Russland: Waldbrände:Mit Schuhen und Decken gegen das Flammenmeer

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Die Bekämpfung der Schwelbrände in Russland kommt kaum voran. Das liegt auch an der veralteten Technik und an überforderten Funktionären.

Frank Nienhuysen

Sergej Schojgu hat eigentlich genug damit zu tun, dass er sich um die Waldbrände kümmern muss. Aber jetzt muss er sich auch noch ärgern. "680 Inspektoren - was können die schon ausrichten? Früher waren es 50.000. Es geht ja nicht um eine Privatbude, sondern um die Sicherheit des Landes."

Das Dorf Mokhovoye, 170 Kilometer von Moskau entfernt, wurde von einer Feuerwalze überrollt. Sieben Leichen wurden geborgen. (Foto: dpa)

Schojgu ist der russische Katastrophenschutz-Minister, und offiziell ist er gar nicht zuständig für das Löschen der Waldbrände, für den Kampf gegen das Feuer. Sondern nur für die Sicherheit in den Städten und Dörfern, für jene Orte also, wo Menschen leben. Aber die Naturaufsichtsbehörde Rosprirodnadsor, sagt er, habe ihm gegenüber geklagt, dass es ihr einfach an Leuten fehle.

Schon vor zwei Jahren gab es Warnungen

Dabei hat Kremlchef Dmitrij Medwedjew wegen der verheerenden Torf- und Waldbrände in Russland bereits in sieben Regionen des Riesenreichs den Notstand ausgerufen. Der Präsident unterzeichnete ein Dekret, das den Behörden bei der Bekämpfung der Katastrophe mehr Vollmachten einräumt. Das meldete die Agentur Interfax am Montag. Zudem verfügte Medwedjew die Sperrung der Waldgebiete für "Unbefugte". Damit haben künftig vorrangig nur Rettungskräfte Zugang zu den Regionen. Der Kremlchef befahl weitere Soldaten in die betroffenen Wälder. Dort waren zuletzt etwa 2000 Armee-Angehörige und rund 240.000 zivile Rettungskräfte eingesetzt.

Sergej Schojgu ist gleichwohl erregt über die Zuständigkeiten, die nicht nach seinem Geschmack sind. Schon vor zwei Jahren hatte er gewarnt, dass man den Regionen mehr auf die Finger schauen müsse. Er sorgte sich darum, dass Moskau aus seinem Staatshaushalt für den Brandschutz zwei Milliarden Rubel (etwa 50 Millionen Euro) in die Provinzen überweise, ohne zu kontrollieren, ob mit dem Geld auch tatsächlich neue Technologie eingekauft werde. Nun stellt sich heraus, dass die neueste Technik offenbar nicht überall zum Einsatz kommt.

Russland ist groß, die Zahl der sogenannten Föderationssubjekte (Regionen, Provinzen und autonome Republiken) liegt bei 90, aber in einigen Gebieten des Landes sprechen Einwohner davon, dass nur das Zentrum in Moskau ihnen helfen könne. Regierungschef Wladimir Putin kritisierte, dass die Verwaltungen der Provinzen nicht alles getan hätten, um das enorme Ausmaß der Katastrophe zu vermeiden. Funktionären, die den Rückhalt der Bevölkerung verloren hätten, legte er den Rücktritt nahe.

Zugleich zeigte er sich selber als volksnaher Retter. Bei einem Besuch in der besonders stark betroffenen Region Nischnij Nowgorod versprach er, dass die heruntergebrannten Holzhäuser bereits bis zum Oktober wieder aufgebaut würden. Schuldfragen aber richten sich auch an Moskau.

Der in Amerika lebende Politologe Nikolaj Slobin schrieb in einem Kommentar für die Zeitung Wedemosti, Russland habe die Mittel zum Schutz der Wälder drastisch gekürzt; für einen Hektar werde jährlich nur ein Rubel (0,03 Dollar) ausgegeben, in den USA seien es dagegen vier Dollar. Und die Schwäche der Gesellschaft verhindere den Aufbau örtlicher freiwilliger Feuerwehr-Einheiten, wie es sie in anderen Ländern gebe, "in denen die Menschen stolz auf ihre Mitgliedschaft" seien.

Jeden Tag Hunderte neue Brandherde

Dennoch ist allen auch klar, dass die unnachgiebige Hitze ein außergewöhnliches Ereignis ist. Russland ist regenfreies Gebiet; schon seit mehreren Wochen liegen die Temperaturen zum Teil weit über 30 Grad, und sie sollen noch in dieser Woche auf mehr als 40 Grad steigen.

Auch die Zahl der Brände nimmt zu. Nach Angaben des nationalen Krisenzentrums brannte am Montag eine Fläche von etwa 500.000 Quadratkilometern, betroffen ist auch ein Biosphären-Reservat in Rjasan. "Die Lage bleibt angespannt, jeden Tag gibt es Hunderte neuer Brandherde", sagte Putin. Die Gouverneure wies er auf einer Krisensitzung an, genaue Pläne zum Wiederaufbau vorzulegen. Insgesamt starben in Russland 34 Menschen, und wenn es eine tröstliche Nachricht gibt, dann vielleicht die, dass nach der Zerstörung ganzer Dörfer zuletzt keine weiteren Siedlungen unmittelbar betroffen waren.

Dafür berichtete der Internetdienst newsru.com, mehrere Einwohner der Region Wladimir hätten selber ihre Häuser angezündet, weil die Behörden unbürokratisch Entschädigungen zahlten. Außerdem seien Gerüchte aufgetaucht, dass die neuen Häuser von einer deutschen Baufirma errichtet werden sollen und auch noch energieeffizient seien. Im Raum Woronesch, wo die Feuer besonders heftig gewütet haben, versuchten einige offenbar Anwohner, ihren Schadenersatz gleich zwei Mal zu erhalten.

© SZ vom 03.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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