Report zu Bundeswehr und Verteidigung:Eine Truppe außer Gefecht

Das Controlling wirkungslos. Die Strukturen diffus. Die Materialbeschaffung mangelhaft. Und das IT-System defekt - so stellt sich die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium den Experten einer Strukturkommission dar.

Die Reformvorschläge in Bildern.

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Wirkungsloses Controlling, diffuse Strukturen, Mängel in der Materialbeschaffung und ein nicht funktionierendes IT-System - die Bilanz der Strukturkommission zur Modernisierung des Verteidigungsministeriums und der Bundeswehr ist niederschmetternd. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) will sein Ministerium und die Armee auf Grundlage des Gutachtens komplett umbauen - zwei Jahre soll die Neuausrichtung des Ministeriums, acht Jahre die Reform der Bundeswehr in Anspruch nehmen. Am heutigen Dienstag wird ihm das Kommissionspapier überreicht. Doch einige Reformvorschläge erfordern viel politischen Mut. Bis Januar 2011 will das Verteidigungsministerium ein eigenes Konzept vorlegen. Die Kommission unter der Leitung von Arbeitsagentur-Chef Frank-Jürgen Weise fordert eine vollkommen neue Konzeption des Verteidigungsministeriums, denn: "Die fachlichen Aufgaben im Ministerium verteilen sich zurzeit auf 17 verschiedene Abteilungen und Stäbe. Damit verbunden sind Reibungsverluste." Wenn es nach Frank-Jürgen Weise und seinen Mitstreitern geht, soll es zukünftig nur noch sieben Abteilungen geben. Die Dienstposten will die Kommission von heute etwa 3300 auf nur noch 1500 Mitarbeiter reduzieren. Das ist nicht die einzige Forderung, die für Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg höchst schmerzhaft werden könnte: Die Kommission will den Standort des Ministeriums auf der Hardthöhe in Bonn (Bild) aufgeben - dort soll dann nur noch eine untergeordnete Behörde arbeiten. Für den Umzug müsste jedoch das Bonn-Berlin-Gesetz geändert werden - ein Vorhaben, das politisch schon mehrfach grandios gescheitert ist.

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Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) lehnt einen Komplettumzug des Verteidigungsministeriums von Bonn nach Berlin ab. "Das Bonn-Berlin-Gesetz gilt", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Die Aufgabenteilung hat sich bewährt. Für einen Umzug alles neu zu bauen, käme den Steuerzahler nur viel teurer." Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag signalisiert hingegen vorsichtig ihre Diskussionsbereitschaft: "Insbesondere findet es unsere Zustimmung, das Ministerium deutlich zu verkleinern und in Berlin zu konzentrieren. 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung wird es Zeit, den Umzug in die Hauptstadt abzuschließen", sagte ihr Sprecher Ernst-Reinhard Beck. Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) sagte, man solle "die Dinge nicht zerreden, bevor man sie kennt". Er sei beeindruckt von dem Vorschlag, die Verwaltung der Bundeswehr substantiell zu verschlanken. "Natürlich gelten die bestehenden Gesetze", sagte Altmaier mit Blick auf die festgeschriebene Aufteilung der Ministerien zwischen Bonn und Berlin. Es gebe aber kein "Nachdenkverbot" und: "Gesetze können geändert werden." Das heiße nicht "auf nach Berlin", aber eine Prüfung sei angemessen. Auch die FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff schließt einen Umzug des Bundesverteidigungsministeriums von Bonn nach Berlin nicht aus. Falls sich die Strukturen als "nicht mehr lebensfähig" erwiesen und "unnötige Kosten" verursachten, müsse über die Strukturen aller Ministerien nachgedacht werden, sagte Hoff am Dienstag dem SWR.

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Einschnitte verlangt die Kommission auch auf den Führungsebenen von Verteidigungsministerium und Bundeswehr. "Die allgemeine Verantwortungsdiffusion macht eine gezielte, sachgerechte und energische Steuerung unmöglich." Die Mitarbeiter "behindern sich gegenseitig in Strukturen, die nicht erfolgsfähig sind", heißt es im Bericht der Weise-Kommission.

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Eine Schlüsselrolle in der Führung soll der Generalinspekteur (derzeit Volker Wieker, im Bild) als "höchster Soldat der Bundeswehr" übernehmen. Er soll dem Rang nach einem Staatssekretär gleichgestellt werden. Mit einer Ausnahme: Er kann kein offizieller Vertreter des Verteidigungsministers werden, das verstieße gegen den Primat der Politik. Doch selbst die von der Strukturkommission geforderte Aufwertung dürfte politisch schwer durchsetzbar sein.

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Die Bundeswehr selbst soll von derzeit etwa 250.000 Soldaten auf 180.000 reduziert werden. Mit diesem Stellenabbau dürfte Karl-Theodor zu Guttenberg wenige Probleme haben: Er wird parteiübergreifend als sinnvoll erachtet. Auch beim zivilen Personal will die Kommission drastisch kürzen: Von den derzeit 90.000 Dienstposten sollen noch 75.000 übrig bleiben.

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Die verbleibenden Soldaten sollen dafür in größerer personeller Stärke für Auslandseinsätze, etwa in Afghanistan (Bild), bereitstehen. Derzeit können von den 250.000 Mann nur etwa 7000 gleichzeitig ins Ausland geschickt werden - dieses Missverhältnis will die Strukturkommission ausgleichen. Von den zukünftigen 180.000 Soldaten sollen 15.000 gleichzeitig ins Ausland geschickt werden können.

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In "tiefster Gangart" durch das Gelände robben müssen bald nur noch Freiwillige. Die Kommission empfiehlt die Aussetzung der Wehrpflicht und die Umwandlung der Bundeswehr in eine Berufsarmee. Generell sei die Wehrpflicht nur erforderlich, wenn "dies die äußere Sicherheit des Staates zwingend gebietet", konstatiert Weises Kommission: "Durch den Wegfall einer massiven, unmittelbaren militärischen Bedrohung kann die Wehrpflicht in der heutigen Form sicherheitspolitisch nicht mehr gerechtfertigt werden." Zudem sinke die Akzeptanz der Wehrpflicht in der Bevölkerung. Die Kommission empfiehlt daher die Einrichtung eines 23-monatigen Freiwilligendienstes, der sowohl bei der Armee als auch auf klassischen Zivi-Stellen abgeleistet werden kann. Die schwarz-gelbe Koalition hatte sich in den vergangenen Monaten ohnehin schon mühsam auf eine Aussetzung der Wehrpflicht geeinigt, eine gänzliche Abschaffung fordert auch die Kommission nicht.

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Doch nicht nur mit dem Personal hat die Bundeswehr Probleme, auch die Beschaffung der Ausrüstung kritisiert die Weise-Kommission: "Die Streitkräfte erhalten ihre geforderte Ausrüstung weder im erforderlichen Zeit- noch im geplanten Kostenrahmen." Das sei vor allem der Flexibilität abträglich: Die häufig völlig neuen Anforderungen an Material und Ausrüstung aus den Einsätzen erforderten deutlich schnellere Prozesse, beispielsweise bei Entwicklung und Produktion. Zunächst fehle der Bundeswehr ein rüstungsindustriepolitisches Konzept, bilanziert die Strukturkommission. Außerdem soll die Beschaffungsorganisation in eine Agentur umgewandelt werden, die das System optimiert. Die Kommission empfiehlt hier einen Blick ins Ausland, nämlich "inwieweit innovative und bereits bei Streitkräften anderer Nationen bewährte Modelle zur Kostenreduktion bei der Bundeswehr genutzt werden können".

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Und nicht zuletzt haben Bundeswehr und Verteidigungsministerium laut Kommissionsbericht gravierende Probleme mit der IT. "Die existierende IT-Organistaion und Prozesse haben bisher nicht zu einer bedarfsgerechten IT-Ausrüstung der Streitkräfte wie auch der Wehrverwaltung geführt." Mit verheerenden Folgen: "Großprojekte verzögern sich und sprengen die vorgesehenen Kostenrahmen." Unverzichtbar sei, so die Weise-Kommission, ein zentraler Zuständiger, also ein IT-Direktor. Um die Missstände zu beheben, soll die IT-Organisation auch externe Experten zurate ziehen und vorhandenes Personal besser qualifizieren. Die Experten um Weise fordern "die Entwicklung einer funktionsfähigen und effektiven IT-Governance, welche das Ministerium und die gesamte Bundeswehr einbezieht, sowie den Aufbau einer professionellen IT-Organisation".

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