Paul Ryan hat eigentlich nur gewonnen an diesem Wahltag. Gewiss, aus dem Job als Vize des amerikanischen Präsidenten ist jetzt nichts geworden. Den behält bekanntlich sein demokratischer Konkurrent Joe Biden. Doch Ryan wurde als Kongressabgeordneter in seinem heimatlichen Wisconsin nun schon zum siebten Mal wiedergewählt. Er wird also weiterhin als Vorsitzender des Haushaltsausschusses einer der wichtigsten Männer im US-Repräsentantenhaus sein. Unangefochten gibt er den Kurs seiner Partei in allen haushaltspolitischen Fragen vor.
Und das werden die Fragen sein, die in den kommenden Jahren die Weltmacht innerlich schütteln werden: Wie nur kann sich Amerika Erleichterung von der alles erdrückenden Last der gigantischen Staatsschulden verschaffen? Ryan hat da längst ein Rezept vorgelegt, das sich in einem einfachen Refrain zusammenfassen lässt: Steuern senken und Ausgaben kürzen. Sparen. Das hat er umsetzen wollen als Vize Mitt Romneys.
Nun wird er eben der Frontmann seiner Partei sein im Streit mit Präsident Barack Obama um die Sanierung der Staatsfinanzen. Auch keine schlechten Voraussetzungen, sich als Kandidat der Republikaner für die Präsidentschaftswahl 2016 in Stellung zu bringen. Für den Job ist Paul Ryan nun einer der natürlichen Anwärter. Und wenn man eines aus seiner bisher steilen Karriere schließen darf: Ryan ist entschlossen, von sich reden zu machen. Er will der Architekt einer neuen Sparsamkeit in den USA werden.
Fast ehrfürchtig betrachten die Republikaner seine Haushaltsvorschläge
Allgemein wird jetzt erwartet, dass ihn John Boehner, der Sprecher des Repräsentantenhauses, in die Kommission beruft, die in zweifellos zähen Verhandlungen mit dem Präsidenten den Absturz der USA über die sogenannte Haushaltsklippe verhindern soll. Denn wenn nichts geschieht, laufen zum Jahresende Steuererleichterungen aus, die seit der Bush-Ära immer verlängert wurden, was erheblich Kaufkraft abschöpfen dürfte. Und es treten automatisch Haushaltskürzungen in einem dreistelligen Milliardenbereich in Kraft.
Zusammengenommen dürfte der Effekt auf die US-Wirtschaft verheerend sein. Es wird nun darum gehen, mit welchem Rezept der Absturz verhindert werden kann - mit dem moderaten Sparprogramm des Präsidenten oder den radikalen Vorschlägen Paul Ryans, dem Ryan-Plan, wie ihn die Republikaner fast ehrfürchtig nennen. In jedem Fall wird es ein sehr publikumswirksames Ringen werden - sozusagen ein Schaukampf am Rande des Abgrunds.
Das wird Ryan in jedem Fall bekannter machen im Land. Denn so genau kennen die Amerikaner den Mann noch gar nicht, der fast ihr neuer Vizepräsident geworden wäre. Als ihn Mitt Romney Anfang August nominierte, gab mehr als die Hälfte aller US-Bürger zu, von dem smarten Kongressabgeordneten noch nie etwas gehört zu haben. Tatsächlich aber hat Ryan strategisch an seiner Karriere gebastelt: als Haushaltsexperte, als intellektueller Wegweiser rechter Republikaner, als Einflüsterer des republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Direkt nach der Wahl Obamas 2008 machte er sich daran, einen republikanischen Alternativentwurf zum Haushaltsplan des Präsidenten zu präsentieren. Der hatte bei den damaligen Mehrheitsverhältnissen im Kongress keine Chance. Doch diente er den Konservativen als Vorzeigeprojekt: So sollte gespart werden, wären die Republikaner am Ruder.
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Sein Urgroßvater war Polygamist und musste nach Mexiko fliehen, Enkel Mitt wurde als Missionar einst für tot erklärt - und heißt eigentlich gar nicht Mitt.
2011 verabschiedete das Repräsentantenhaus mit der neuen republikanischen Mehrheit dann den Ryan-Plan. Im demokratisch dominierten Senat kam der Entwurf zwar nicht durch. Seine Partei aber hatte der "Wonk from Wisconsin", der Musterschüler aus Wisconsin, wie er in den Medien gerne genannt wurde, erfolgreich auf seinen Kurs getrimmt. Der Plan ist tatsächlich radikal: Steuerentlastungen von zwei Billionen Dollar im Lauf des kommenden Jahrzehnts und zugleich Einsparungen von 5,3 Billionen. Er will in großem Stil bei den Gesundheitsausgaben und bei den Sozialausgaben streichen und die Bildungsausgaben um ein Drittel reduzieren.
Ryan ist durch und durch ein Geschöpf Washingtons. Schon als College-Student kam er in die Hauptstadt und ist dort seitdem geblieben. (Seine Erfahrungen in der Wirtschaft beschränken sich weitgehend auf Aushilfsjobs als Hamburger-Brater bei McDonald's und als Würstchenverkäufer.) Jahrelang war er Mitarbeiter in Büros verschiedener republikanischer Senatoren, ehe er 1998 mit 28 Jahren selbst ins Repräsentantenhaus einzog.
Schon als Student kam er mit den Büchern der Schriftstellerin Ayn Rand in Berührung, einer Säulenheiligen der späteren Tea-Party-Bewegung, die den Eigennutz als gesellschaftsbildende Kraft und den Rückzug des Staates aus der Sozialvorsorge predigte. Zwar sagt der bekennende Katholik Ryan heute, dass Rands Vorstellungen atheistisch seien. Aber als Abgeordneter hat er lange seinen Mitarbeitern Werke der Schriftstellerin geschenkt.
Auch bei anderen Prüfsteinen der Erzkonservativen seiner Partei hält Ryan einem Test mühelos stand. So nannte er sich "pro-life, wie man nur sein kann" - ein Codewort für einen radikalen Abtreibungsgegner, der Schwangerschaftsabbrüche nur bei Gefahr für das Leben der Mutter zulassen würde. Jegliche Verschärfung der Waffengesetze lehnt er ebenso ab wie Erleichterungen für illegale Einwanderer in den USA. Beim Klimaschutz hat sich Ryan bisher als Hardliner gezeigt und Wissenschaftlern vorgeworfen, einen Klimawandel mit Zahlentricks herbeizureden.
Das alles hat ihm in seiner Partei einen Ruf wie Donnerhall verschafft. Das rechte Magazin Weekly Standard hat Ryan deshalb zum "intellektuellen Führer der Republikanischen Partei" ausgerufen. Die liberale New York Times nannte Ryan "den wohl einflussreichsten Politstrategen" seiner Partei. Nun könnte er einer der gefährlichsten Gegenspieler Präsident Obamas werden.