Tschechien:Die Personifizierung eines Europäers

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Karel Schwarzenberg am 22.01.2020 im Hotel Splendid-Dollmann in München (Foto: Daniel Hofer)

Karel Schwarzenberg, geboren als Mitglied des Hochadels, prägte den Übergang Zentraleuropas vom Sowjetkommunismus zur Demokratie entscheidend mit. Ein Nachruf.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Vor einem Jahr saß Karel Schwarzenberg in seiner Wohnung am Schwarzenbergplatz im Schwarzenbergpalais in Wien und dachte, während er gleichzeitig frühstückte, Zeitung las, telefonierte und den Tag plante, laut über die Weltlage nach; er war, obwohl damals schon 84 Jahre alt und gesundheitlich stark beeinträchtigt, ein klassischer Multitasker. Beim Interview, in der Politik, im Leben.

Viele Politiker in Westeuropa, sagte er damals - ein halbes Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, acht Jahre nach der Annexion der Krim und der Infiltration russischer Truppen in den Donbass - riefen nach einem Kompromiss. Sie wollten, dass die Ukraine besetzte Gebiete abgebe; das aber käme einem Verrat an allen Menschen gleich, die für ihre Freiheit kämpften. Es habe, so Schwarzenberg, solche Opfer immer wieder in der Geschichte gegeben. "Das Münchner Abkommen 1938 war so ein Beispiel. Aber man unterschätzt die Kraft des Bösen". Es sei ja nicht so, dass, wenn man Putin etwas abgebe, Ruhe herrsche. "Er wird sich immer mehr holen."

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In diesen wenigen Sätzen steckt sehr viel von dem, was das Oberhaupt eines jahrhundertealten, fränkisch-österreichisch-böhmischen Adelsgeschlechts ausmachte: tiefe Menschlichkeit, historische Perspektive, analytischer Verstand und Unverständnis für alle, die sich aus Feigheit oder Bequemlichkeit mit Despoten zu arrangieren bereit waren.

So hatte er sich 2011 auf der Münchner Sicherheitskonferenz, als er direkt nach Wladimir Putin ans Rednerpult trat, mit scharfen Worten davon distanziert, wie der russische Präsident im Westen hofiert wurde - und eine weitere Charaktereigenschaft, seinen bissigen Humor, demonstriert: "Ich danke dem Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Wladimirowitsch Putin, für seine Rede", so Schwarzenberg, der damals Außenminister Tschechiens war. Putin habe gerade "bestätigt, was wir schon wussten: Wie notwendig es war, dass wir der Nato beigetreten sind."

"Der Fürst" als Staatsmann

Schwarzenberg ist in der Nacht zum Sonntag in einem Wiener Krankenhaus mit 85 Jahren verstorben, und man kann davon ausgehen, dass seine Beisetzung ein Staatsakt wird. Weil "der Fürst", wie ihn Freunde und Verehrer nannten, ein Staatsmann war, ohne, wenn man vom tschechischen Außenministerium absieht, hohe Staatsämter innenzuhaben. Als Vorsitzender der liberalen Partei TOP 09 hatte er 2013 vergeblich für das Präsidentenamt in Tschechien kandidiert.

Aber der Politiker, Landwirt, Unternehmer, der seit 1979 als Familienoberhaupt auch den ausgedehnten Familienbesitz in Tschechien, Österreich und Deutschland verwaltete, war eine prägende Figur in jenen historischen Jahren, die in den erstarrten Systemen Osteuropas zur demokratischen Wende führten und noch lange danach; als Ratgeber bei Europa- und Osteuropapolitikern blieb er bis zuletzt gefragt, weil er mit großer Sympathie die Osterweiterung der EU begleitete, während er vor den Gefahren des Aufstiegs von Nationalisten und Rechtspopulisten warnte.

Er war ein enger Freund Havels

1984 hatte Schwarzenberg den Vorsitz der Helsinki-Föderation für Menschenrechte mit Sitz in Wien übernommen und sich dafür eingesetzt, dass Menschenrechte auch im sowjetischen Kosmos respektiert, Oppositionelle nicht eingekerkert werden. Er lernte den Dichter und Regimekritiker Václav Havel kennen und gründete ein Dokumentationszentrum für unabhängige tschechoslowakische Literatur, für Samisdat-Texte (im Selbstverlag und an der Zensur vorbei veröffentlichte Werke) im Ostblock. Und als dann 1989 die samtene Revolution die damalige Tschechoslowakei erfasste, war er an der Seite seines Freundes Havel, als dieser den Widerstand anführte und schließlich zum Präsidenten gewählt wurde.

Havel macht den Mann, der trotz der Emigration seiner Familie aus dem Nachkriegs-Prag nach Österreich immer tschechischer Staatsbürger geblieben war, zu seinem Bürochef. Der Journalist Hans Rauscher, enger Freund von Schwarzenberg, erinnert sich im Standard daran, wie warmherzig Havel über seinen bisweilen schrulligen, manchmal ruppigen Wegbegleiter sprach: "Obwohl er gezwungen war, den größten Teil seines Lebens außerhalb seiner Heimat zu verbringen, ist er immer ein Patriot geblieben. Obwohl er als Aristokrat geboren wurde, ist er ein überzeugter Demokrat und Kämpfer für die Menschenrechte."

Sein kompliziertes Privatleben, das von zahlreichen Verwerfungen und einigen Versöhnungen geprägt war, fand zuletzt Eingang in einen Film seiner Tochter Lila, "Mein Vater, der Fürst", der derzeit auf 3sat zu sehen ist. Nun wird sich die ganze, große Schwarzenberg-Familie bei der Beisetzung einfinden, zu der sich jedoch nicht nur seine Verwandten, sondern auch zahlreiche Europäer zählen, die dem Liberalkonservativen so viel zu verdanken haben.

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