Amerikas Präsident vermied es, sein Vorbild beim Namen zu nennen. Und doch kam es Augenzeugen so vor, als sei er allzeit im Saal gewesen während Barack Obamas jüngster, sehr patriotischer Rede zur Lage der Nation. "Der politische Geist von Ronald Reagan", so schrieb Frank Rich, der linke Kolumnist der New York Times, beseele neuerdings den Demokraten.
Und das sei gut so: Obama bediene so das uramerikanische Verlangen, dass ein Präsident seine Nation aufrichten und mit Zuversicht aus jeder Krise führen müsse. Das Timing des Weißen Hauses, so fuhr Rich fort, sei ebenso perfekt: Obama reklamiere das Erbe des "Großen Kommunikators", da "sich das Land gerade auf eine Flut von Reaganiana" vorbereite und sich anschicke, ein geschlagenes Jahr lang sein 40. Staatsoberhaupt zu feiern.
100 Jahre alt wäre Ronald Reagan an diesem Sonntag geworden. Die Republikaner beginnen ihre Feiern bereits am Samstagabend, mit einer mutmaßlich feurigen Rede von Sarah Palin.
Am Sonntagmorgen wird Nancy Reagan, die rüstige Witwe, einen Kranz niederlegen am Grab von ihrem "Ronnie", dann donnern F-18-Kampfjets über das Museum im kalifornischen Simi Valley. Und am Montag läutet die Reagan-Foundation dann eine Serie von Konferenzen und Seminaren ein, die bis Dezember das Vermächtnis ihres Idols würdigen sollen.
Reagan für alle! In die Geschichtsbücher ist der am 6. Februar 1911 in ärmlichen Verhältnissen geborene Mann zwar als Erzkonservativer eingegangen: Seine "Reaganomics" rissen daheim den Sozialstaat ein, senkten die Steuern und trieben zugleich die Staatsschulden in die Höhe, weil dieser stramme Antikommunist zugleich Milliarden in den Rüstungswettlauf mit der Sowjetunion steckte. "Reich des Bösen" taufte er den Feind.
Reagan-Biographie im Weihnachtsurlaub
Bis heute verehrt Amerikas Rechte ihren Helden als "größten Präsidenten des 20. Jahrhunderts". Mitte dieser Woche verschickte die Parteizentrale der Republikaner per E-Mail einen Bettelbrief an Sympathisanten: Man möge Reagans "aufrichtigen Patriotismus" ehren und bitte schön zehn, 25 oder gar 100 Dollar spenden.
Aber Barack Obama und seine PR-Berater wollen Reagan nicht allein dem politischen Gegner überlassen. Seit Wochen streut das Weiße Haus, wie sehr der Amtsinhaber Rat und Halt im Studium seines Vorgängers sucht. Im Weihnachtsurlaub etwa las Obama eine voluminöse Reagan-Biografie.
Und der Historiker Douglas Brinkley, der einst Reagans Tagebücher herausgab, erklärte nach einem langen Gespräch mit Obama, der Demokrat wolle fortan "seinen Job à la Reagan ausüben". Prompt machte Time die Story zur Titelgeschichte: "Warum Obama Reagan liebt", lautet diese Woche die Schlagzeile neben einer Fotocollage, in welcher der Alte herzlich seinen linken Arm um den Nachfahren legt.
Mutmacher der Nation
Per Umarmung erobern will das Weiße Haus vor allem Reagans Image als Mutmacher der Nation. Das gelang Obama auf bewegende Weise in seiner Traueransprache von Tucson, als er seine Mitbürger aufrief, sich im Angedenken an das jüngste Mordopfer anzuschicken, ein besseres Amerika zu bauen.
Und Ähnliches hat der Präsident in seiner Rede zur Lage der Nation versucht: Sein Appell, mit neuer Kraft (und staatlicher Hilfe) der Welt die Stirn zu bieten und alle Konkurrenz samt China im globalen Wettbewerb auszustechen, klang so klar und simpel wie einst bei Reagan. "Wir tun große Dinge", fasste Obama sein Oratorium zusammen. "Amerika ist zu groß, um klein zu träumen", hieß das Pendant bei Reagan.
Reagans Gabe, dem Land neue Zuversicht einzuhauchen, ist den meisten Amerikanern bis heute in Erinnerung. Legendär ist der Werbespot namens "Morning in America", mit dem Reagan 1984 um seine Wiederwahl warb: Im sanften Licht gehen glückliche Menschen zur Arbeit, eine sonore Stimme erinnert daran, was das Land - mit den späten siebziger Jahren und dem Demokraten Jimmy Carter - hinter sich gelassen hatte: Massenarbeitslosigkeit, Rekordinflation, mörderische Hypothekenzinsen, eine Periode der Schmach. Merke: Alles ist wieder gut, wer will da wohl zurück zu den Demokraten? Reagan gewann triumphal.
Obama bewundert den TV-Spot. Reagans Botschaft vom ewigen Neuanfang in Amerika sei "sein Geschenk gewesen, dafür müssen wir auf immer dankbar sein", schrieb der Präsident neulich in einem Sonderheft, mit dem USA Today den Republikaner ehrte. Genau das möchte Obama seinem Vorbild nachmachen - nächstes Jahr, bei den Präsidentschaftswahlen 2012.
Zur Erinnerung: Auch Ronald Reagan hatte 1982, bei seinen ersten Zwischenwahlen, angesichts einer Wirtschaftskrise schwere Verluste hinnehmen müssen. Dann sank die Arbeitslosigkeit, stieg die Zufriedenheit der Wähler. Im Weißen Haus führen Berater angeblich Vergleichstabellen - und demnach sehen Obamas Ziffern 2011 besser aus als Reagans Werte anno 1983.
Ideologisch hingegen trennen den 40.und den 44. Präsidenten Welten. Reagan regierte 1983, als Obama sich entschloss, als Community Organizer, als politischer Sozialarbeiter, in den Slums von Chicago zu ackern. Das betrachtete der junge Linke als kleinen Beitrag für große Dinge: "Ich erklärte die Notwendigkeit des Wandels", schrieb Obama in seinen Memoiren, "Wandel auch im Weißen Haus, wo Reagan und seine Günstlinge ihre Übeltaten vollbrachten."
Obama ist, streng inhaltlich, der Anti-Reagan. Seine Gesundheitsreform, sein Konjunkturprogramm, seine Regulierungen korrigieren eine Entstaatlichung von Amerikas Wirtschaft, wie sie die Republikaner seit den achtziger Jahren in Reagans Namen propagierten.
"Die Regierung ist nicht die Lösung"
"Die Regierung ist nicht die Lösung unserer Probleme", hatte Reagan 1981 in seiner Rede zur Amtseinführung dem Volk zugerufen, "die Regierung ist das Problem." Obama sieht im Staat keinen Selbstzweck - aber sehr wohl ein Mittel, um Probleme wie Arbeitslosigkeit, Klimaschutz oder das Elend von Amerikas Erziehungswesen zu überwinden.
Und Obama will sich an Reagan messen lassen. "Reagan hat die Flugbahn Amerikas in einer Weise verändert, wie das Richard Nixon oder Bill Clinton nicht getan haben", sprach der demokratische Kandidat 2008. Das war damals auch als Provokation gegen Hillary Clinton, die ehemalige First Lady und Konkurrentin, gemeint. Aber schon damals hat Obama benannt, worin ihm Reagan Vorbild sei: "Er zapfte das an, was die Leute fühlten, also dies: Wir wollen Klarheit, wir wollen Optimismus."
Vor allem die Europäer haben Reagans Talent zur Klarheit seinerzeit eher als Schwarz-Weiß-Denken empfunden. Seine Welt teilte sich in Gut und Böse, West gegen Ost, Freiheit statt Kommunismus. Gerade viele Deutsche bewerteten das als tumb, als schlichte Ideologie eines früheren Hollywood-Schauspielers, der in zweitklassigen Western aufgetreten war.
Schwarz-Weiß-Rhetorik
Selbst seine große Rede vor dem Brandenburger Tor im Sommer 1987 kam bei vielen Bundesbürgern als politisches Theater an: "Mister Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor. Mister Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder", rief Reagan damals aus. Das politische Establishment auf der Bühne klatschte, aber das westdeutsche Volk winkte lächelnd ab.
Das ganze Jahr werden Linke und Rechte nun um Reagans Erbe ringen. Die Republikaner brauchen den Ahnenkult, um ihre Partei zu einen. Und Obama benutzt den Rechten als Vorbild: Er will ein ganz Großer werden. Und er will, wie Reagan, die Wiederwahl gewinnen.