Ruanda:Die Suche nach Schuldigen

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Die Mörder kannten keine Gnade: In dem kleinen Ort Ntarama ermordeten sie 5000 Menschen, die in einer Kirche Zuflucht gesucht hatten. Heute ist die Kirche eine Gedenkstätte, in der die Gebeine der Toten an das Grauen erinnern. (Foto: Finbarr O'Reilly/Reuters)

1994 bringen in Ruanda Hutu-Milizen mehr als 800000 Menschen um. Frankreich hat damals Waffen in das Bürgerkriegsland geliefert.

Von Christian Wernicke und Tobias Zick, Paris/Kapstadt

Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind seit Langem schwer belastet, jetzt dürften sie auf einen neuen Tiefpunkt sinken. Der Generalstaatsanwalt von Ruanda hat Ermittlungen gegen 20 Franzosen aufgenommen, um deren mutmaßliche Rolle beim Völkermord in dem ostafrikanischen Land zu klären. Zwischen April und Juli 1994 waren dort mehr als 800 000 Menschen getötet worden. Die heutige ruandische Regierung wirft Frankreich seit Jahren vor, eine Mitschuld an den Massakern zu tragen.

Vorerst habe man die 20 Verdächtigen aufgefordert, sich zu den Anschuldigungen zu äußern, berichtete Generalstaatsanwalt Richard Muhumuza. Anschließend werde man entscheiden, ob man im Einzelfall formal Anklage erhebe. Namen nannte die Staatsanwaltschaft nicht, jedoch hatte die "Nationale Kommission für den Kampf gegen Genozid" im Oktober eine umfangreiche Liste veröffentlicht, in der sie konkrete Vorwürfe der Mittäter- oder Komplizenschaft gegen 22 teils hochrangige französische Militär- und Zivilbeamte erhob.

Der Abschuss der Präsidenten-Maschine gilt als Auslöser der Gewalt. Wer gab den Befehl?

Anlass für die Veröffentlichung war eine Ankündigung der französischen Justiz gewesen, neue Ermittlungen zur Frage aufzunehmen, wer am 6. April 1994 das Flugzeug des damaligen ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana, eines ethnischen Hutu, abschoss. Die Tat gilt als Auslöser für den Völkermord: Nach dem gewaltsamen Tod des Präsidenten hatten Hutu-Milizen begonnen, ethnische Tutsi sowie moderate Hutu zu ermorden. Dem damaligen Tutsi-Rebellenführer und heutigen Präsidenten Paul Kagame zufolge waren es Hutu-Extremisten, die das Flugzeug abschossen und so einen Vorwand schufen, den lang gehegten Völkermord-Plan umzusetzen. Auch viele internationale Experten stimmen dieser offiziellen Version zu.

Im Oktober jedoch kündigten französische Ermittler an, die Umstände von Habyarimanas Tod neu zu beleuchten und zu diesem Zweck einen früheren Verbündeten Kagames zu vernehmen, der behauptet, Kagame selbst sei für den Abschuss der Maschine verantwortlich. Sollte das stimmen, müsste die Geschichte des Genozids, das Narrativ also, auf das sich die heutige ruandische Nation gründet, in wesentlichen Teilen neu geschrieben werden.

Auf die Ankündigung der französischen Ermittler im Oktober reagierte Kagame entsprechend wütend - und kündigte einen "Showdown" mit Frankreich an. Kurz darauf veröffentlichte die ruandische Genozid-Kommission ihre Liste mit Vorwürfen gegen 22 französische Beamte. Das neunseitige Schreiben endete mit dem Fazit, die Ermittlungen der Franzosen seien ein "Versuch, ihre Verantwortung zu vertuschen". Die jetzigen Ermittlungen des ruandischen Generalstaatsanwalts sind der nächste Schritt zum Showdown.

Bis heute fehlt jeder Beweis, dass französische Staatsbürger während des Genozids 1994 direkt an Hinrichtungen beteiligt waren. Belegt ist hingegen, dass Paris die damalige, von Hutus geführte Regierung politisch wie militärisch unterstützte - und noch nach Beginn der Massaker und trotz UN-Embargos Waffen lieferte. So bedankte sich Ruandas damaliger Übergangspräsident Théodore Sindikubwabo per Brief am 22. Mai 1994 bei Frankreichs damaligen Präsidenten François Mitterrand "für die moralische, diplomatische und materielle Unterstützung" für sein Hutu-Regime. Zugleich forderte Sindikubwabo "dringend" mehr Beistand. Ein ruandischer Oberstleutnant, der damals offenbar als Verbindungsoffizier in Paris agierte, bestätigte sechs Lieferungen von Waffen und Munition. Ein letzter Transport sei noch Mitte Juli 1994 am Flughafen von Goma im benachbarten Kongo eingetroffen.

Auf der Liste der ruandischen Genozid-Kommission vom Oktober findet sich an 16. Stelle eine besonders schillernde Figur: Paul Barril. Der Franzose leitete damals eine private Sicherheits-Firma, die offenbar mit Duldung des französischen Geheimdienstes die von radikalen Hutus geführte Regierung beriet, ruandische Elitesoldaten schulte und Waffen lieferte. In den 1980er hatte der Gendarm eine Anti-Terror-Einheit in Frankreich aufgebaut und Zugang zum Élysée-Palast genossen. Gegen Barril läuft in Paris ein Ermittlungsverfahren. Ein Vorwurf lautet, Barril sei als Hintermann am Abschuss der Präsidentenmaschine beteiligt gewesen.

Frankreich hat sich für seine Verwicklung in Ruandas Bürgerkrieg und Völkermord nie förmlich entschuldigt. 2010 räumte der damalige Staatspräsident Nicolas Sarkozy bei einem Versöhnungsbesuch nur ein, Paris habe sich 1994 "schwere Einschätzungsfehler" und "eine Art Verblendung" zuschulden kommen lassen. Das Außenministerium versicherte am Dienstag, Frankreich setze sich "ohne Vorbehalte für eine Strafverfolgung von Personen ein, die an einem Genozid beteiligt waren".

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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