Russischer Künstler:Im Fadenkreuz des Kreml

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Für sein russisches Publikum vollzieht der offen schwul lebende Serebrennikow den überfälligen Anschluss an die internationale Kunstszene. (Foto: Bernd Weissbrod/dpa)

Der Starregisseur Kirill Serebrennikow inszeniert in Russland Stücke, die manche für Blasphemie und Schweinkram halten. Jetzt wurde er festgenommen - wegen angeblichen Millionenbetrugs.

Von Sonja Zekri

Wenn es schlecht läuft, wird er für zehn Jahre eingesperrt. Wenn es gut läuft, beginnt er in ein paar Wochen mit den Proben zu einer großen Opernproduktion. Das ist die Fallhöhe für Russlands Künstler, für einige jedenfalls, und derzeit für einen der bekanntesten, spannendsten, international begehrtesten: Kirill Serebrennikow. Er dreht Filme und inszeniert Opern, leitet eines der modernsten Theater in Moskau und wird in Stuttgart eben für die Inszenierung von Engelbert Humperdincks Märchenoper "Hänsel und Gretel" erwartet. Doch er ist in Sankt Petersburg festgenommen und zur Vernehmung nach Moskau gebracht worden. Der Vorwurf: Betrug in einem besonders schwerem Fall.

Serebrennikow, geboren 1969 in Rostow am Don, ist studierter Physiker, er kennt sich aus mit Druck, Masse, Hebel. Und vieles, was ihm in diesem Jahr widerfährt, hat damit zu tun: mit Druck, Masse, Hebel. Dabei schien es lange so, als gälten für ihn andere Regeln. Er inszenierte ohne jede Bühnenerfahrung erst in Rostow, dann an allen wichtigen Bühnen Russlands und schließlich auch in Deutschland. In Stuttgart brachte er "Salome" von Richard Strauss auf die Bühne, in Berlin Gioachino Rossinis "Barbier von Sevilla", beides umjubelt. Sein Film "Der die Zeichen liest" über einen religiös fanatisierten Schüler wurde in Cannes ausgezeichnet.

2012 wurde er Leiter des Gogol-Zentrums, eines staatlich geförderten Theaters, das Werke von Lars Norén, Shakespeare, Heiner Müller und Daniil Charms zeigte. Er brachte Formen und Inhalte auf die Bühne, die sein Publikum für den überfälligen Anschluss an die internationale Kunstszene hielt, andere aber für Schweinkram, Blasphemie, oder schlicht: keine Kunst.

Und Serebrennikow ist schwul. Im Mai wurden seine Wohnung und das Gogol-Theater durchsucht, und, wie er unlängst im Interview sagte, sein Pass wurde eingezogen. Der Vorwurf: Er soll zwischen 2011 und 2014 umgerechnet eine Million Euro Staatsgeld unterschlagen haben. Bislang war er Zeuge in diesem Verfahren, zuletzt hatte ihn eine Buchhalterin schwer belastet. "Ohne Arbeit würde ich durchdrehen", hatte er jüngst in Sankt Petersburg gesagt, wo er einen Film über Rockbands der siechen Sowjetunion dreht. Nun ist er in seinem Hotel festgenommen worden.

Ist das das bittere Ende? Schwer zu sagen. Anfang Juli hatte das Bolschoi-Theater Serebrennikows Inszenierung eines Balletts über die schwule Tanz-Legende Rudolf Nurejew abgesagt, weil sie angeblich nicht aufführungsreif war. Nach Vermutung vieler lag es daran, dass sie Konservativen - dem Kulturminister, der Kirche - nicht passte. Nun soll "Nurejew" im Dezember aufgeführt werden. So viel zu Druck und Masse. Und der Hebel? Findet sich im Kreml. Künstler aus der ganzen Welt und aus Russland, auch ehemalige Minister, haben sich an Wladimir Putin gewandt. Sollte es zur Begnadigung des Künstlers durch den Herrscher kommen, wäre das ein russischer Klassiker.

© SZ vom 23.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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