Schirin Ebadi:"Sind Menschenrechte nur für den Westen gut?"

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Die iranische Menschenrechtlerin Schirin Ebadi über die Situation in ihrem Land, den Zustand der Opposition und ihre Erwartungen an den Westen.

Interview: P.-A. Krüger

Schirin Ebadi, 62, setzt sich in Iran als Anwältin für Menschenrechte ein. 2003 erhielt sie dafür den Friedensnobelpreis. Sie hat einen Tag vor der Präsidentenwahl im Juni eine Auslandsreise angetreten. Seither hält sie per Telefon den Kontakt in ihre Heimat. Der Süddeutschen Zeitung gab sie in Bonn ein Interview, wo sie sich auf Einladung der Deutschen Welle aufhielt.

Schirin Ebadi in Bonn: "Die Unterdrückung und die Brutalität waren sehr stark." (Foto: Foto: dpa)

SZ: Seit die Massendemonstrationen in Iran niedergeschlagen wurden, hört man nur noch von einzelnen Protesten. Ist die Oppositionsbewegung am Ende?

Schirin Ebadi: Die Unterdrückung und die Brutalität waren sehr stark, aber die Proteste gehen weiter. Nur haben sie eine andere Form gefunden. Derzeit kommen die Menschen nicht auf die Straße, weil sie wissen, dass sie ihr Leben riskieren würden. Man hört immer noch die Allahu-akbar-Rufe nach 22 Uhr als Symbol des Widerstands. Und die Mütter der Opfer, der Verschwundenen und Gefangenen haben die Initiative "Trauernde Mütter" gegründet. Sie tragen jeden Samstag öffentlich schwarze Kleider und treffen sich in Parks zu friedlichen Sitzstreiks. Das ist auch eine Form des Protestes.

SZ: Haben Sie noch Hoffnung, dass die Proteste das Regime zu einer Öffnung bewegen, oder steuert ihr Land inzwischen auf eine Diktatur zu?

Ebadi: Ich hoffe, dass die Regierung noch rational ist, dass sie einlenkt und darauf hört, was die Menschen sagen. Die ganzen Ereignisse und die Brutalität haben dazu geführt, dass die Unzufriedenheit noch größer geworden ist.

SZ: Setzt das Regime nicht auf noch mehr Härte, um seine Macht zu erhalten?

Ebadi: Je tiefer die Kluft zwischen Volk und Staat wird, desto brutaler wird das Regime, das ist klar. Eine Regierung, die eine breite Massenbasis im Volk hat, bräuchte ja keine Gewalt anwenden.

SZ: Wie viel schlechter als vor der Wahl ist die Menschenrechtslage jetzt?

Ebadi: Sie hat sich immens verschlechtert. Laut den Sicherheitskräften hat man bei den jüngsten Ereignissen mehr als 2000 Menschen festgenommen. Und das ist nur die Statistik der Regierung. Nachts hat man die Türen von Studentenwohnheimen eingeschlagen und durch Schüsse fünf Studenten umgebracht und viele verletzt. Und es gab viele andere Gewalttaten, also eine drastische Verschlechterung der Menschenrechtslage.

SZ: Kollegen von Ihnen sind ebenfalls in Haft. Was hören Sie von ihnen?

Ebadi: Drei Kollegen befinden sich im Gefängnis, zwei Rechtsanwälte und ein Journalist. Wie fast alle Inhaftierten sind sie völlig isoliert. Sie dürfen ihre Familien nicht kontaktieren, und sie haben auch keine Anwälte.

SZ: Hat der Westen, hat Deutschland genug getan, um Iran zu einer friedlichen Lösung und zur Einhaltung der Menschenrechte zu drängen?

Ebadi: Nein, natürlich nicht. Die westlichen Länder denken nur an ihre eigene Sicherheit. Sie diskutieren ausschließlich über den Atomkonflikt.

SZ: Manche glauben, Präsident Mahmud Ahmadinedschad werde auf das Angebot der USA eingehen, um einen politischen Erfolg zu erzielen und sich mit der Lösung der wirtschaftlichen Probleme Legitimität zu verschaffen.

Ebadi: Ich würde mich freuen, wenn die Regierung Maßnahmen ergreift, die Wirtschaftssanktionen verhindern. Aber es gibt ganz andere Probleme, die überhaupt nichts mit den Sanktionen zu tun haben, etwa die breite Zensur, die in Iran herrscht; die Diskriminierung von Frauen oder religiöse Diskriminierung. Das hat mit dem Westen alles nichts zu tun. Die Menschen aber beklagen sich über diese Probleme. Daher sollte die Regierung ihr Verhalten ändern.

SZ: Sollte der Westen Verhandlungen über diese Themen mit denen über das Atomprogramm verknüpfen?

Ebadi: In beiden Fällen sollte der Westen Verhandlungen führen. In den vergangenen Jahren wurde mit Iran ausschließlich über Atompolitik verhandelt.

SZ: Sollte man also Fortschritte bei den Menschenrechten zur Bedingung machen für eine Lösung im Atomstreit?

Ebadi: Man sollte beide Themen parallel sehen. Die Frage ist, sind Menschenrechte nur für den Westen gut, nur Werte, die in Europa gelten?

Lesen Sie auf Seite 2, was Schirin Ebadi von den Geschäften der Firmen Siemens und Nokia in Iran hält.

Opposition in Iran
:Schwächen, aber nicht enthaupten

Seit den Präsidentschaftswahlen hat die iranische Regierung viele Oppositionelle verhaftet. Sie verfolgt dabei eine perfide Strategie. sueddeutsche.de zeigt die Gefangenen.

SZ: Herr Mussawi gilt als Reformer. Angenommen er käme an die Macht. Würden sich die Menschenrechtslage oder die Chancen auf Demokratie verbessern ?

Schirin Ebadi über die Straßenschlachten in Iran: "Ich protestiere gegen die Brutalität gegen die Menschen in Iran." (Foto: Foto: AFP)

Ebadi: Ich vertrete keine politische Position und gehöre keiner politischen Organisation an. Ich bin nicht abhängig. Wenn ich mich hier äußere, heißt das keinesfalls, dass ich die eine Seite bevorzuge oder jemanden unterstütze oder ablehne. Mein Protest richtet sich allein gegen die Verletzung von fundamentalen Menschenrechten. Ich protestiere gegen die Brutalität gegen die Menschen in Iran.

SZ: Was sagen Sie zu der Befürchtung, zu starke Kritik könnte dem Regime in die Hände spielen, weil die Opposition dann als Verbündete des Westens dargestellt werden könnte?

Ebadi: Diese Zurückhaltung ist nichts Neues, man hat auch schon vor zwei Jahren geschwiegen, als es Menschenrechtsverletzungen in Iran gab.

SZ: Appelle allein haben bis jetzt ohnehin nichts erreicht. Welcher Mittel sollte sich der Westen bedienen, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen?

Ebadi: Es beginnt mit Appellen und Warnungen. Und wenn das nicht wirkt, können die europäischen Länder ihre Botschafter zurückbeordern. Damit meine ich nicht, dass man die diplomatischen Beziehungen abbrechen oder die Botschaften schließen sollte. Ich meine damit, dass man die Beziehungen reduzieren sollte, von Botschafter- auf Konsular-Ebene. So kann der Westen seinen Protest zeigen. Vor einigen Jahren ist das geschehen, aber nicht wegen der Menschenrechte, sondern wegen Terroranschlägen wie etwa dem Mykonos-Attentat.

SZ: Sind strengere Wirtschaftssanktionen ein Mittel, um die Regierung zu Verhaltensänderungen zu bringen?

Ebadi: Nein, auf keinen Fall. Der Schaden trifft nur die Menschen in Iran. Allerdings ist auch nicht jede Form von Handel legitim. So haben die Firmen Nokia und Siemens Software an das Regime verkauft, damit es den Mobilfunk kontrollieren kann. Einem gewalttätigen Staat darf man nicht helfen, die Menschen zu zensieren.

SZ: Die EU erwägt gerade Einreisebeschränkungen für führende Regierungsvertreter. Befürworten sie das?

Ebadi: Ja, weil es der Bevölkerung in Iran keinen Schaden zufügen wird.

SZ: Aber trifft es das Regime so, dass es Wirkung zeigt?

Ebadi: Zumindest ist es ein klarer Protest und Europa kann so seine Unzufriedenheit signalisieren.

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