Schwere Vorwürfe gegen US-Präsidenten:Republikaner werfen Obama Geheimnisverrat vor

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Peinliche Pannen oder gezielte Wahlkampf-Kampagne? Immer öfter tauchen in letzter Zeit vertrauliche Details über die US-Kriegsführung in amerikanischen Medien auf. Fast immer zeichnen sie ein Bild von US-Präsident Obama als stählernem Oberkommandierer. Die Republikaner vermuten jetzt, dass die Enthüllungen über Todeslisten und Schießbefehle kein Zufall sind. Das FBI ermittelt.

Christian Wernicke

Duldet Amerikas erster Mann im Staate massenhaften Geheimnisverrat, nur um sich als Held aufzuspielen und die eigene Wiederwahl zu sichern? John McCain, Gegenkandidat von Barack Obama im Wahlkampf 2008, plagt genau dieser Verdacht. Seit Wochen publizieren US-Zeitungen Exklusivgeschichten, die allesamt das Bild eines Präsidenten zeichnen, der als stählerner Oberkommandierender im Drohnenkrieg Terroristen am Hindukusch richtet oder als kühler Cyber-Krieger iranischen Mullahs das atomare Handwerk legt.

Schwere Vorwürfe: Die Republikaner vermuten, dass Präsident Obama gezielt Staatsgeheimnisse veröffentlicht, um sich als starken Mann zu inszenieren. (Foto: Via Bloomberg)

Da könne er sich, so formuliert der republikanische Senator süffisant, "nur schwer der Einsicht entziehen", dass diese Enthüllungen geheimster Verschlusssachen von einer "tieferen politischen Motivation" in alle Welt hinausgetragen würden: "Mitten in der Kampagne für seine Wiederwahl erscheint der Präsidenten stark und entschlossen."

Das FBI ermittelt, und das Weiße Haus dementiert. Selbstverständlich und sehr empört. Obama selbst stellte am Freitag klar, dass er "null Toleranz für diese Art von Lecks und Spekulationen" habe. Sein Sprecher Jay Carney hatte zuvor schon verlautbart, der Präsident sei "zutiefst der Meinung, dass wir die Preisgabe von geheimen oder heiklen Informationen verhindern müssen". McCains Vorwurf sei "völlig unverantwortlich".

Kritik aus den eigenen Reihen

Nur, inzwischen bekunden auch führende Demokraten, die vielen Lecks gefährdeten die nationale Sicherheit. Dies seien "die schwersten Verstöße, die ich je gesehen habe", warnte Obamas Parteifreund Dutch Ruppersberger, "das setzt Menschenleben aufs Spiel". Diane Feinstein, ebenfalls Demokratin und Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Senat, befürchtet, wegen der Indiskretionen würden Geheimdienste anderer Länder bereits drohen, die Zusammenarbeit mit der CIA zu beenden: "Das ist ernst, das muss aufhören!" Feinstein will schärfere Gesetze, notfalls müsse man härter gegen Enthüllungsjournalisten vorgehen.

Die Republikaner schießen sich derweil auf die Regierung ein. Konservative Websites prägten bereits den Begriff "ObamaLeaks", in Anspielung auf das umstrittene Enthüllungsportal Wikileaks. Mike Rogers, der mächtige Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, zögert noch, so offen wie sein Parteifreund McCain politische Kräfte im Weißen Haus hinter dem Verrat zu vermuten.

Rogers scheint zu mutmaßen, dass eher eine für Fragen nationaler Sicherheit zuständige Spezialabteilung im Justizministerium chronisch leckgeschlagen ist. Und der Abgeordnete fordert die Einsetzung eines Sonderermittlers, also eines mit allen Ermittlungsbefugnissen bewaffneten Staatsanwalts. Ein solches Verfahren erschütterte seit Herbst 2005 die Bush-Regierung, nachdem Mitarbeiter des Weißen Hauses die Doppelidentität einer CIA-Mitarbeiterin enthüllt hatten. Am Ende der jahrelangen Ermittlung landete Scooter Libby, der engste Vertraute von Vizepräsident Dick Cheney, im Gefängnis.

Die Republikaner ärgern sich darüber, dass Obama-Vertraute einer Crew aus Hollywood kürzlich halfen, die entscheidenden Stunden vor und während der Liquidierung des Chef-Terroristen Osama bin Laden nachzuzeichnen. Der Film soll, welcher Zufall, noch vor der Wahl im November in die Kinos kommen.

Geheimdienstexperten hingegen beunruhigt vielmehr, wie detailliert die Nachrichtenagentur AP und die New York Times Anfang Mai den Fall jenes zweiten Unterhosenbombers nachzeichnen konnten, den al-Qaida aus Jemen in den Terrorkrieg hatte schicken wollen.

Zwei der zuletzt am stärksten beachteten Enthüllungsgeschichten handelten von Geheimnissen, die längst keine mehr waren. Binnen zehn Tagen hatten New York Times und Newsweek zweimal sehr farbig und sehr Obama-zentriert nacherzählt, wie dieser als Irak-Kriegsgegner gestartete Demokrat mittlerweile als Kriegspräsident agiert.

Enthüllungen eröffnen öffentliche Debatte

Zuerst erschien die Story vom Herrscher im Drohnenkrieg, der persönlich Todeslisten und Schießbefehle billigt. Dann folgte der Vorabdruck eines Kapitels aus dem Buch von David Sanger, in dem der renommierte New-York-Times-Reporter schildert, wie Barack Obama persönlich im Cyber-War seinen Mann steht und entscheidet, die Viren-Attacken auf Computer des iranischen Atomprogramms fortzuführen.

Beide Kriegsprogramme unterliegen zwar strengster Geheimhaltung. Aber dass Amerikas Drohnen über Pakistan und Jemen kreisen und dass das Stuxnet-Virus zur Zerstörung iranischer Zentrifugen ursprünglich aus US-Labors stammte, war längst bekannt.

In diesen Fällen, so glaubt jedenfalls Steven Aftergood, Experte von der Federation of American Scientists, hätten die Enthüllungen den USA eher einen überfälligen Dienst erwiesen: Es beginne endlich eine öffentliche Debatte darüber, ob und nach welchen Maßstäben die Weltmacht am Himmel oder im Cyberspace Krieg führe.

© SZ vom 09.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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