Sicherheitsdebatte:Deutschland braucht eine ehrliche Debatte über Sicherheit

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Nach dem Anschlag mit einem Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin ist die Sicherheitsdebatte neu entbrannt. Im Bild: Der Anhänger wird vom Anschlagsort abgeschleppt. (Foto: dpa)

Der Streit um Überwachung und Polizei ist neu entbrannt. Manches muss überdacht werden. Nur: Die neue Breitseite der CSU trägt nicht zur Versachlichung bei.

Kommentar von Joachim Käppner

Auf den Philosophen Wilhelm von Humboldt geht der berühmte Satz von 1792 zurück: "Denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit." Wie viel Sicherheit die Freiheit aber verträgt, war eine Frage, die erst später mit dem Durchbruch der Demokratien aufkam und bis heute nicht beantwortet ist. Nach dem entsetzlichen Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt hat nun die CSU-Landesgruppe einen gewaltigen Katalog gewünschter Gesetzesverschärfungen vorgelegt, der anscheinend dem Leitgedanken folgt: Zu viel Sicherheit kann es gar nicht geben.

Zum Ritual der deutschen Sicherheitsdebatte gehört, dass sie eher um Prinzipien als um Sachfragen geführt wird. Konservative neigen dazu, jede denkbare Gefahr durch mehr Rechte für Polizei und Geheimdienste und hohe Strafandrohungen ausschließen zu wollen. Aber: Selbst in den USA haben nach 9/11 massive Beschränkungen der großen amerikanischen Freiheitsprinzipien durch homeland security, massive Überwachung oder das einer Demokratie unwürdige Schreckenslager Guantanamo islamistische Attentate nicht verhindern können.

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Umgekehrt ist der Reflex nicht hilfreich, jede denkbare Erweiterung von Sicherheitsgesetzen als Anschlag auf Freiheit und Bürgerrechte zu werten - so wichtig es ist, dem Staat kein blindes Vertrauen entgegenzubringen. Über den Niedergang des Rechtsstaates wurde schon geklagt, als die Behörden vor gar nicht so vielen Jahren erörterten, ob die Polizei auch diese neuen tragbaren Telefone abhören könne. Heute geht es um die digitalen Kommunikationsplattformen. Wer Bürgerrechte aber so versteht, dass millionenfach genutzte Messengerdienste am besten rechtsfreie Räume wären, riskiert dort Freiheit ohne Recht.

Die neue Breitseite der CSU wird die Diskussion nicht versachlichen

Dieser Punkt und mancher andere, etwa eine bessere Kontrolle oder Ausweisung von Gefährdern, sind im CSU-Papier durchaus diskutabel. Der Rechtsstaat schafft sich nicht ab, wenn er aus Versäumnissen lernt. Man kann, wie die deutschen Kommunen, sicherlich eine gewisse Ausweitung der Videoüberwachung, etwa durch längere Speicherung der aufgezeichneten Bilder, für sinnvoll halten. Der Mord an einer Freiburger Studentin wurde auch aufgeklärt, weil die Polizei Videobilder des mutmaßlichen Täters gerade noch sichern konnte, bevor die kurze Speicherfrist ablief. Aber noch so viele neue Kameras, wie sie die CSU fordert, hätten nicht verhindert, dass ein Mörder mit einem Lastwagen in einen Weihnachtsmarkt rast.

Die neue Breitseite der Bayern wird nicht zu einer sachlicheren Debatte darüber führen, wo der Rechtsstaat an den Stellschrauben drehen sollte. Das ist auch nicht das Ziel. Die CSU will suggerieren: Sicherheit ist möglich, wenn man endlich macht, was die CSU schon immer gewusst hat. Derlei Anmaßung aber untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat. Der ist durchaus in der Lage, die Sicherheit der Freiheit zu gewährleisten. Deutschland ist ein vergleichsweise sicheres Land. Aber niemand, der ehrlich ist, sollte so tun, als ließe sich völlige Sicherheit garantieren.

© SZ vom 27.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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