Einen Tag nach der Unterzeichnung der auf ein Ende des Krieges in der Ostukraine gerichteten Steinmeier-Formel durch Vertreter der Ukraine, Russlands und der russischen Marionettenregime in Donezk und Lugansk ist ein entsprechendes Treffen unter Vermittlung von Berlin und Paris nähergerückt. In Berlin bestätigte Bundeskanzlerin Angela Merkel, das Bundeskanzleramt arbeite mit dem Kreml, dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an einem Treffen im sogenannten Normandie-Format. Auch Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow erklärte, alle Seiten arbeiteten an der Vorbereitung eines solchen Treffens. "Wir hoffen, dass schon in nächster Zeit Klarheit herrscht."
Die Kanzlerin erklärte, das Treffen solle in Paris stattfinden. "Wir wollen ein Datum finden, um uns in Paris zu treffen, diesmal wird es Paris sein." Noch sei es zu früh, um die wegen der russischen Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine verhängten Sanktionen gegenüber Russland aufzuheben, ergänzte Merkel. Denn man habe bei den Gesprächen zur Ostukraine zwar Fortschritte erzielt, doch es seien viele weitere Schritte erfoderlich. Auch in Kiew, Moskau und den Separistenregionen im Donbass zeigten gegensätzliche Aussagen, dass die Kriegsparteien von einer Regelung noch weit entfernt sind.
Donezk und Lugansk sollen einen Sonderstatus erhalten
Vertreter Kiews, Moskaus und der Separatistenregime in Donezk und Lugansk hatten sich am 1. Oktober in Briefen an die im Ostukraine-Krieg vermittelnde Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit der "Steinmeier-Formel" einverstanden erklärt: einem Vorschlag des früheren Bundesaußenministers, den von Russland organisierten Separatistenregionen im Donbass einen Sonderstatus zu garantieren und Wahlen abzuhalten.
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Diese Idee brachten Berater Putins, Selenskijs, Macrons und Merkels am 11. September auf eine nun von allen Kriegsparteien vordergründig akzeptierte Formel: Demnach sollen in den separatistenkontrollierten Regionen in Donezk und Lugansk außerordentliche Wahlen stattfinden und ein vom ukrainischen Parlament in Kiew verabschiedetes Gesetz den Regionen einen Sonderstatus garantieren - falls die Wahlen "im Ganzen" internationalen und OSZE-Standards für freie Wahlen entsprechen. Schiedsrichter soll das Wahlbeobachtungsbüro (ODHIR) der OSZE sein. Zudem sollen Ukrainer und Separatisten ab dem 7. Oktober ihre jeweiligen Truppen von zwei besonders umkämpften Stellen der 427 Kilometer langen Front- in Solote und Petriwske - zurückziehen, erklärte die OSZE.
In Minsk vetrat am 1. Oktober der ehemalige Präsident Leonid Kutschma für die Ukraine, für Russland war der ehemalige Innenminister Boris Gryslow vor Ort und für die Separatisten Wladislaw Deinego und Natalja Nikonorowa. Freilich wurde ebenso getrennt unterschrieben wie zuvor getrennt verhandelt. Kiew verweigerte ein gemeinsames Dokument mit Vertretern der nicht anerkannen Separatistenregime. Stattdessen unterschrieben der Süddeutschen Zeitung vorliegenden Kopien zufolge Kutschma, Gryslow, Deinego und Nikonorowa getrennte Briefe an den Vermittler - OSZE-Botschafter Martin Sajdik - in denen sie die "Steinmeier-Formel" grundsätzlich anerkennen.
Die Wahlen müssen nachweisbar demokratischen Standards entsprechen
Der diplomatisch verdreckselte Text legt Folgendes fest: Die Ukraine setzt per Sondergesetz außerordentliche Wahlen in Donezk und Lugansk an. Ein weiteres Gesetz gewährt den Separatistenregionen einen Sonderstatus; es tritt am Wahltag um acht Uhr abends in Kraft - freilich nur vorübergehend. Endgültig wird der Sonderstatus erst gewährt, wenn eine Wahlbeobachterkommission der OSZE in ihrem Abschlussbericht feststellt, dass die Wahl "in Übereinstimmung mit der bestehenden Praxis des Wahlbeobachtungsbüros ODHIR der OSZE und mit internationalen Standards für demokratische Wahlen sowie mit ukrainischer Gesetzgebung steht" und "im Ganzen" mit OSZE-Standards und ukrainischen Gesetzen übereinstimme. Diese ukrainische Gesetzgebung müsse zudem eine nicht näher bezeichnete Frage beantworten, die im Normandie-Format zwischen Kiew, Moskau, Berlin und Paris abgestimmt worden sei.
Die Kiewer Zustimmung zu Wahlen und Sonderstatus war Präsident Selenskij und dem Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses im ukrainischen Parlament zufolge eine Bedingung Moskaus für ein Treffen im Normandie-Format. Kreml-Berater Wladislaw Surkow zufolge, Aufseher von Präsident Putin über die Marionettenregime in Donezk und Lugansk, wird ein Datum für einen Gipfel im Normandie-Format freilich erst festgelegt, nachdem die Ukraine mit dem Abzug von Truppen in Solote und Petriwske begonnen habe.
Von einer Lösung des Konfliktes sind die Ukraine und Russland indes nach wie vor weit entfernt. Die Zustimmung zur Steinmeier-Formel bekräftigt faktisch nur generelle Übereinkünfte der Ende 2015 und Anfang 2015 vereinbarten Minsker Protokolle - diese wurden nie umgesetzt. Und auch der am 1. Oktober in Minsk abgestimmte Text umgeht alle kritischen Punkte.
Präsident Selenskij erläuterte in Kiew, das von seiner Partei mit absoluter Mehrheit kontrollierte Parlament werde bis Ende 2019 "im engen Kontakt und öffentlicher Diskussion mit der Gesellschaft" ein Gesetz über den möglichen Sonderstatus für die Ukraine entwerfen. Dabei werde "nicht eine rote Linie überschritten". Diese roten Linien hatten Selenkskij und sein damaliger Sicherheitsberater Olexander Daniljuk bereits am 13. September öffentlich gezogen.
Die Ukraine fordert die Entmachtung der Separatistenregime
In der Ostukraine "Wahlen abzuhalten, bevor wir Zugang zum Donbass haben, unsere Grenze zu Russland gesichert und uns mit den ausländischen Truppen beschäftigt haben und schließlich einen normalen demokratischen Wahlkampf führen können, wären ein Desaster", sagte Daniljuk auf einer Konferenz in Kiew. Dort bekräftigte auch Präsident Selenskij, erst wenn Kiew wieder die Kontrolle im Donbass habe und alle von Moskau kontrollierten Truppen abgezogen seien, könne gewählt werden. Am 1. Oktober bekräftigte Selenskij: "Wir werden niemals der Durchführung von Wahlen zustimmen, wenn es dort noch Militärs gibt."
Ex-Außenminister Pawel Klimkin nannte weitere Forderungen als Mindestvoraussetzungen für Wahlen: etwa die Kontrolle Kiews in der Ostukraine, uneingeschränkte Tätigkeit ukrainischer Medien, Parteien und Gerichte im Donbass, die Organisation von Wahlen durch die ukrainische Wahlkommission, möglicherweise zusammen mit einer internationalen Verwaltung für die bisherigen Separatistengebiete. Im Klartext: die Entmachtung der Separatistenregime und der von russischen Offiziellen und Militärs geleiteten Parallelverwaltungen in Donezk und Lugansk.
Die nominellen Führer der Separatistengebiete wollen direkte Verhandlungen
Demgegenüber bekräftigte Kreml-Sprecher Peskow, die Umsetzung der Minsker Protokolle sei "der einzig mögliche zur Regulierung des ukrainischen Konfliktes im Südosten des Landes". Übersetzt bedeutet dies, dass Moskau offiziell weiter jede Beteiligung an dem Krieg in der Ostukraine bestreitet und gegenüber Kiew darauf besteht, es solle mit den von Moskau installierten "Volksrepubliken" zu verhandeln. Dennis Puschilin und Leonid Pasetschnik, die nominellen Führer der "Volksrepubliken" in Donezk und Lugansk, erklärten am Mittwoch: "Wir werden selbst entscheiden, in welcher Sprache wir reden, wie unsere Wirtschaft aussehen wird, wie unser Gerichtssystem gebildet wird, wie unsere Volksmiliz die Sicherheit unserer Bürger schützt und wie wir uns mit Russland integrieren. Das ist unsere Aufgabe, unser Ziel."
Wenn Selenskij davon rede, dass Kiew Wahlen erst zustimme, nachdem Kiew wieder die Grenze zu Russland kontrolliere, "versteht er nicht, dass es nicht an ihm liegt zu entscheiden, wann bei uns Wahlen stattfinden. Die Kiewer Macht bekommt keinerlei Kontrolle über unsere Grenzen." Wenn Selenskij eine friedliche Koexistenz wolle, müsse er "einen direkten Dialog mit der Volksrepublik Donezk und der Volksrepublik Lugansk führen".