Russland:Abschied vom Sommermärchen

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Wegen der Rentenreform gehen in Russland plötzlich sogar Menschen auf die Straße, die bisher zu Putins treusten Unterstützern gehörten. (Foto: AP)

Großmachtpolitik, aber womöglich Einschnitte bei der Rente: Putins Beliebtheit in Russland sinkt. Nun hat der russische Präsident Zugeständnisse bei der Rentenreform gemacht.

Von Julian Hans, Moskau

Es war auch in Russland ein sehr heißer Sommer, trotzdem hat Wladimir Putin beim diesjährigen Abenteuerurlaub sein T-Shirt angelassen. Als die Staatsmedien am Dienstag die aktuellen Urlaubsbilder des Präsidenten veröffentlichten, war das verglichen mit früheren Inszenierungen die augenfälligste Veränderung - aber nicht die einzige. Glaubt man den Aufnahmen, ist Putin ganz bescheiden mit Geheimdienstchef Alexander Bortnikow und Verteidigungsminister Sergej Schojgu am Oberlauf des Jenissei gewandert. Kein Reiten, kein Tauchen, keine Jagd auf Hechte oder Tiger. Seine einzige Beute war ein Steinpilz, wenn auch ein besonders schönes Exemplar.

Mit dem August geht in Russland die Sommerpause zu Ende, und manches deutet darauf hin, dass der Präsident gut daran getan hat, sich gründlich zu erholen. Es mehren sich die Anzeichen, dass die Stabilität seiner Herrschaft zu bröckeln beginnt.

PR-Fotos aus Russland
:Posen wie Putin

Russlands Staatschef liebt das Spiel mit den Kameras. Gestellte Aufnahmen zeigen ihn bei Flügen mit Kranichen, als Entdecker archäologischer Fundstücke und mal in der sibirischen Wildnis. Dieses mal aber mit einer neue Note.

Seit der Wahl im März fallen die Beliebtheitswerte des russischen Präsidenten. Das unabhängige Lewada-Institut hat nun festgestellt, dass auch die Zustimmung zu seiner Außenpolitik zurückgeht - bisher eine Stützen seiner Herrschaft. Hatten vor zwei Jahren noch 22 Prozent die Außenpolitik als Grund für ihre Unterstützung für Putin genannt, waren es im Juli nur noch 16 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil derjenigen, die beklagen, Putin seien die Interessen seines Volkes fremd, auf den höchsten Wert seit 2013. Besonders in der Provinz kämen viele Menschen inzwischen zu dem Schluss, Russland habe jetzt lange genug anderen Ländern geholfen, sagte der Soziologe Denis Wolkow vom Lewada-Zentrum der Zeitung RBC: "Lasst uns das Geld nicht für andere ausgeben, sondern lieber für uns." In einer Mischung aus Ironie und Verzweiflung änderte das sibirische Dorf Bungur seinen Namen in "Syrien" - in der Absicht, ähnlich viel Aufmerksamkeit und Geld aus Moskau zu bekommen wie Baschar al-Assad.

Die Erhöhung des Rentenalters verkündete der Premier, als ganz Russland Fußball schaute

Die größte Unzufriedenheit entzündet sich allerdings an der geplanten Rentenreform, die mehr als 80 Prozent der Menschen ablehnen. Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew hatte die Pläne im Mai am selben Tag vorgestellt, an dem die russische Mannschaft die Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land eröffnete. Trotzdem hat sich inzwischen herumgesprochen, dass bis 2034 das Renteneintrittsalter für Männer von 60 auf 65 Jahre angehoben werden soll, das für Frauen von 55 auf 63 Jahre. Wegen der niedrigen Lebenserwartung befürchten viele, gar nicht so lange durchzuhalten. In den großen Städten, wo es Arbeit gibt, hatten sich die Menschen darauf eingestellt, im Alter weiterzuarbeiten, aber mit der Rente wenigstens ein Zusatzeinkommen zu haben. Bewohner der Provinz, wo Arbeitsplätze rar sind, befürchten nun, dass sie im Alter weder Arbeit noch Rente haben werden.

Lange hatte sich Putin bedeckt gehalten, so als sei das unpopuläre Thema ganz allein Sache der Regierung. Nachdem das Parlament den Entwurf Ende Juni in erster Lesung verabschiedet hatte, gab der Präsident dann doch eine knappe Antwort auf die Frage, welche Variante er bevorzuge: "Mir gefällt gar keine." Damit verabschiedete sich das Land in die Sommerpause.

An diesem Mittwoch ist Putin bei der umstrittenen Rentenreform auf die Kritiker zugegangen. So solle das Renteneintrittsalter für Frauen nicht so stark angehoben werden wie zunächst geplant, sagte Putin in einer im Fernsehen übertragenen Rede. Auch weitere Änderungen seien geplant. Grundsätzlich sei aber wegen des demographischen Wandels eine Rentenreform unumgänglich.

Eine Abmilderung oder eine Verzögerung der ungeliebten Maßnahmen könnten nach bewährtem Muster dafür sorgen, dass aller Unmut an Regierung und Parlament hängen bleibt und der Präsident seine Rolle als fürsorglicher Schlichter sogar noch festigt.

Der Kreml achtet penibel darauf, die loyale Mehrheit nicht vor den Kopf zu stoßen. Im Juni verschwand das Wort "Rentenreform" plötzlich aus den staatlich gelenkten Medien; auf Geheiß der Präsidialverwaltung, wie der liberale Sender "Doschd" aus eben dieser erfahren haben will. Seitdem ist in den Staatskanälen nur noch die Rede davon, dass die Renten steigen werden, wenn länger eingezahlt wird. Am Wochenende überwältigten fünf Polizisten einer Spezialeinheit den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny vor seiner Wohnung in Moskau. Er hatte für den 9. September zu einem landesweiten Protesttag gegen die Reform aufgerufen.

An diesem Tag finden in zahlreichen Regionen des Landes Wahlen statt, auch in der Hauptstadt. Bei der letzten Bürgermeisterwahl in Moskau 2013 durfte Nawalny noch kandidieren und holte überraschend 27 Prozent. Diesmal wurde kein einziger Kandidat der Opposition zugelassen. Und Nawalny wird den Tag, an dem er sich eigentlich an die Spitze der Proteste gegen die Rentenreform stellen wollte, in einer Moskauer Polizeizelle verbringen. Ein Gericht verurteilte ihn am Montag zu 30 Tagen Arrest wegen einer Ordnungswidrigkeit, die er im Januar begangen haben soll, indem er zu einer nicht zugelassenen Demonstration aufrief.

© SZ vom 29.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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