Die Schweizer haben es selten eilig. Schon gar nicht politisch: Im Bund, in Kantonen wie in Städten herrschen große Koalitionen, es wird verhandelt bis zum Konsens. Durchregieren? Gibt's nicht. Das bremst, das kann lähmen. Und es erklärt ein wenig, warum die Frauen in Appenzell Innerrhoden erst seit 1990 wählen dürfen, oder warum das Land geradezu hilflos reagiert, wenn es wie jüngst in Sachen Bankgeheimnis von außen unter Druck gesetzt wird.
Umso überraschender wirkt der Beschluss der Berner Regierung, in 25Jahren aus der Atomkraft auszusteigen. Es wird kein neuer Meiler mehr gebaut, und die fünf bestehenden Reaktoren laufen aus. Hier zeigt sich die andere Seite der Schweizer Demokratie, die direktdemokratische. Da geht es manchmal fix. Die Regierung hat schlicht den Willen der Bevölkerung vollzogen, die durch Fukushima genauso atomkritisch geworden ist wie die deutsche. In einer solch existentiellen Angelegenheit kann in der Schweiz, wo über jeden Schulhausneubau abgestimmt wird, auf Dauer niemand gegen das Volk agieren.
Aber das erklärt nicht alles. Der Bundesrat hatte eine andere, weniger radikale Option: Er hätte das nach Fukushima verhängte Moratorium verlängern können, bis sich die akute Aufregung gelegt hat. Insofern haben die sieben Minister aus fünf Parteien eben doch eine bemerkenswert mutige Entscheidung getroffen. Es ist der erste Coup der neuen Frauenmehrheit, die den Widerstand der drei bürgerlich-konservativen Männer in dem Gremium brach.
Entscheidend war die starke Energieministerin Doris Leuthard: Die Christsoziale war als Atomlobbyistin verschrien, bevor sie nun, wie ihr deutsches Vorbild Angela Merkel, das Ruder herumriss. Die Schweizer nehmen ihr den Schwenk ab, weil sie als schlaue Ministerin gilt, die denken und rechnen kann. Leuthards zentrale Begründungen überzeugen. Erstens: "Kernenergie wird auf Dauer teurer, die erneuerbare billiger." Vor allem aber: "Wenn wir weiter sämtliche Optionen offenlassen, dann wird nicht investiert, dann schaffen wir die Energiewende nicht." Da der Schweiz diese Umkehr aber gelingen müsse, solle man lieber sofort damit beginnen - um langfristig auf der Siegerseite zu sein.
Noch muss der Beschluss von beiden Parlamentskammern gebilligt werden. Die Linke will schneller aussteigen, die Mitte vielleicht, die Rechte überhaupt nicht. Doch die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich die Regierung durchsetzt. Einfach wird der Ausstieg keinesfalls, das wissen alle. 40 Prozent des Schweizer Stroms stammen heute aus Reaktoren. Das Land muss umbauen: Strom sparen, sein Steuersystem ökologisch reformieren, erneuerbare Energie ausbauen. Aber dank des hohen Wasserkraft-Anteils und guter Bedingungen für Solarenergie hat die Schweiz gute Voraussetzungen. Bis 2034 ist viel Zeit, jeder kann sich umstellen. Ganz so eilig haben es die Schweizer dann doch nicht.