Somalische Piraten vor Gericht:Erster großer Piratenprozess in Hamburg seit Störtebeker

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Lösegelderpressung ist die New Economy am Horn von Afrika. Nun müssen sich zehn Somalier wegen der Entführung eines deutschen Schiffs vor Gericht verantworten.

Arne Perras und Ralf Wiegand

Es wird eng werden im Saal 337 des Strafjustizgebäudes am Hamburger Sievekingplatz. Zehn Angeklagte, 20 Rechtsanwälte und eine Schar von Dolmetschern, dazu die Staatsanwaltschaft und die Richter der Großen Strafkammer 3 des Landgerichts Hamburg geben vom heutigen Montag an die Besetzung für den ersten Piratenprozess in der Hansestadt seit wahrscheinlich gut 400 Jahren. Die Somalier sind angeklagt, im April das deutsche Handelsschiff MS Taipan gekapert zu haben. Ihnen drohen wegen Angriffs auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraubs bis zu 15 Jahre Haft.

Auftakt im Piraten-Prozess: Die angeklagten mutmaßlichen Piraten sitzen am Montag mit ihren Anwälten zu Beginn des Prozesses im Sitzungssaal im Strafjustizgebäude in Hamburg. Vor dem Hamburger Landgericht hat der Prozess gegen zehn mutmaßliche Piraten aus Somalia begonnen. Die Männer sollen am Ostermontag 2010 das Hamburger Frachtschiff MS Taipan rund 530 Seemeilen vor der Küste Somalias unter Gewehrfeuer geentert und knapp vier Stunden in ihrer Gewalt gehalten haben. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten einen Angriff auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraub vor. (Foto: dpa)

Das Schiff der Hamburger Reederei Komrowski war am Morgen des 5. April etwa 500 Seemeilen von der somalischen Küste entfernt überfallen worden. Die 15-köpfige Besatzung, darunter zwei Deutsche, rettete sich in einen Schutzraum und setzte einen Notruf an die EU-Marinemission Atalanta ab. Das niederländische Marineschiff Tromp eilte zu Hilfe, die Soldaten konnten die zehn Somalier noch an Bord des gekaperten Schiffes überwältigen und festnehmen. Die Männer wurden zunächst nach Amsterdam gebracht und von dort nach Deutschland ausgeliefert.

Bisher hatte die Bundesrepublik solche Verfahren gemieden und war nach Kenia oder auf die Seychellen ausgewichen. Doch Kenia hat das entsprechende Abkommen mit der EU im Laufe des Jahres gekündigt, und die Gefängnisse auf den Seychellen sind überfüllt. Weil zudem alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, wurden die somalischen Piraten im Juni nach Hamburg ausgeliefert.

Der Prozess freilich wird den Seeweg vom Suezkanal hinaus in den Indischen Ozean kaum sicherer machen. Die Route ist eine Hauptarterie der Weltwirtschaft. Eine Vorstellung davon vermittelt die Menge des Erdöls, die dort auf dem Meer täglich unterwegs ist: 3,3 Millionen Barrel, das sind zwölf Prozent des Volumens, das sich weltweit auf den Meeren bewegt.

Kriegsschiffe aus aller Welt patrouillieren im Golf von Aden, um den Piraten Angst zu machen. Die Marine-Einheiten haben es tatsächlich geschafft, die Attacken in den Gewässern vor Somalias Küste einzudämmen. Allerdings hat das die Piraten nicht gestoppt. Im Gegenteil, sie sind immer dreister geworden und dehnen ihre Beutezüge bis weit in den Indischen Ozean aus. Dort sind sie erfolgreicher denn je - und schwerer zu fangen.

Angriffe nahe den Seychellen zum Beispiel sind inzwischen keine Seltenheit. Am 23. Oktober 2009 hatten Piraten dort das britische Segler-Ehepaar Chandler in ihre Gewalt gebracht. Erst vor einer Woche kam das erschöpfte Ehepaar endlich frei. 388 Tage - es war die längste Geiselhaft in der Geschichte der modernen afrikanischen Piraterie. Am Freitag berichteten die Behörden der Seychellen von sechs Fischern, die entführt wurden. Sie hatten zwar mehr Glück als die Chandlers und wurden schon nach wenigen Stunden aus der Gewalt der Piraten befreit. Dennoch bleiben somalische Seeräuber die größte Bedrohung für Schiffe im Indischen Ozean. Der Militäreinsatz hat daran nichts geändert.

Piraten werden zur See bekämpft, das war schon immer so. Aber besiegen kann man sie nur dort, wo sie herkommen, also in diesem Falle auf dem somalischen Festland. Dies ist eine ebenso banale wie unangenehme Erkenntnis. Denn ebendieses Somalia wird von Sicherheitsexperten als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt eingestuft. Die autonome Region Puntland, in der eine selbsternannte Regierung beansprucht, staatliche Macht auszuüben, ist ein unüberschaubares politisches Geflecht, und es gibt kaum eine andere Gegend auf der Welt, wo das Entführungsrisiko größer ist - ob zu Wasser, zu Lande oder gar in der Luft.

Lösegelderpressung ist die New Economy am Horn von Afrika. Zwei Zahlen reichen, um das ökonomische Gewicht der Piraterie zu erfassen. Die Regierenden von Puntland haben einen Haushalt von etwa 20 Millionen Dollar im Jahr. Die Piraterie sammelt auf ihren Raubzügen fünfmal so viel ein - ihre Beute wird auf 100 Millionen Dollar im Verlauf eines Jahres geschätzt.

Das bedeutet zwar nicht, dass die Piraten Puntland regieren. Aber weil westliche Regierungen niemanden dorthin senden können, ist es recht schwierig, die richtigen Verbündeten im Kampf gegen die Piraten auszumachen. Die autonome Regierung wirbt um Hilfe, sie will sich als Vorkämpfer gegen die Seeräuber in Szene setzen. Gleichzeitig aber ist nicht auszuschließen, dass das Kabinett und sein Apparat von Piraten unterwandert sind. Aus diesem Dilemma kommt die Weltgemeinschaft so schnell nicht heraus, auch nicht durch einen spektakulären Piratenprozess in Hamburg.

© SZ vom 22.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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