Rumänien:Was heißt hier "revolutionär"?

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Rumäniens Ministerpräsident Marcel Ciolacu bei einem Besuch in Berlin im Juli 2023. (Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Eine Posse, die tief blicken lässt: Der rumänische Premier sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, einen Staatssekretär geschasst zu haben - weil der ihm den Status als "verdienter Revolutionär" aberkannt hatte. Es geht um Geld, um Karriere, aber auch darum, was beim Aufstand 1989 wirklich passierte.

Von Cathrin Kahlweit

Auf dem Papier geht es um eine Zusatzrente, um ein paar Hundert Euro im Monat und staatliche Vergünstigungen. Finanzielle Vorteile, die für die Befindlichkeit eines Ministerpräsidenten eigentlich nicht ausschlaggebend sein sollten. Aber im Falle des sozialdemokratischen Premiers von Rumänien, Marcel Ciolacu, der im Sommer im Rahmen einer Rotation seinen Vorgänger von der konservativen PNL, Nicolae Ciucă, abgelöst hatte, geht es um mehr: Es geht um sein Image - und seine politische Karriere.

Ciolacu hatte kurz nach Weihnachten den Leiter des "Sekretariats der Revolutionäre von 1989" feuern lassen. Diese Behörde verwaltet Rechte und Ansprüche der Teilnehmer des blutigen Aufstandes gegen das Regime von Nicolae Ceaușescu in Rumänien im Dezember 1989. Der jetzt gefeuerte Staatssekretär im Revolutionssekretariat, Mihai Dodu, war noch von der Vorgängerregierung ins Amt geholt worden - und hatte im Sommer eine Untersuchung der Akte von Ciolacu in Auftrag gegeben.

"Besonderer Natur", aber nicht "entscheidend"

Diesem war vor einiger Zeit der Titel "Verdienter Kämpfer der Revolution" zuerkannt worden war. Die Verdienste des amtierenden Ministerpräsidenten im Umsturz vor 34 Jahren seien zwar "besonderer Natur", aber nicht "entscheidend", hatte die von Dodu eingesetzte Kommission jedoch geurteilt. Ciolacu habe, zitiert die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, damals nicht "besonders wichtige Ziele des totalitären Regimes dort besetzt und verteidigt, wo es zu Toten oder Verletzten gekommen war". Dodu wurde nun offiziell wegen Verstößen gegen den Datenschutz entlassen; die Sache habe rein gar nichts mit der Aberkennung seines Status als verdienter Revolutionär zu tun, sagte Ciolacu im rumänischen Fernsehen.

Die Sache ist in mehrfacher Hinsicht heikel. Der Aufstand in Rumänien war der blutigste der Wendezeit 1989 in Osteuropa. Mehr als tausend Menschen kamen in den Unruhen um, die am 15. Dezember mit Protesten gegen die geplante Strafversetzung des bekannten Dissidenten und evangelischen Pastors László Tőkés in Westrumänien begannen und schnell auf Bukarest übergriffen. Der Diktator Nicolae Ceaușescu, der seit 1965 an der Macht gewesen war, wurde nach einem kurzen Prozess am 25. Dezember gemeinsam mit seiner Frau Elena hingerichtet. Eine "Front der Nationalen Rettung" unter dem früheren Minister Ion Iliescu übernahm die Regierungsgeschäfte.

"Allgemeine Terrorismuspsychose"

Bis heute wird in Rumänien darüber gestritten, ob der Regimewechsel eine Revolution oder doch eher ein Staatsstreich war; gegen den ersten postkommunistischen Staatspräsidenten Iliescu und zwei Mitangeklagte hat die Militärstaatsanwaltschaft nach langem Hin und Her und einem wegen Verfahrensfehlern gescheiterten ersten Prozess schließlich 2022 Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erhoben. Der Vorwurf: Die Mehrzahl der Toten der Revolution von 1989 sei erst nach der Hinrichtung der Ceaușescus umgekommen; im Rahmen einer "allgemeinen Terrorismuspsychose", wie die Deutsche Welle aus der Anklageschrift zitierte, habe das neue Regime seine Macht mit Gewalt gesichert. Die Aufarbeitung dieser Zeit ist bis heute in Rumänien nicht abgeschlossen.

Umso mehr gilt es als eine Frage der Ehre, als Kämpfer für die gerechte Sache anerkannt zu werden. Zudem plant Ciolacu laut rumänischen Medien, bei der nächsten Präsidentschaftswahl im Herbst 2024 zu kandidieren. Das Büro des Premierministers hat daher seinerseits im Oktober begonnen, die Arbeitsweise des "Sekretariats der Revolutionäre" kritisch unter die Lupe zu nehmen. Der entsprechende Report soll dieser Tage fertig sein -gerade rechtzeitig vor dem von Ciolacu angestrengten Gerichtsverfahren, das laut der Online-Zeitung G4Media am 11. Januar beginnen soll. Der Premier bezeichnet die Aberkennung seines Revolutionärszertifikats als "illegal".

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