Späher über Washington:Warum ein russisches Flugzeug über dem Weißen Haus kreist

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Das Wetter war prima, die Piloten der Tupolew Tu-154M hatten einen schönen Blick auf die Sehenswürdigkeiten der US-Hauptstadt. (Foto: Imago)
  • Ein russisches Spionageflugzeug kreiste am Mittwoch über dem Weißen Haus in Washington.
  • Ein solcher Flug ist legal, solange er mit der US-Regierung abgesprochen ist.
  • Eine solche Praxis wurde in dem sogenannten Open-Skies-Vertrag von 1992 beschlossen.

Von Hubert Wetzel

Am Mittwoch herrschte prachtvolles Flugwetter über Washington. Ein blanker, blauer Himmel, klar und ohne Hitzedunst. Die Piloten an Bord der Tupolew Tu-154M, die am Nachmittag die US-Hauptstadt in nur knapp 1000 Meter Höhe überflogen, hatten also einen schönen Blick auf die Sehenswürdigkeiten - die strahlend weiße Kuppel des Kapitols, die spitze Nadel des Washington Monuments, drüben, auf der anderen Seite des Potomac, das düstere Fünfeck des Pentagon, und versteckt in den Wäldern das CIA-Hauptquartier. Und natürlich das Weiße Haus, klein, fast bescheiden und derzeit unbewohnt, denn der Präsident weilt in diesen Tagen etwas weiter nördlich auf einem Golfplatz in New Jersey.

Nun sind Flugzeuge über Washington an sich keine Sensation, auch wenn der Luftraum über der Innenstadt und den Regierungsgebäuden seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Sperrzone ist. Aber Tupolews sieht man selten, schon gar keine, die der russischen Luftwaffe gehören und vollgestopft sind mit Kameras, Sensoren und anderem Aufklärungsgerät. Genau das aber war die Tu-154M, die am Mittwoch einige Schleifen über Washington drehte: ein russisches Spionageflugzeug.

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Mit den amerikanisch-russischen Beziehungen steht es in diesen Tagen nicht zum Besten. Man streitet sich wegen der Ukraine und Syrien und wegen der Einmischung des Kreml in die US-Wahl. Erst vor ein paar Tagen verhängten die Vereinigten Staaten neue Wirtschaftsanktionen gegen Russland. Moskau revanchierte sich, indem es die USA anwies, das Personal an seinen diplomatischen Vertretungen um gut 750 Menschen zu reduzieren. Angespannte Zeiten also, dennoch blieb das US-Militär gelassen, als die russische Maschine auftauchte. Denn der Überflug war vollkommen legal, gedeckt durch den sogenannten Open-Skies-Vertrag von 1992.

Dieses Abkommen, das auf Deutsch etwas umständlich Vertrag über den Offenen Himmel oder OH-Vertrag heißt, wurde einst zwischen den Mitgliedern der Nato und den Mitgliedsstaaten des ehemaligen Warschauer Pakts geschlossen. In Kraft trat es allerdings erst 2002, als der Kalte Krieg schon vorbei war. Der Vertrag erlaubt beiden Seiten Aufklärungsflüge über dem Staatsgebiet der anderen, damals feindlichen Länder.

Die Flugrouten kann ein Staat praktisch frei wählen, ob er seine Piloten aus der Luft nun Militärstützpunkte und Hafenanlagen auskundschaften oder die Touristenattraktionen einer Hauptstadt besichtigen lässt, ist seine Sache. Allerdings müssen die Flüge angemeldet werden, und an Bord der Maschine befinden sich auch Vertreter jenes Landes, das überflogen wird. So war es auch am Mittwoch: In der russischen Tupolew waren auch amerikanische Offiziere als Beobachter dabei.

Das Abkommen sollte das Misstrauen im Kalten Krieg abbauen

Der Open-Skies-Vertrag - nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Abkommen zwischen den USA und der EU über die Liberalisierung der zivilen Flugbranche - ist ein klassisches Rüstungskontrollinstrument. Er sollte das Misstrauen zwischen den Gegnern im Kalten Krieg abbauen und das Wissen übereinander erhöhen. Beide Seiten sollten weitgehend ungehindert nachschauen können, was in den anderen Staaten passiert, wo sich Militärbasen befinden, ob und wo welche gebaut werden - ganz nach der alten Lenin'schen Erkenntnis, wonach Vertrauen gut, Kontrolle aber allemal besser ist.

Aber, und das war am Mittwoch gut zu sehen, man kann den Vertrag eben auch nutzen, um die andere Seite ein bisschen zu piesacken. Denn da, wo die Tupolew herumflog, gibt es keine verdächtigen Militäranlagen. Die Russen haben vermutlich ohnehin seit Jahrzehnten jeden Quadratzentimeter der US-Ostküste fotografiert, kartografiert und ausspioniert. Der einzige Zweck der Mission war offensichtlich, den amerikanischen Präsidenten Donald Trump zu stalken. Da der nicht im Weißen Haus war, flogen die Russen auch prompt weiter: zuerst über Trumps Golfplatz in Virginia, dann hoch zum Trump National Golf Club in Bedminster, New Jersey. Irgendwo musste der Bursche ja stecken.

© SZ vom 11.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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