Heuchelei" vor. Man hetze und tue dann so, als ob man nichts damit zu tun habe. Michael Roth fordert, die Partei vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen.

6. Oktober, Duisburg: Hommage an Willy Brandt

Und dann steht kurz vor Schluss plötzlich eine Legende der sozialdemokratischen Partei auf der Bühne. Jedenfalls klingt es so, als Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius die Stimme des früheren Vorsitzenden Willy Brandt imitiert. Frei nach Brandts erster Regierungserklärung als Bundeskanzler sagt Pistorius: "Liebe Genossinnen und Genossen. Wir wollen gute Nachbarn sein - nach innen und nach außen."

Bei seinen Parteifreunden kommt das gut an. Pistorius bekommt begeisterten Applaus. Das Gute-Nachbarn-Sein gelte "für uns innerhalb der SPD", fährt er mit eigener Stimme fort. "Lasst uns wieder gut miteinander umgehen auf allen Ebenen", appelliert er an die Mitglieder. "Und lasst uns gute Nachbarn nach außen sein. Lasst uns die Welt ein Stückchen besser machen, humaner, als sie heute ist." Dies könne die SPD besser als alle anderen.

Im Oktober 1969, vor fünfzig Jahren, nahm die erste sozialliberale Koalition von SPD und FDP unter Brandt ihre Arbeit auf. Joachim Käppner blickt auf die Zeit zurück, als die SPD erstmals den Bundeskanzler stellte.

1. Oktober, Potsdam: Scholz und Klara Geywitz können sich nicht absetzen

Eigentlich galten sie als Favoriten bei der Suche nach der neuen SPD-Führung. Doch auch vor heimischem Publikum - beide wohnen in Potsdam - bekommen Olaf Scholz und Klara Geywitz nicht viel mehr Applaus als andere Teams. Christina Kampmann und Europa-Staatsminister Michael Roth sowie Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius und seine Partnerin, die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping, kommen beim Publikum ebenfalls gut an.

Ob sich Scholz und Geywitz am Ende gegen die anderen Kandidaten, von denen sie viel Kontra bekommen, durchsetzen können, ist auch knapp zwei Wochen vor der letzten Regionalkonferenz weiter völlig offen. Endgültig gewählt wird die Parteispitze auf einem Parteitag Anfang Dezember in Berlin. Spätestens dann, macht Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke deutlich, müsse die SPD die "geschlossenste Partei in Deutschland" sein. Derzeit sei sie zwar die spannendste - Wahlen gewinne man aber durch Teamleistungen.

Der Vorsitz der SPD ist angeblich das schönste Amt der Welt - jedenfalls bis die Genossen sich gegen einen wenden. Warum sollte sich das irgendwer antun? Acht ehemalige Parteichefs erzählen.

29. September, Troisdorf: Müde und fröstelnd

Die Bewerber haben inzwischen alle bereits Tausende Kilometer zurückgelegt, um zwischen den einzelnen Veranstaltungsorten zu pendeln. Und das sieht man den Kandidaten auch an. Es ist die 19. von 23 langen Regionalkonferenzen und auch in Troisdorf gibt es Ermüdungserscheinungen.

Der Bonner Generalanzeiger berichtet: "Der eine oder andere aus der Riege sitzt, wenn er nicht am Mikrofon steht und über die eigenen Ziele reden darf, recht spannungslos auf seinem Barhocker." Und dann ist es in der Troisdorfer Stadthalle für manche offenbar auch noch etwas zu kühl. Klara Geywitz fröstelt und lässt sich nach gut 90 Minuten von Gesine Schwan mit einem roten Schal zudecken, schreibt die Rheinische Post.

28. September, Kamen: "Wir lieben dich alle noch immer!"

Den vielleicht größten Applaus bei der ersten Regionalkonferenz in Nordrhein-Westfalen bekommt der 13-jährige Jonas, als er ankündigt, er werde im kommenden Jahr in die Partei eintreten. Zudem ist er der Meinung, die Sozialdemokraten müssten raus aus der großen Koalition - und gibt gleich noch eine Wahlempfehlung für das junge Duo Christina Kampmann und Michael Roth ab. Seine Aversion gegen die Groko teilt Jonas offenkundig mit den etwa eintausend Teilnehmern in der Stadthalle Kamen sowie den meisten Kandidaten. Gesine Schwan etwa betont: "Wir sollten nicht von Personen geführt werden, die im Kabinett sind!"

Für Finanzminister Olaf Scholz und seine Co-Kandidatin Klara Geywitz ist dieses erste Schaulaufen vor dem größten SPD-Landesverband also nicht das leichteste. Norbert Walter-Borjans darf sich hingegen wie bei einem Heimspiel fühlen. Eine Betriebsprüferin aus Iserlohn versichert dem ehemaligen NRW-Finanzminister: "Wir lieben dich alle noch immer!" Walter-Borjans verweist auf die glorreiche Geschichte der SPD im ehemaligen Kerngebiet der Partei und erinnert an die erfolgreichen Landtagswahlkämpfe Johannes Raus in den Achtzigerjahren. In Richtung Scholz gewandt nimmt er ein altbekanntes Thema auf: "Wir dürfen uns nicht an der schwarzen Null strangulieren."

Einen unfreiwilligen Lacher bekommt Boris Pistorius, als er erklärt, er und seine Partnerin Petra Köpping seinen "nicht ganz so link - äh: links" wie die Mitbewerber Hilde Mattheis und Dierk Hirschel.

27. September, Braunschweig: Kegeln für das Klima

Drinnen wird geredet, draußen gekegelt. Vor der Stadthalle in Braunschweig hat die Protestinitiative Campact 14 menschengroße Kegel mit den Porträts der Kandidaten aufgestellt. Aktivisten, die als Bundeskanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer verkleidet sind, schwangen die Kugel für mehr Klimaschutz. Unter dem Motto "Umfallen oder Aufstehen?" fordern sie eine "knallharte Klima-Diskussion statt freundlicher Casting-Tour". Hintergrund ist das in der Woche zuvor vom Bundeskabinett beschlossene Klimapaket, das vielen Aktivisten und auch einigen Kandidaten für den SPD-Vorsitz nicht weit genug geht.

Übrigens hat ein Vorgänger des künftigen SPD-Führungsduos angekündigt, die Bundespolitik zu verlassen. Sigmar Gabriel möchte sich an anderer Stelle einbringen, schreibt Nico Fried.

SPD-Regionalkonferenz in Braunschweig

Kegeln für das Klima.

(Foto: dpa)

23. September, Ettlingen: "Fridays for Future" lässt grüßen

Die Regionalkonferenz der SPD hatte am Montag noch gar nicht begonnen, da wurde es schon laut rund um die Schlossgartenhalle in Ettlingen. Die Klimaschützer von "Fridays for Future" hatten zum Protest aufgerufen und zahlreiche Jugendliche und Erwachsene waren mit bunten Schildern und Transparenten angerückt, um gegen den von der SPD mitbeschlossenen Klimapakt der Bundesregierung zu demonstrieren. Zehn Euro pro ausgestoßener Tonne CO2 als Einstiegspreis seien "ein Witz", stand da auf einem Protestschild. Vielleicht fühlte sich die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer ja davon inspiriert, als sie in der Halle sagte: "Das Klimapaket ist ein Witz." Scheer kandidiert gemeinsam mit dem Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach für den SPD-Vorsitz. Auch er ließ es sich nicht nehmen, die große Koalition für ihre Klimapolitik zu kritisieren. Die Regierung müsse die "schwarze Null" aufgeben, um eine echte Verkehrswende zu finanzieren, forderte Lauterbach.

Und Olaf Scholz, der als Finanzminister und Vizekanzler maßgeblich an der Klimapolitik der Regierung beteiligt ist? Er verteidigte die Pläne der Koalition und argumentierte, dass nun Milliarden in die Bahn investiert, der Austausch von alten Heizungen gefördert und eine Ticketsteuer auf Inlandsflüge eingeführt werden. Zur Forderung vieler Klimaschützer und Forscher, der CO2-Preis müsse deutlich höher sein, sagte er: "Ich glaube, dass sich das ganz viele nicht leisten können." Olaf Scholz gilt als Favorit für den SPD-Vorsitz. Der Finanzminister ist auch der bekannteste unter den Bewerbern, aber genau darin liegt das Problem, schreibt Mike Szymanski in seiner Seite 3 zur Halbzeit im Kandidatenrennen.

21. September, Neumünster: Klingbeil schwänzt für die Wiesn

Es war vielleicht einfach keine so gute Idee, ausgerechnet an diesem Tag eine Regionalkonferenz in Schleswig-Holstein abzuhalten. Das ist schließlich das Bundesland, das am weitesten von Bayern entfernt ist. Die Ortswahl bringt manchen in Terminprobleme. Der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Lars Klingbeil (41), traf das eine klare Entscheidung: Er ist am Samstag zum ersten Mal bei der Eröffnung der Wiesn gewesen. "Nachdem ich auf neun Regionalkonferenzen war, habe ich mir heute mal erlaubt zu schwänzen", sagte er der dpa in München. Eingeladen hatte ihn die Münchner SPD-Ratsfraktion. "Ich hab' mir das schon immer mal gewünscht", sagte Klingbeil.

In Neumünster geht es dann erneut um Klimaschutz - und der Kritik an dem Eckpunktepapier der großen Koalition. "Mit uns hätte es dieses Ergebnis niemals gegeben", sagt Karl Lauterbach. "Die jungen Leute werden weiter gegen uns auf die Straße gehen."

20. September, Neubrandenburg: Im Schatten der Klimabeschlüsse

Die Suche der SPD nach einem neuen Chef spielt an diesem Abend nur eine untergeordnete Rolle in der politischen Debatte des Landes. Alle reden über das Klima - am frühen Nachmittag hat die Bundesregierung ihr Klimaschutz-Paket in Berlin vorgestellt. Olaf Scholz eilt direkt von Berlin nach Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Und darf sich dort gleich der Kritik an dem Eckpunktepapier der Regierung stellen, dass er selbst gerade eben bei einer Presskonferenz präsentiert hat. Mehrere Mitbewerber verbinden ihre Kritik an der großen Koalition nun mit Kritik am Klimaschutz-Paket. Ein sozial gerechter Klimaschutz sei "an CDU und CSU gescheitert", urteilt etwa Walter Borjans.

Auch für Scholz' Mitstreiterin Klara Geywitz ist es kein guter Tag. Der Schatzmeister ihrer Brandenburger SPD, Harald Sempf, sagt in einem Interview mit dem Spiegel: "Diese Herzenswärme, die ihr zugeschrieben wird, woher die kommen soll, ist mir ein Rätsel." Geywitz sei zwar "unbestritten ein politisches Talent", sei klug und "eine nüchterne, klar denkende Analytikerin", so Sempf: "Aber Klara Geywitz könnte von der zwischenmenschlichen Wärme her auch eine 10 000er-Geflügelfarm leiten." Geflügelfarmer genießen offenbar in Brandenburg nicht den besten Ruf.

18. September, Hamburg: Keine starke Basis für Scholz

Finanzminister Olaf Scholz, der als Favorit für den Posten des Parteivorsitzenden gilt, ist in Hamburg fest verwurzelt. Hier war er einst Landesvorsitzender der Partei, Innensenator und Erster Bürgermeister. 2011 gewann er mit der SPD sogar einmal die absolute Mehrheit - einen Erfolg, an den er bei der Regionalkonferenz erinnert. Eigentlich sollten Scholz und seine Mitbewerberin Klara Geywitz in der Hansestadt ihre stärkste Basis vorfinden.

Aber der Abend zeigt etwas anderes: Mitbewerber, die einen Ausstieg aus der großen Koalition oder ein Ende der schwarzen Null fordern, erhalten an diesem Mittwochabend auf Kampnagel deutlich mehr Applaus von den mehr als 1000 Besuchern der Regionalkonferenz.

17. September, Berlin: Volles Haus - Wohnungsnot

Es ist die bislang bestbesuchte Regionalkonferenz. Das Willy-Brand-Haus, die Bundeszentrale der SPD, ist bis auf den letzten Platz besetzt. Vor den überfüllten Rängen geht es unter anderem um ein Thema, das die Berliner derzeit besonders bewegt: den Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Die SPD müsse in Deutschland für Wohnungsbau stehen, sagte Scholz. "Wir müssen dafür sorgen, dass in diesem Land 100 000 Sozialwohnungen gebaut werden."

Für die Berliner Regionalkonferenz hatten sich nach SPD-Angaben 2500 Mitglieder angemeldet, die allerdings nicht alle in der Parteizentrale in Kreuzberg Platz fanden. Etliche verfolgten die Veranstaltung bei 14 Public Viewings in SPD-Büros in den Berliner Bezirken.

16. September, Baunatal: Heimspiel für Roth

Zum elften Mal treffen sich die Kandidaten für den SPD-Parteivorsitz bei einer Regionalkonferenz, diesmal im nordhessischen Baunatal. Vieles kennt man: Der Saal ist proppenvoll, etwa 800 Leute, manche müssen stehen. Viele Menschen gesetzteren Alters, gute Laune, keine Selbstverständlichkeit in der SPD, neugierige Zuhörer, die das Treffen sichtlich genießen und großzügig Applaus spenden. Besonders großzügig werden in der Baunataler Stadthalle Christina Kampmann, NRW-Landtagsabgeordnete aus Bielefeld und Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, bedacht.

Kein Wunder. Nordhessen, eine inzwischen etwas geschliffene SPD-Hochburg ist die politische Heimat Roths, er war hessischer Generalsekretär, hier kennt ihn jeder Genosse. Heimspiel nennt man so etwas. Einige seine jungen Unterstützer sitzen im Saal, in roten Pullis, aufgedruckt sind die Namen der beiden Bewerber.

Kampmann und Roth geben sich allergrößte Mühe, als perfektes Duo aufzutreten. Kampmann scheut sich nicht zu erzählen, dass sie im früheren Leben einmal Standesbeamtin gewesen sei und habe viele Paare glücklich gemacht. Ihr habe Roth dankenswerterweise ein Ja-Wort gegeben. Den Leuten im Saal gefällts, Beifall. So wie, na klar, für Roth, der sich und die Kollegin anpreíst als "neue Gesichter" der SPD, die nicht von Scheitern und Misslingen reden, sondern ins "Gelingen verliebt" sind. Manchmal redet sich Roth in lautstarke Rage, wenn er über den Kampf gegen Rechte spricht oder seinen Traum von den Vereinigten Staaten von Europa.

Eine Vorentscheidung ist in Baunatal natürlich nicht gefallen. Klar wird aber, dass die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis mit ihrem Kompagnon Dierk Hirschel sowie das Duo des Vize-SPD-Bundesvorsitzenden Ralf Stegner und Gesine Schwan in Nordhessen nicht zu den populärsten Teams gehören. Leute mit Ämtern und Würden in der Hessen-SPD rechnen damit, dass es bei dem für Oktober angesetzten Basisvotum keine klare Entscheidung geben wird, sondern zwei Duos in die Stichwahl gehen dürften. Dass Finanzminister und Vize-Kanzler Olaf Scholz nicht unter den Finalisten sein wird, können sich diese Leute zur Mitte des Vorstellungs-Rundreise allerdings nur schwer vorstellen.

15. September, Oldenburg: Brunner gibt auf

Spätestens jetzt ist klar: Die SPD wird in Zukunft von einem Duo geführt. Karl Heinz Brunner, SPD-Bundestagsabgeordneter und alleiniger Einzelkämpfer im Rennen um die Parteispitze, hat sich nach der Regionalkonferenz in Oldenburg aus dem Wettbewerb zurückgezogen.

An den Regionalkonferenzen in Filderstadt und Oldenburg hat Brunner schon gar nicht mehr teilgenommen. Eines der Hauptthemen dort: die Klimakrise. Für eine beschleunigte Energiewende brauche es Investitionen, so Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius: "Dazu gehört dann eben auch, die schwarze Null in Frage zu stellen." Nach dem Rückzug Brunners sind nun noch sieben Zweierteams übrig. Bereits zum Start der Regionalkonferenzen hatten die SPD-Oberbürgermeister Simone Lange und Alexander Ahrens ihre Bewerbung zurückgenommen.

14. September, Filderstadt: "Niemand ist in die Groko verliebt"

Er habe "ein bisschen Schiss" gehabt, dass die lange Suche nach neuen Vorsitzenden der SPD schaden könnte, bekannte Baden-Württembergs SPD-Chef Andreas Stoch am Samstag in Filderstadt. Doch nach der zweieinhalbstündigen Regionalkonferenz zeigte er sich erleichtert: Die Veranstaltung sei "sehr lebendig" gewesen.

Für Leben sorgt mal wieder die Dauerdiskussion über das Wohl und Wehe der SPD in der großen Koalition. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert seine Partei auf, das ungeliebte Bündnis schnell zu verlassen. "Wir riskieren sonst die Glaubwürdigkeit und Existenz der Partei", warnt er. Im Team mit Umweltpolitikerin Nina Scheer präsentiert sich Lauterbach als deutlichster Groko-Gegner. SPD-Finanzminister Olaf Scholz weist darauf hin, dass die SPD auf einem Parteitag im Dezember darüber entscheide, wie es mit der Koalition weitergehe. Klara Geywitz, die mit Scholz antritt, stellt sicherheitshalber nochmal klar: "Niemand in diesem Saal ist verliebt in die Groko."

12. September, Nürnberg: "Die SPD war auch ein Depp"

"Der Glubb is a Depp" - dieses Bonmot hat der Nürnberger Sportreporter Klaus Schamberger geprägt und damit die lokale Fußballmannschaft gemeint, die immer wieder in die Bundesliga auf- und kurz darauf in die zweite Liga absteigt. Auf der Regionalkonferenz in Nürnberg, seiner Heimat, bemüht auch Dierk Hirschel den Spruch über den 1. FCN.

Wie die Nürnberger Nachrichten schreiben, ergänzt der Chefökonom der Gewerkschaft Verdi: "Und die SPD war auch ein Depp, denn sie hat in den 2000er Jahren Politik gegen Gewerkschaften und Arbeitnehmer gemacht." Das müsse sich ändern, fordern Hierschel und seine Teamkollegin Hilde Mattheis. Für die beiden ist außerdem klar: Die SPD muss aus der großen Koalition austreten. Sie seien von Anfang an dagegen gewesen.

11. September, Erfurt: Wahlkampfauftakt in Thüringen

Der Fußballclub Rot-Weiß Erfurt wurde zu DDR-Zeiten zweimal Meister. Heute allerdings spielt der Verein nur noch in der viertklassigen Regionalliga. Die SPD ist momentan ebenfalls weit weg von den großen Zeiten der Vergangenheit - und könnte bald die nächste Schlappe kassieren.

Vor der Regionalkonferenz im Erfurter Steigerwaldstadion eröffnet Thüringens SPD-Chef Wolfgang Tiefensee den Landtagswahlkampf. Am 27. Oktober wird gewählt und die SPD könnte unter zehn Prozent rutschen. Dennoch wirkt Tiefensee optimistisch, schreibt die Thüringer Allgemeine. Ralf Stegner sagt später: "Ich hoffe, die Wende beginnt in Thüringen."

10. September, Nieder-Olm: Herzen für Schwesig

Es ist der Tag, an dem die kommissarische SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig ihren Rückzug aus der Führung der Bundespartei bekannt gibt. Wegen ihrer Brustkrebs-Erkrankung will sie kürzertreten und sich auf die Landespolitik in Mecklenburg-Vorpommern konzentrieren.

Auf Anregung von Malu Dreyer, die die Partei nun nur noch zusammen mit Thorsten Schäfer-Gümbel führt, formen im rheinland-pfälzischen Nieder-Olm mehrere Hundert Teilnehmer ihre Hände zu Herzen. Von der Regionalkonferenz solle ein "ganz starkes Signal" an Schwesig ausgehe, sagte Dreyer - "dass wir Manuela wirklich Kraft und Stärke schicken". Was Schwesigs Rückzug für die SPD bedeutet, haben Peter Burghardt und Mike Szymanski aufgeschrieben.

SPD-Regionalkonferenz in Nieder-Olm

Nieder-Olm grüßt Manuela Schwesig.

(Foto: dpa)

9. September, Friedberg: Roth und Kampmann wirken jung und frisch

Michael Roth ist der einzige hessische Kandidat im Bewerberfeld der Sozialdemokraten. Seine Teampartnerin Christina Kampmann und er galten anfangs nicht unbedingt als Favoriten auf den Parteivorsitz, machen bei den Regionalkonferenzen aber immer wieder auf sich aufmerksam. Das jüngste Duo des SPD-Wahlkampfs liefert auch in Friedberg "eine frische und offenbar gut eingespielte Präsentation" ab, wie die Gießener Allgemeine schreibt. Nach Auffassung der "Hessenschau" war Roths Auftritt allerdings offenbar eher zurückhaltend. Sie schreibt, Roth "war anwesend, aber hat er etwas gesagt?". Roth sei selbst beim Abschlussstatement nicht ans Mikrofon gestrebt, "selbst als seine wortgewaltige Teampartnerin Christina Kampmann es ihm in letzter Sekunde doch noch überreichte".

8. September, Bremen: Buhrufe für Pistorius

Der Bremer SPD-Landesverband ist eher im linken Spektrum der Partei zu finden. Die SPD regiert in der Hansestadt zusammen mit Grünen und Linken. Zur Regionalkonferenz erscheint auch der grüne Landesvorsitzende Hermann Kuhn. Dem Weser-Kurier sagt er: "Sonst kennt man in der Koalition immer nur die Papierlage, hier will ich in die Seele der SPD blicken."

In Bremen kann er viele eher linke Positionen beobachten, aber auch etwas Unmut beim Publikum. Das Land verschickt seit einiger Zeit Rechnungen an die Deutsche Fußball Liga, um sich die Kosten für Polizeieinsätze bei Hochsicherheitsspielen in der Bundesliga erstatten zu lassen. Boris Pistorius, als Innenminister in Niedersachsen ebenfalls mit Polizei und Sport beauftragt, findet das nicht gut. Der Staat habe die Aufgabe, im öffentlichen Raum für Sicherheit zu sorgen, sagt Pistorius. "Der Fußball ist nicht die Melkkuh der Nation". Pistorius erntet Buhrufe.

7. September, Bernburg an der Saale: Auf Augenhöhe im Osten

Im sachsen-anhaltinischen Bernburg stellen sich die SPD-Kandidaten erstmals im Osten Deutschlands der Basis vor. Immer wieder kommt die Runde auf Themen zu sprechen, die den Osten betreffen. Sei es bei der Frage nach gleichwertigen Lebensverhältnissen oder bei der Aufgabe, die Zivilgesellschaft zu stärken. Ralf Stegner sagt: "Menschen sollen vor Nazis keine Angst haben müssen, da stehen Sozialdemokraten in der ersten Reihe."

Sie habe "keine Lust", dass man sich weiter um den Osten "kümmert", sagt Klara Geywitz aus Brandenburg. Sie fordert einen Diskurs auf Augenhöhe, gerade in der SPD. Die Partei sei im Osten in allen Landesregierungen vertreten. "Das sollen die im Westen erst einmal nachmachen". Unser Korrespondent Cornelius Pollmer hat sich das Treffen in Bernburg angeschaut: Die SPD sucht Herz und Kopf.

6. September, Hannover: Wer wird der neue SPD-Papst?

"Wir standen uns in letzter Zeit zu oft selbst im Weg", sagt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil zum Auftakt. Wenn die Partei das hinter sich lasse, dann sei der Vorsitz auch wieder das schönste Amt neben dem Papst, sagt Weil mit Blick auf das berühmte Zitat des früheren Vorsitzenden Franz Müntefering.

In Hannover kann der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius seinen Heimvorteil nutzen. Über seine eigene Person muss er vor niedersächsischem Parteipublikum nicht viele Worte verlieren. Der Applaus verteilt sich bei der Vorstellung der Kandidaten aber meist gleichmäßig. Es gibt eher Konsens statt Kontroverse.

4. September, Saarbrücken: Die Ochsentour beginnt mit einer Überraschung

In Saarbrücken startet die SPD offiziell in den Wahlkampf um die Parteispitze. Und schon am ersten Tag gibt es eine Sensation: Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange und ihr Bautzener Teampartner Alexander Ahrens geben auf offener Bühne den Rückzug von ihrer Kandidatur bekannt. Sie wollen fortan lieber Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken unterstützen.

Diese dürfen sich gleich als erstes Duo vorstellen und machen bei den Mitgliedern einen guten Eindruck. Dagegen tut sich Olaf Scholz, der im Team mit Klara Geywitz als Favorit gehandelt wird, zum Auftakt noch eher schwer. Und Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der Mann mit der Fliege? Hat den Team-Gedanken wohl noch nicht so ganz verinnerlicht. Er gesteht sich selbst deutlich mehr Redezeit zu als seiner Partnerin Nina Scheer. Unser Kollege Mike Szymanski war dabei. Er kommentiert: Wer als Paar nicht funktioniert, kann einpacken. Im Wettkampf um den Vorsitz geht es nicht nur um Sachfragen, sondern auch um die Zusammenarbeit in der Partei.

1. September: Die Bewerbungsfrist ist um, so ist die Ausgangslage

Die erste Hürde ist übersprungen: 17 Kandidaten, also acht Duos und ein Einzelbewerber, haben die Voraussetzungen erfüllt, um offiziell ins Rennen um den SPD-Parteivorsitz einzusteigen. Dafür mussten sie die Unterstützung von mindestens einem Landesverband oder von fünf Kreisverbänden hinter sich bringen.

Sie treten nun bei 23 Regionalkonferenzen auf und stellen sich vom 4. September bis zum 12. Oktober den Parteimitgliedern vor. Danach können vom 14. bis zum 25. Oktober die Mitglieder abstimmen, bevor das Ergebnis einen Tag später verkündet wird. Hat dann niemand die absolute Mehrheit der Stimmen, so wird zwischen Erst- und Zweitplatzierten erneut abgestimmt.

Das sind die Kandidaten:

  • Olaf Scholz (61 Jahre), Bundesfinanzminister, Vizekanzler, SPD-Parteivize, und Klara Geywitz (43), frühere Generalsekretärin der Brandenburger SPD
  • Petra Köpping (61), Integrationsministerin von Sachsen, und Boris Pistorius (59), Innenminister von Niedersachsen
  • Norbert Walter-Borjans (67), früherer Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, und Saskia Esken (58), Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg
  • Gesine Schwan (76), Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, und Ralf Stegner (60), SPD-Parteivize
  • Karl Lauterbach (56), SPD-Fraktionsvize im Bundestag, und Nina Scheer (48), Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein
  • Michael Roth (49), Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, und Christina Kampmann (39), frühere Familienministerin in Nordrhein-Westfalen

Bewerbung zurückgezogen:

  • Simone Lange (42), Oberbürgermeisterin von Flensburg, und Alexander Ahrens (53), Oberbürgermeister von Bautzen.
  • Karl-Heinz Brunner (66), Bundestagsabgeordneter aus Bayern.
  • Hilde Mattheis (64), Vorsitzende des Forums Demokratische Linke 21, und Dierk Hirschel (48), Chefökonom der Gewerkschaft Verdi
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