SPD nach Steinbrücks Abschied:Mit den Heulsusen versöhnt

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Ende einer Kandidatur: Peer Steinbrück (SPD) nach der Bundestagswahl (Foto: Getty Images)

Die Sondierungsgespräche noch, vielleicht auch die Koalitionsverhandlungen. Dann ist die politische Karriere von Peer Steinbrück in der ersten Reihe beendet. Nach 361 Tagen als Kanzlerkandidat verkündete er auf dem Parteikonvent seinen Abschied. Das gibt der restlichen Parteispitze die Chance auf eine zweite Chance. Und die heißt: Mitgliederentscheid.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es sind die letzten Sätze von Peer Steinbrück, die einigen Genossen im Hans-Jochen-Vogel-Saal am späten Freitagabend die Tränen in die Augen treiben. Der eine lautete: "Ich bleibe bei euch." Der andere ist der letzte Satz seiner Rede: "Es war nicht langweilig." Was dann kommt: umgehend stehender Applaus der 200 Delegierten. Ungeplant, unkalkuliert. Kameras und Journalisten sind nicht zugelassen, für die sich jemand genötigt hätte sehen können, mehr Gefühl zu zeigen als da ist.

Steinbrück, versöhnt mit seiner Partei, geeint mit denen, die er einst Heulsusen nannte. Jetzt übernimmt er die Verantwortung für das, wie auch er sagt, "zweitschlechteste Wahlergebnis der Partei". Und geht. Nicht sofort. Nicht hier und jetzt. Er kündigt seinen geordneten Rückzug an. Er strebe "keine neuen Ämter an". Weder in der Regierung, noch in der Fraktion, noch in der Partei.

Steinbrück will gar nichts mehr werden

Allein Listen-Abgeordneter aus Mettmann wird er also bleiben. Das klang noch etwas anders, nachdem am vergangenen Sonntag die Wahllokale geschlossen und die Wähler die SPD mit wenig befriedigenden 26 Prozent zurückgelassen haben. Er werde weiter Verantwortung für die Partei übernehmen, sagte er da. Was er damit meinte, ließ er im Unklaren. Parteichef Sigmar Gabriel dankte ihm gar, dass er an Deck bleibe. Und alle fragten sich, welche wichtigen Ämter Steinbrück denn nun übernehmen sollte.

Ein Ministeramt in einer großen Koalition hatte er ja selbst ausgeschlossen. Kanzler einer Linksregierung wollte er ebenso wenig werden. Der Fraktionsvorsitz hätte noch so ein Amt sein können. Oder stellvertretender Parteivorsitzender?

Jetzt ist klar: Steinbrück will gar nichts mehr werden. Es ist das offizielle Ende der Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück, 361 Tage nach seiner eiligen Nominierung im Parteivorstand am 1. Oktober 2012.

Steinbrück dürfte viel gelernt haben in dieser Zeit. Vor dem Konvent hatte er sich bedankt, dass die Partei ihn "ge- und ertragen hat". Es ist eine neue Erfahrung für ihn. Jetzt, wo alles vorbei ist, da wird er plötzlich geachtet, wenn nicht gar geliebt von der Partei. Sie lässt ihn nicht allein mit dem Schmerz der Niederlage. Wie sagte ein SPD-Mann aus der Bundestagsfraktion noch vor wenigen Tagen: "Steinbrück kann sich jetzt aussuchen, was er werden will." Mehr Hochachtung kann eine Partei einem Wahlverlierer kaum zollen. Steinbrück hat den richtigen Weg eingeschlagen: zurück ins Glied.

Mit sofortiger Wirkung aber tritt sein Rückzug nicht in Kraft. Er wird noch an Sondierungsgesprächen mit der Union teilnehmen. An seiner Seite werden Parteichef Gabriel, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, Hamburgs erster Bürgermeister Olaf Scholz und Generalsekretärin Andrea Nahles stehen. Ob Steinbrück später auch in Koalitionsgespräche eingebunden wird, bleibt noch offen.

Der Konvent hat sich am Freitagabend mit seinem Votum bei fünf Nein-Stimmen und drei Enthaltungen ausschließlich für Sondierungsgespräche ausgesprochen. Das Ergebnis dieser Sondierungen werde dann dem Konvent vorgelegt, der jetzt formal unterbrochen worden ist, erklärte Parteichef Gabriel nach der Sitzung. Im Lichte der Sondierungsergebnisse werde der Konvent dann entscheiden, ob Koalitionsverhandlungen mit der Union aufgenommen werden. Wann es mit den Sondierungen losgeht ist unklar. Kommende Woche schon könnten die Gespräche beginnen. Müssen aber nicht.

Steinbrück lässt Dampf aus dem Kessel

Gabriel jedenfalls ist bemüht, keine Eile aufkommen lassen. Allein ihre Inhalte seien die Richtlinien für die SPD in den Gesprächen. Die Partei habe von ihren Wählern den Auftrag zu einem "Politikwechsel" bekommen, sagt Gabriel. Der müsse erkennbar sein. Die SPD werde sich deshalb nicht in einen Wettbewerb mit den Grünen um die Gunst der Union begeben. Wenn die Union lieber mit den Grünen regieren wolle, bitte. Die Sozialdemokraten hätten auch "keine Angst vor Neuwahlen", sagt Gabriel. Was natürlich nicht ganz stimmt. Neuwahlen würden womöglich die FDP zurück und/oder die AfD zum ersten Mal ins Parlament spülen. Eine neue konservative Mehrheit wäre möglich. Und ob die SPD wirklich besser abschneiden würde als jetzt, ist ungewiss.

Steinbrücks Rückzug lässt jetzt erst mal ein wenig Dampf aus dem Kessel. Er korrigiert das Bild, dass nach dieser erneuten schweren Niederlage für die SPD personell alles unverändert geblieben wäre. Und der glücklose Kandidat gar noch mit einem hohen Posten belohnt werden könnte. Das gibt der verbleibenden amtierenden SPD-Spitze die nötige Luft sich noch eine zweite Chance zu geben. Und die heißt Mitgliederentscheid.

Das Problem wird sein, einen Koalitionsvertrag mit der Union vorlegen zu müssen, der die Basis überzeugt. Damit ist die zweite Chance ist zugleich ein großes Risiko. Lehnt die Parteibasis den Vertrag ab, dann dürften zumindest Gabriel, Generalsekretärin Andrea Nahles und wohl auch Fraktionschef Steinmeier eine Neudefinition ihrer Verantwortung vornehmen müssen.

Außer Frage ist, dass ein Scheitern von Koalitionsverhandlungen kaum zu vermitteln sein wird. Kanzlerin Angela Merkel ist inhaltlich hoch flexibel. Mit der Aufgabe, sie als Schuldige für ein Scheitern darzustellen, dürfte sogar Gabriel überfordert sein. Auch wenn die SPD es ihr sicher maximal schwer machen wird: Gelingt es nicht, den von Gabriel geforderten Politikwechsel in der Vorlage für den Mitgliederentscheid erkennbar zu machen, können er und seine Genossen an der Spitze wohl einpacken.

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