Westafrika:Unruhen erschüttern Senegal

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Einer der Brennpunkte der Unruhen ist die Universität in Dakar. Hier ein senegalesischer Polizist Ende Mai in der Hauptstadt. (Foto: John Wessels /AFP)

Nach einem Urteil gegen den populären Oppositionsführer Ousmane Sonko entlädt sich in Dakar und anderen Städten des Landes Gewalt. Hat der Präsident die Finger im Spiel?

Von Arne Perras

Kaum hatten die Richter in Dakar gesprochen, entlud sich auch schon die Wut auf den Straßen. Am Donnerstag verurteilte ein Gericht Senegals Oppositionsführer Ousmane Sonko zu einer Gefängnisstrafe, was heftige Unruhen in mehreren Städten des Landes auslöste. Besonders betroffen war die südliche Stadt Ziguinchor, wo Sonko Bürgermeister ist. Für die kommenden Tage werden weitere Proteste erwartet.

Videos auf Twitter und anderen Kanälen zeigten angezündete Autos und in Rauch gehüllte Barrikaden. Polizeieinheiten verschossen große Mengen Tränengas. Einer der Brennpunkte war die Universität in Dakar, wo Studenten Einsatzkräfte mit Steinen attackierten. Bei den Zusammenstößen zwischen Einsatzpolizei und aufgebrachten Anhängern von Sonko starben seit Donnerstag mindestens neun Menschen, wie das Innenministerium laut senegalesischen Medienberichten bestätigte.

Umlagert von Polizeikräften hatten Richter am 1. Juni im Justizgebäude von Dakar ein Urteil gefällt, das gewaltige Sprengkraft für das Land hat. In Senegal ist die Bevölkerung aufgerufen, im Februar nächsten Jahres den Präsidenten neu zu wählen. Sonko, der populärste Vertreter der Opposition, soll nun aber für zwei Jahre ins Gefängnis, wegen "Verführung einer Jugendlichen", wie das Gericht in Dakar feststellte. Der Oppositionsführer war nicht im Gerichtssaal, muss aber nun mit einer umgehenden Verhaftung rechnen.

Wegen des Urteils darf Sonko wohl nicht bei der Präsidentschaftswahl antreten

Vor Gericht kam Sonko, nachdem eine junge Senegalesin den Vorwurf der mehrfachen Vergewaltigung gegen ihn erhoben hatte. Tatort soll 2020 und 2021 der Massagesalon "Institut Sweet Beauté Spa Massage" gewesen sein. Außerdem sprach der Angeklagte angeblich Todesdrohungen gegen die Frau aus, um sie einzuschüchtern. Die Richter sahen dies als nicht erwiesen an und verwarfen auch den Vorwurf der Vergewaltigung. Sie verhängten deshalb eine weit mildere Strafe, als sie der Staatsanwalt mit zehn Jahren Haft für den Angeklagten gefordert hatte.

Die Frau, Adji Sarr, sagte der Zeitung Le Monde nach dem Urteil: "Ich bin am Boden zerstört". Sie war zuletzt vielen Anfeindungen ausgesetzt, die jetzt noch zunehmen könnten. Anhänger Sonkos werfen ihr vor, dass sie der Regierung helfe, die Opposition zu schwächen.

Politisch ist der Urteilsspruch so brisant, weil er dazu führt, dass Sonko bei den Präsidentschaftswahlen als Spitzenkandidat voraussichtlich nicht antreten kann. Seine Gefolgschaft sieht das Urteil als Komplott, durch das der Chef der Oppositionspartei Pastef politisch kaltgestellt werden soll. In einer Erklärung beklagte die Pastef, dass die Justiz ein "Urteil auf Befehl" gefällt habe und dass dies nun der letzte Schritt sei in einem "Komplott, ausgeheckt von Macky Sall und seinen Handlangern". Auch Sonkos Anwalt Bamba Cissé sagte in einem Fernseh-Interview, dass hinter den Vorwürfen gegen seinen Mandanten eine Verschwörung stecke.

Der Oppositionsführer begeistert vor allem Junge und Arme

Senegals Präsident Macky Sall hat noch nicht gesagt, ob er erneut ins Rennen um das höchste Staatsamt gehen will oder nicht. Vieles deutet aber darauf hin, dass er am 25. Februar 2024 ein drittes Mal kandidieren wird. Kommt Sonko in Haft, ist die Opposition ihrer stärksten Kraft beraubt.

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Allerdings steht Sall auch noch eine reformierte Verfassung aus dem Jahr 2016 im Weg, die vorschreibt, dass Präsidenten maximal zwei Amtszeiten in Folge absolvieren dürfen. Für Sall wäre es schon die dritte, wenn er erneut antritt - wobei seine Anhänger argumentieren, dass seine erste Amtszeit in die Zeit vor der Reform fällt und deshalb gar nicht zählen dürfe.

Sonko, 48, begeistert vor allem die Jugend und ärmere Schichten, er prangert die Korruption an und beklagt die Unfähigkeit der Regierung. Er fordert soziale Gerechtigkeit, womit er einen Nerv in der Bevölkerung trifft. Senegals Wirtschaft wächst rasch, die Weltbank rechnet für 2023 mit acht Prozent, 2024 sogar mit zehn Prozent. Nur dass viele Bürger eben kaum von dem Boom profitieren, wofür Sonko vor allem die Politik der Regierung Sall verantwortlich macht.

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