Schmähkritik:Verfassungsgericht klassifiziert Beleidigungen neu - von durchgeknallt bis dümmlich

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Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Meinungsfreiheit in seiner Bewertung von Beleidigungen. (Foto: dpa)
  • Schmähkritik gilt als Beleidigung. Häufig wird jede heftige Kritik an Amtspersonen ohne lange Prüfung als Schmähkritik eingestuft.
  • Nun empfiehlt das Bundesverfassungsgericht strengere Maßstäbe für Schmähkritik.
  • Auch heftige Kritik an einem Staatsanwalt kann deshalb nicht automatisch als Beleidigung betrachtet werden.

Von Heribert Prantl, München

Die deutsche Rechtsprechung zur Beleidigung ist eine Fundgrube. Wer in einem Kommentar zum Strafgesetzbuch die Erläuterungen und Beispiele zu den einschlägigen Paragrafen liest, wird nicht mehr behaupten, dass die Juristerei eine trockene Wissenschaft ist. Bei der Systematisierung der strafwürdigen Ehrverletzungen haben die Juristen eine lustvolle Zärtlichkeit entwickelt. Manches ist auch durchaus einsichtig: Es ist keine Beleidigung, wenn eine wissenschaftliche Arbeit als "anfängerhaft" bewertet wird; sehr wohl gilt es aber als Beleidigung, wenn der Kritiker sagt, der Autor sei ein dummer Mensch.

Nur dann, wenn es um Amtspersonen geht, wird nicht lang ziseliert und unterschieden. Das war schon im Kaiserreich so - und daran hat sich bis zum heutigen Tag wenig geändert. Schon das alte Reichsgericht ließ es sich nicht nehmen, einen Kritiker Otto von Bismarcks streng zu bestrafen, weil der befunden hatte, der Reichskanzler rede "wie ein Schornsteinfeger".

Heftige Kritik an Amtspersonen wird noch heute meist ohne lange Prüfung als "Schmähkritik" bezeichnet. Das ist für den, der als Schmähkritiker bezeichnet wird, nicht angenehm, weil ihm dann das Grundrecht der Meinungsfreiheit nicht mehr zur Seite springt. Bei Schmähkritik gibt es keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Kritikers und dem Persönlichkeitsrecht des Kritisierten - Schmähkritik ist per se beleidigend.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun den Gerichten diesen Hammer aus der Hand genommen. Karlsruhe sagt: "Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit gebieten es, hinsichtlich des Vorliegens von Schmähkritik strengere Maßstäbe anzulegen." Man darf künftig, darum ging es im konkreten Fall, einen Staatsanwalt als "durchgeknallt" bezeichnen, ohne dass das quasi automatisch eine Beleidigung darstellt. Im entschiedenen Fall ging es um einen Rechtsanwalt, der einen Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren wegen der Veruntreuung von Spendengeld vertrat. Gegen den Mandanten war auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen worden. Als ein Journalist hartnäckig beim Anwalt nachfragte, bezeichnete dieser im Lauf des Telefonats die zuständige Staatsanwältin als "dahergelaufene" und "durchgeknallte", "widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin".

Heftige Kritik an einem Staatsanwalt ist nicht per se eine Beleidigung

Der Anwalt wurde von Berliner Gerichten zu 70 Tagessätzen à 120 Euro, also zur Geldstrafe von 8400 Euro verurteilt, weil der Staatsanwältin "in übertriebener Weise negative Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben" worden seien. Ihr sei letztlich attestiert worden, sie sei sozial minderwertig und beruflich unzulänglich. Es sei um eine "haltlose Verteufelung" gegangen.

Da machte nun das Verfassungsgericht so nicht mehr mit. Der "ehrbeeinträchtigende Gehalt" der Äußerungen sei nicht von vornherein "außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes" gewesen. Also verwies das Verfassungsgericht die Sache zu neuer Prüfung und Abwägung zurück. Es muss nun geprüft werden, ob die blanke Diffamierung im Vordergrund stand. Prognose: Es wird freigesprochen werden.

Die Berliner Justiz war und ist hartnäckig. In einem ziemlich gleich gelagerten Fall hatte Karlsruhe schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass heftige Kritik an einem Staatsanwalt nicht per se als Beleidigung betrachtet werden könne. Damals hatte der Zeit-Herausgeber Michael Naumann den Berliner Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge in einer Fernsehdiskussion als "durchgeknallt" bezeichnet. 9000 Euro sollte Naumann dafür blechen, das war 2004. Erst Jahre später bewirkte das Verfassungsgericht einen Freispruch.

Kann man für den Fall Böhmermann aus der jüngsten Entscheidung Honig saugen? Bei den Beschimpfungen des Rechtsanwalts gegen die Staatsanwältin geht es darum, zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz abzuwägen, bei Böhmermanns Polemik gegen Erdoğan ist auch noch die Kunstfreiheit im Spiel.

(1 BvR 2646/15)

© SZ vom 03.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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