Schottland plant Abstimmung über Unabhängigkeit:Flucht aus dem Vereinten Königreich

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Der schottische Ministerpräsident Alex Salmond will nicht mehr hinnehmen, dass die Regierung in London entscheidet, was in Schottland passiert. 2014 sollen seine Landsleute über die Unabhängigkeit von Großbritannien abstimmen - derzeit gibt es keine Mehrheit dafür. Der britische Premier David Cameron möchte das Referendum daher "eher früher als später" abhalten.

Christian Zaschke, London

Es dauerte nur wenige Stunden, bis die Debatte unsachlich wurde. Nachdem der britische Premierminister David Cameron seine Vorstellungen von einem Referendum bezüglich der schottischen Unabhängigkeit bekanntgegeben hatte, antwortete wenig später ein Sprecher des schottischen Ministerpräsidenten Alex Salmond: "Die Tage, in denen eine Tory-Regierung mit einem Abgeordneten - einem weniger als es Panda-Bären in Schottland gibt - diktiert, was in Schottland passiert, sind vorbei."

Der schottische First Minister Alex Salmond (im Bild mit Königin Elisabeth II.) will die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien erreichen. (Foto: AP)

Tatsächlich leben in Schottland zwei Pandas, dagegen sitzt lediglich ein konservativer schottischer Abgeordneter im Parlament in London. Abgesehen davon hat die Regierung des Vereinigten Königreiches sehr wohl Einfluss darauf, was in Schottland passiert, so wie die Bundesregierung zumindest indirekt die Politik in den Bundesländern mitbestimmt.

Die Frage der schottischen Unabhängigkeit ist traditionell emotional aufgeladen, so erklärt sich auch die lebhafte Debatte, die Cameron ausgelöst hat. Der Premier hatte Anfang der Woche erläutert, er sei dafür, eine rechtlich bindende Volksabstimmung über Schottlands Abspaltung vom Vereinigten Königreich abzuhalten, allerdings "eher früher als später". Zunächst hatte er sogar davon gesprochen, das Referendum solle innerhalb der kommenden 18 Monate stattfinden und verlangt, dass nur ein einfaches Ja oder Nein erlaubt sein dürfe: Unabhängigkeit oder nicht.

Am Dienstagabend ging Salmond nun in die Offensive: Er gab offiziell "Herbst 2014" als Abstimmungstermin bekannt und sagte, die Schotten stünden vor "der wichtigsten Entscheidung seit 300 Jahren". Die von Salmond geführte Scottish National Party (SNP) hatte vergangenen Mai die absolute Mehrheit bei den Wahlen zum Regionalparlament erreicht. Sie hatte versprochen, über die Unabhängigkeit abstimmen zu lassen. Zudem hält sich die SNP offen, eine dritte Option auf den Wahlzettel zu schreiben: die weitreichende Übertragung von Regierungsmacht aus London, ohne jedoch einen unabhängigen Staat zu gründen.

Dagegen sind sich die anderen Parteien, Tories, Labour und Liberaldemokraten, einig, dass die Gemeinschaft mit Schottland fortbestehen soll. Sie werfen SNP-Chef Salmond vor, die Abstimmung zu verzögern, weil er derzeit keine Mehrheit für die Lossagung vom Königreich zustande brächte. Sie kritisieren die dritte Option als Trick, um das Lager der Unabhängigkeitsgegner zu spalten und um im Falle einer Niederlage eine Rückfallposition zu haben.

Salmond hat es lange vermieden, über ein Datum zu sprechen. Manche Kommentatoren hatten aber bereits vermutet, er favorisiere 2014. In diesem Jahr finden die Commonwealth Games und der Ryder Cup in Schottland statt, zudem wird der 700. Jahrestag der Schlacht von Bannockburn gefeiert: Unter der Führung des Nationalhelden Robert the Bruce besiegten die Schotten 1314 ein deutlich größeres englisches Heer; es war ein entscheidender Sieg auf dem Weg zur Unabhängigkeit.

Derzeit sind die Unterstützer einer vollständigen Unabhängigkeit in der Minderheit. Je nach Umfrage wollen lediglich zwischen 28 und 38 Prozent der Schotten sich vom Königreich lossagen. Camerons Forderung, die Abstimmung bald und als Entweder-Oder abzuhalten, könnte allerdings Salmond in die Hände spielen. In Internet-Foren und Radiosendern brachten viele Schotten ihren Ärger darüber zum Ausdruck, dass der Premier ihnen Vorschriften mache.

Die stellvertretende schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon sprach von einem "unverfrorenen Versuch", sich einzumischen. "Vielleicht sollte ich auch ganz entspannt sein", fügte sie an, "denn ich schätze, je mehr eine konservative Regierung versucht, in die schottische Demokratie einzugreifen, desto größer wird die Unterstützung für die Unabhängigkeit."

Die Schotten können das Referendum abhalten, wann immer sie wollen. Es hätte jedoch nur "ratgebenden Charakter" und wäre für die Zentralregierung nicht bindend. Im Schottland-Gesetz von 1998, das die Schaffung des Regionalparlaments ermöglichte, ist geregelt, dass Verfassungsfragen weiterhin in London entschieden werden. David Camerons Angebot für eine rechtlich bindende Abstimmung gilt nur mit besagten Bedingungen.

© SZ vom 11.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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